Naher Osten auf Schloss Elmau

Von Knut Cordsen |
Einer der Starredner der internationalen Tagung war Tariq Ramadan. Der international renommierte Islamwissenschaftler ägyptischer Herkunft warb für eine nüchterne Betrachtung der seiner Meinung nach gelungenen Integration der Muslime im christlich-jüdischen Europa. Der niederländische Publizist Ian Buruma nannte seine Thesen "ein bisschen zu optimistisch".
Er sei in Europa immer noch der Andere, sagte Tariq Ramadan, der in Genf geborene international renommierte Islamwissenschaftler ägyptischer Herkunft vom St. Antony’s College in Oxford auf der Tagung auf Schloss Elmau – ein Zeichen dafür, dass die friedliche Koexistenz der Religionen in Europa keinesfalls eine Selbstverständlichkeit ist. Tariq Ramadan war der Starredner der Tagung auf Schloss Elmau, und an seiner Person schon kann man die ganz Bandbreite des dort verhandelten Problems "Muslime in der europäischen Diaspora" ermessen: Ramadan hat einen Bruder, Hani, der die Steinigung von Ehebrecherinnen fordert. Tariq distanziert sich ausdrücklich von ihm, tritt für die Partizipation der Muslime an der westlichen Gesellschaft ein und ficht für einen "europäischen Islam". Dieser von Bassam Tibi so genannte "Euro-Islam" hat seine länderspezifischen Ausprägungen.

Ramadan: " In Europa unterscheiden sich doch die britischen Muslime schon von den französischen. Das hängt damit zusammen, dass sie in unterschiedliche nationale Kulturen eingebettet sind. Als europäische Muslime können wir sehr schnell erkennen, wer aus Italien kommt, wer aus Frankreich und wer aus Deutschland. Das ist beileibe nicht dasselbe. Das jeweilige kulturelle Umfeld beeinflusst die Lesarten des Glaubens. Die große Aufgabe für uns besteht darin zu sehen, dass es keine Religion ohne Kultur gibt, keine Kultur ohne Religion und auch, dass Religion nicht gleichzusetzen ist mit Kultur. "

Mit fast missionarischem Furor warb Tariq Ramadan auf der Elmau für eine nüchterne Betrachtung der seiner Meinung nach im Ganzen gelungenen Integration der Muslime im christlich-jüdischen Europa. Immigration sei eine Notwendigkeit.

Ob man es nun hören wolle oder nicht: Der kulturelle Widerstand gegen die Aufnahme von Muslimen sei gegen unsere wirtschaftlichen Bedürfnisse. Wir brauchten sie schon aus demographischen Gründen, so Ramadan. Die Skeptiker weisen darauf hin, dass es eine nicht zu vernachlässigende Zahl von radikalen Muslimen, von religiösen Fanatikern, gibt. Und dass man deshalb die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union gut bedenken müsse. Ramadan entgegnet denen:

" Millionen von Europäern sind doch bereits Muslime und sie leben gemäß den hier geltenden Gesetzen. Nur eine verschwindend winzige Gruppe erklärt sich nicht einverstanden mit dem hiesigen Rechtssystem. Man sollte die Fakten zur Kenntnis nehmen. Man nährt nur Misstrauen mit Sätzen wie: Du solltest vielleicht mehr Europäer und weniger Muslim sein. Psychologisch ist das nicht zu unterschätzen, was es auslöst, wenn man als Muslim gezwungen wird, ständig unter Beweis zu stellen, wie sehr man sich mit allem einverstanden erklärt. Deshalb spricht der holländische Soziologe Willem Schinkel von der moralischen Staatsangehörigkeit, die man den Muslimen neben der legalen zusätzlich abverlangt. Zeige uns, wie sehr du einer von uns bist. Über solche Mechanismen muss man reden, denn es gebt dabei um die Wahrnehmung des Anderen und um Erwartungen an Menschen, denen man nicht traut. "

Damit war ein springender Punkt der Debatte berührt. Der niederländische Publizist Ian Buruma, der am New Yorker Bard College lehrt und ein viel beachtetes Buch über den Mord am Filmemacher Theo van Gogh durch einen Islamisten geschrieben hat, sprach auf der Elmau dann auch von den "Grenzen der Toleranz":

" Nun, Tariq Ramadan hat meiner Ansicht nach schon Recht, wenn er sagt, dass die Mehrheit der Muslime in Europa gesetzestreu lebt. Und sicherlich liegt er auch richtig mit seiner Einschätzung, dass nur eine Minderheit der Muslime in Europa wirklich fromm lebt. Aber das ist natürlich etwas, was sich auch wieder ändern kann. Und ich denke, dass Tariq Ramadan ein bisschen zu optimistisch im Umgang mit Zahlen aus statistischen Erhebungen oder Umfragen ist. Denn was er verschweigt, ist, dass nach dem 11. September, ja: bis heute eine erschreckend hohe Zahl junger europäischer Muslime findet, Osama bin Laden revolutioniere den Islam. Es gibt einfach eine große Ansammlung von potentiellen Sympathisanten unter den unzufriedenen europäischen Muslimen. "