Nahlah Saimeh: „Grausame Frauen"

Tiefe Einblicke in die Psyche von Täterinnen

06:43 Minuten
Cover des Buchs "Grausame Frauen: Schockierende Fälle einer forensischen Psychiaterin" von Nahlah Saimeh vor einem orangefarbenen Aquarellhintergrund
Plakative Dramen wie in Fernsehkrimis sind in Nahlah Saimehs Buch nicht zu finden. Dem realen Mord geht eher ein unmerkliches Abgleiten voraus. Das macht die beschriebenen Fälle so unheimlich. © Piper Verlag / Deutschlandradio
Von Volkart Wildermuth · 06.11.2020
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Nahlah Saimeh erzählt in ihren Büchern davon, wer wann gewalttätig wird und warum erste Anzeichen dafür oft unentdeckt bleiben. In "Grausame Frauen. Schockierende Fälle einer forensischen Psychiaterin“ stehen diesmal acht Täterinnen im Fokus.
"Schwerere Gewaltdelikte von Frauen irritieren nach wie vor besonders," schreibt Nahlah Saimeh, weil sie "der Vorstellung von Frauen als sanftmütigen, stets mütterlich-warmherzigen Wesen" widersprechen. Und von Sanftmut ist in ihrem Buch tatsächlich wenig zu spüren.
Acht Fälle stellt sie in "Grausame Frauen" vor. Alle acht kennt Nahlah Saimeh bis ins Detail, weil sie als forensischen Psychiaterin die Täterinnen begutachten musste: Schuldfähig oder nicht? Noch gefährlich oder bereit für den offenen Vollzug?
Es geht um die Tötung des Partners im Suff, um den Mord am eigenen Kind, einen Amoklauf, die Beseitigung der Rivalin. Allesamt traurig, schaurig und schockierend. Keine leichte Lektüre, denn hier wurde im realen Leben getötet und gestorben.

Sachlich-nüchterner Ton

Schaulust bedient Nahlah Saimeh aber nur sehr bedingt, dazu ist ihr Stil zu trocken und sachlich. Gerade auch wenn sie die Tötungen selbst beschreibt. Schriftstellerisch verfremdet wird hier nichts.
Dafür bietet sie einen klinisch tiefen Einblick in die Psyche der Täterinnen - und der ist deprimierend: Alle "wurden als Kind nicht geliebt oder haben sich nicht geliebt gefühlt", so Saimeh in ihrem Buch.
Auf diese emotionale Leerstelle in ihrem Leben reagieren die Frauen mit Selbstverachtung, einem Bedürfnis nach Rache oder der Suche nach Bestätigung, die sie auf lange Sicht dann zur Tat führt. In der Rückschau erscheint die dann fast unausweichlich.

Keine generell gültigen Aussagen

Was dabei aber aus dem Blick gerät: Sehr viel mehr Frauen machen vergleichbare Erfahrungen, und finden im Lauf ihres Lebens andere Lösungen als Gewalt. Von daher erfährt man hier, wie in allen Büchern des Real-Crime-Genres, viel über individuelle Schicksale, aber eher wenig generell gültige Aussagen über das Verhindern solcher Taten - und das ist ein Problem.
So diagnostiziert Nahlah Saimeh bei mehreren der acht Täterinnen eine Borderline-Persönlichkeitsstörung, eine schwerwiegende psychiatrische Krankheit, für die Impulsivität und Instabilität von Gefühlen und zwischenmenschlichen Beziehungen charakteristisch ist. Das aber hinterlässt den - falschen - Eindruck, dass generell von allen Borderline-Patientinnen eine große Gefahr ausginge.

Rollenklischees spielen eine Rolle

Unklar bleibt auch, warum es viel weniger Mörderinnen als Mörder gibt. Das Hormon Testosteron spielt sicher eine Rolle, schreibt die forensisch-psychiatrische Gutachterin. Ansonsten verweist Nahlah Saimeh mehrfach auf das Frauenbild.
Scheitern beeinträchtigt bei Männern die Wertschätzung durch die Gesellschaft, bei Frauen sind die Erwartungen erst gar nicht so hoch. Vielleicht reagieren sie deshalb auf vergleichbare Situationen seltener mit Gewalt. "Das mag man begrüßen, aber man kann sich dabei genauso fragen, ob das nicht auch damit zusammenhängt, dass echte Gleich-Wertigkeit von Männern und Frauen noch nicht hergestellt ist."

Unmerkliches Abgleiten

Solche bedenkenswerten Beobachtungen streut Nahlah Saimeh immer wieder ein. Sie machen ihr Buch lesenswert, genauso wie die Einblicke in die Psyche der Täterinnen. Plakative Dramen wie in Fernsehkrimis sind da nicht zu finden. Dem realen Mord geht eher ein unmerkliches Abgleiten voraus, und gerade das macht diese Fälle so unheimlich.

Nahlah Saimeh: "Grausame Frauen: Schockierende Fälle einer forensischen Psychiaterin"
Piper Verlag, München 2020
256 Seiten, 16 Euro

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