Nahles lobt Becks Dialogbereitschaft

Moderation: Jörg Degenhardt |
Andrea Nahles hat die Dialogbereitschaft des neuen SPD-Vorsitzenden Kurt Beck hervorgehoben. Bei seiner Antrittsrede habe er gesellschaftliche Gruppen wie Künstler und Gewerkschaften aufgefordert, an der Politik teilzuhaben, sagte die SPD-Linke. In Beck sehe sie auch einen geeigneten Kandidaten für die nächste Bundestagswahl.
Jörg Degenhardt: Frau Nahles, von Kurt Beck heißt es, er verstehe es, links zu blinken, dann gehe die Fahrt aber in eine andere Richtung. Wohin geht denn nun die Reise der SPD mit Beck auf der Kommandobrücke?

Andrea Nahles: Also zunächst mal hat er gestern Angebote formuliert, das ist eine Sache, die man selten von Parteivorsitzenden gehört hat, nämlich Angebote auch an gesellschaftliche Gruppen wie die Künstler, die Gewerkschaften, dass die wieder mit formulieren und mit diskutieren. In den letzten Jahren hatte man oft den Eindruck, dass man vor allem von der SPD erklärt bekommt, was man zu denken hat, jedenfalls wurde mir das immer wieder berichtet von vielen gesellschaftlichen Gruppen. Also dass diese Dialogbereitschaft erst mal da ist, das fand ich sehr positiv, und er hat auch ein Angebot an die eigene Partei formuliert, wo er nichts beschönigt hat. Es war auch wohltuend, dass er gesagt hat, wir haben 37 Prozent unserer Mitglieder verloren in den letzten Jahren, und das ist eine banale Wahrheit, aber ausgesprochen heißt das eben auch, dass man konkret etwas dagegen unternehmen will, und das hat er auch angekündigt. Also es gab so ein paar Signale zunächst mal auch des Mitnehmens, des Dialogs, der Offenheit auch wieder, die ich sehr positiv fand. Das ist zunächst noch kein Konzept, aber es ist trotzdem etwas, das man lange vermisst hat.

Degenhardt: Reichensteuer, Kündigungsschutz, Tarifautonomie, das waren ja auch Stichworte, die gestern gefallen sind. Auf Parteitagen und im Wahlkampf, so hat man das Gefühl, gibt sich die SPD gerne als Partei der kleinen Leute. Ist sie das oder ist sie eher die Partei von Schröder, Müntefering und Hartz IV und einer Unternehmenssteuerreform, die nun doch nicht aufkommensneutral sein soll?

Nahles: Also die SPD als Partei, die eine Volkspartei ist, hat natürlich immer ein Spagat zwischen verschiedenen Anforderungen, leistungsstarke Wirtschaft und gerechter sozialer Ausgleich, und es ist so, dass Kurt Beck da sehr im Zentrum steht. Er ist weder links noch rechts, sondern er hat sich auch in Rheinland-Pfalz immer in der Mitte da positioniert. Was das dann konkret durchbuchstabiert heißt, das konnte man gestern dann merken, einerseits zum Beispiel beim Kündigungsschutz, er kommt selber aus den Gewerkschaften, ist also ein Beinharter, da muss man gar nicht fürchten, dass er da irgendwo wackelt. Bei der Unternehmenssteuerreform hat er da versucht, zwischen den Wogen, die sich aufgestürmt haben, zu glätten, und da bin ich allerdings auch selber noch mal gespannt, wohin sich die Reise da entwickelt.

Degenhardt: Da sind Sie ja eingeknickt, Entschuldigung, die Parteilinke im Streit um die Unternehmenssteuerreform.

Nahles: Was heißt hier eingeknickt, das stimmt überhaupt nicht. Es ist ganz einfach so, dass man eine Debatte geführt hat in der Woche, die, wie ich finde, zu Klarstellungen geführt hat. Peer Steinbrück hat gestern klar gesagt, er sei auch Haushaltsminister und er könne sich nicht vorstellen, dass da am Ende große Haushaltslöcher gerissen werden, nur weil die Unternehmen netto entlastet werden sollen. Das war für mich eine ganz klare Bewegung und nicht ein Einknicken, sondern ich glaube, dass der Warnschuss, den wir da gesetzt haben, auch öffentlich und in den Gremien selber angekommen ist, weil ich mir schlicht nicht vorstellen kann, dass wir da eine Riesen-Nettoentlastung bei Unternehmen machen, während wir gleichzeitig den Leuten drei Prozent mehr Mehrwertsteuer zumuten, und ich glaube eher, dass sich das in der Partei eher auf die Position der Parteilinken zu bewegt hat.

Degenhardt: Was ich gestern nicht gehört habe, aber vielleicht ist es mir auch nur entgangen, das war der vorsorgende Sozialstaat, von dem der Vorgänger von Kurt Beck, Herr Platzeck, immer in letzter Zeit gesprochen hat. Ist er schon wieder beerdigt?

Nahles: Nein, ich denke, der Begriff ist gesetzt, aber er muss gefüllt werden, und wir hatten darüber die Verständigung, dass programmatische Themen in den nächsten anderthalb Jahren jetzt intensiv behandelt werden. Da wird der vorsorgende Sozialstaat dazugehören. Ich stehe zum Beispiel selber hinter diesem Begriff. Ich finde, dass das die richtige Entwicklungslinie für den Sozialstaat ist, dass wir gucken, dass wir nicht nachsorgend reparieren, sondern tatsächlich verhindern. Beispielsweise in der Gesundheitspolitik ist es ja ganz leicht nachzuvollziehen, dass die Leute eben nicht krank werden und nicht im Nachhinein dann teure Medizin bezahlt werden muss. Das lässt sich dann auch in anderen Bereichen durchbuchstabieren, aber das kommt jetzt die nächsten anderthalb Jahre im Rahmen der Grundsatzprogrammdebatte.

Degenhardt: In der großen Koalition in Berlin gab es die letzten Tage Streit über das Reformtempo. Da wirft die eine der anderen Seite vor, auf der Bremse zu stehen. Zeigt sich jetzt, wo es ernst wird, wo es um unpopuläre Entscheidungen geht, Sie sprachen gerade die Gesundheitspolitik an, dass da eigentlich regiert, was nicht zusammengehört?

Nahles: Also es ist auf jeden Fall in der Gesundheitspolitik eine Bewährungsprobe, weil wir kommen da vom Nord- und Südpol und müssen uns da auf der Äquatorlinie treffen in der großen Koalition, und es ist dann wenig freundlich, und wir haben es alle als unfreundlichen Akt von Frau Merkel auch klar empfunden, dass sie dann, weil sie ein bisschen Druck hatte in den eigenen Reihen wegen Antidiskriminierungsgesetz, dass sie dann halt so eine Beschuldigung da macht, wir wären die Bremser. Andrerseits sollte man das auch nicht überbewerten, weil irgendwo wird es in der großen Koalition immer wieder an der einen oder anderen Stelle Eigenprofilierungsbemühungen geben und auch mal rumpfen. Die Frage ist, was kommt nachher an Lösungen auf den Tisch, was können wir erreichen, und was die Leute von uns erwarten, ist nichts weniger als Lösungen.

Degenhardt: Ist Kurt Beck eigentlich auch ein chancenreicher Herausforderer im nächsten Bundestagswahlkampf gegen die angesprochene Angela Merkel?

Nahles: Also das steht jetzt nicht an in der Entscheidung, aber ich persönlich kann mir das gut vorstellen. Wir haben ein sehr konservatives Land in Rheinland-Pfalz, ich bin ja selber Rheinland-Pfälzerin, und mit 45,6 Prozent, das ist schon sensationell, und das ist das dritte Mal, dass er gewonnen hat. Also Beck gewinnt Wahlen, und das ist für mich gut, und deswegen ist er für mich auch ein geeigneter Herausforderer, aber das entscheiden wir nicht dieses Jahr. Das wird erst eine ganze Weile noch dauern, bis wir dazu einen internen Klärungsprozess haben.