Näher zum Himmel

Von Peter Marx |
Sein erster Auslandseinsatz hat den Bundeswehrsoldaten Martin Wedel nach Afghanistan geführt. Es sei ein schönes Land, mit einem schönen Sternenhimmel, sagt Wedel. Doch der Alltag im Bundeswehrcamp am Rande des Hindukusch ist alles andere als romantisch.
Martin Wedel: "Na ja. Ist schönes Land, in dem Sinne, alles ruhig bis jetzt. Was will man mehr? Ja, mit dem schönen Sternenhimmel hier unten. Weil so einen wie hier, sieht man in Deutschland nicht. Ja. Viele Sternschnuppen, schön warm hier, teilweise zu warm, nachts noch schön angenehm. Das passt alles."

Fritz Heller: "Also, ich weiß nicht, ob das Thema Tod in den Köpfen dann direkt eine Rolle gespielt hat, aber mit Sicherheit, was wäre passiert, wenn diese Rakete getroffen hätte? Das mit Sicherheit. Aber über das Thema Tod als solches haben wir nicht miteinander geredet."

Martin Wedel gähnt, herzhaft und lange, während sein Feldwebel den Tagesablauf erklärt. Es bleibt unbemerkt. Gut so. Kurz vor acht Uhr morgens, das Frühstück liegt schon eine halbe Stunde zurück und im Hauptquartier von Molt 3, dem dritten Mobil Observation und Liasion-Team, wird es langsam warm. Zwölf Leute sitzen eng beisammen auf schmalen Biergarten-Bänken. Im Zentrum ein Holztisch, dahinter Hauptfeldwebel Fritz Heller mit düsterem Gesicht:

Ein Einsatz am naheliegenden Flughafen ist alles, was die Männer von Molt 3 heute erwartet. Der Rest der Feldwebel-Ansage dreht sich um den Rückflug nach Deutschland. Zwischenlandung in Hannover, Endstation Köln. Alles noch ein paar tausend Kilometer entfernt. Aber bald. Heute ist Montag. Nur noch 23 Tage Afghanistan. Spätestens dann wird der Hauptfeldwebel entspannt sein, nach fünf Monaten Einsatz. Nicht ein Stein, sagt er, nein …

"Viele. Ich kann nicht die Anzahl sagen, aber viele. Also, dann hier mit allen wieder gesund rauszukommen, es muss ja nicht immer ein Schuss oder sonst was sein, ein Unfall kann ja hier auch passieren. Also, mir fallen dann schon viele Steine vom Herzen, ja."
Und der Hauptgefreite. Er gähnt wieder, diesmal verstohlen, mit beiden Händen vor dem Mund. Martin ist 23 Jahre alt, gelernter Lkw-Schlosser. Seine Haare sind kurz geschnitten, seine Augen auffallend blau. Mit seinen Eltern war er einmal im Ausland, Badeurlaub in Ungarn. Und jetzt Afghanistan, ganz weit oben im Norden. Die chinesische Grenze nur ein paar hundert Kilometer entfernt. Seit vier Monaten lebt er hier im kleinsten Lager der Bundeswehr. "Zufrieden", betont er und lächelt verschmitzt:

"… hm ... Wir haben hier eigentlich alles, was wir brauchen. Gibt Sportzentrum hier, es gibt eigentlich alles, was das Herz begehrt. Ach, Freundin fehlt nicht. Die würde mir hier nur auf die Nerven gehen. Was fehlt, ist vielleicht das Feiern gehen abends mal wieder, am Wochenende. Das wäre auch das Einigste, oder mal wirklich wieder ein komplettes Wochenende für sich zu haben, ohne mal was zu machen, einfach mal faulenzen."

Martin Wedel ist dran, verteilt T-Shirts, Taschenmesser, Socken, Unterwäsche und Schlüsselanhänger. Er ist Herr Otto bzw. Frau Neckermann in einer Person. Über Internet und per Katalog bestellt er für seine Kollegen militärische Ausrüstungsgegenstände, die die Bundeswehr nicht bereitstellt. "Mit zehn Prozent Rabatt," wie er mehrfach stolz erwähnt. Sein Hauptfeldwebel sieht es mit großem Wohlwollen:

"Auf jeden Fall, er übernimmt mehr Verantwortung, und wenn es nur Kleinigkeiten sind. Jeder in unserer Molt hat ein verschiedenes Aufgabengebiet. Und der Hauptgefreite Quandl zum Beispiel hat sich ganz hervorragend darin ausgezeichnet, weil er da ein Händchen für hat, egal, ob es Bestellungen sind oder sonstiges, er ist unser Mann, den wir das Geld anvertrauen. Und er macht das alles, also, ganz hervorragend. Das ist das, was mir beim Hauptgefreiten Quandl auf jeden Fall aufgefallen ist, was nicht dienstlich ist."

10 Uhr. Fünf gepanzerte Geländewagen und Mannschaftstransporter verlassen das Lager am Rande von Feyzabad, mit 40.000 Einwohnern, die größte Stadt hier im Norden Afghanistans. Die Ausläufer der Stadt, schmale Häuser aus gebrannten Lehmziegeln sind zu sehen. Im dritten Wolf, ein Geländewagen, sitzt Martin Wedel am Steuer, versucht durch die dichte Wolke von Dreck und Staub nicht den Anschluss zu verlieren.

Sehen kann er kaum etwas. Schlaglöcher erfühlt er mehr und das meistens zu spät, den Abstand zum Vordermann kann der 23-Jährige höchstens grob einschätzen. Neben Wedel ächzt ein Feldwebel, hinten auf dem Wagen, stützt sich der MG-Schütze mit Händen und Beinen ab, um nicht im Straßengraben zu landen. "Alles normal", sagt der Hauptgefreite und knallt mit dem rechten Vorderrad wieder in ein tiefes Loch. Über die Ladefläche kullert eine halbvolle Wasserflasche Der MG-Schütze Heinz Schmitz zeigt auf Pakete, Taschen und Kisten, die um ihn herum festgezurrt sind.

"Maschinengewehr, Granaten, für das Maschinengewehr, Ersatzrohr, Ersatzverschluss, sprich, Splittermunition für die Grapi, Nebelhand, weiß, Farbnebel für Hubschrauberlandung, ER-Munition für die Grapi, und Signalpistole, Munition und die Pistole selber. Und dazu hat jeder Soldat eben noch seine Pers.-Ausrüstung, sprich: Handgranate, Pistole, G36, Pfefferspray, Ersatzmagazin ist klar. Das ist es an Waffen, die wir drauf haben. "

Und noch eine Panzerfaust, die an der Decke des Wagens baumelt. Sieht nach einem Kampfeinsatz aus, ist aber alles normal, sagt der MG-Schütze und krampft sich an der Haltestange fest.

"Nö. Rechnen? Was heißt nö? Man muss immer damit rechnen. Aber, sagen wir so: Wir mussten sie zum Glück noch nicht einsetzen."

Wieder trifft Wedel ein Schlagloch und nur die laute Musik aus dem Radio übertönt das Stöhnen der Mitfahrer: Der Gelände-Wolf gilt als gepanzert, doch die Männer von Molt 3 lächeln auf derartige Hinweise sehr gequält. Sie sind Soldaten von der Panzerbrigade 21. Die dünnen Panzerplatten unter dem Wagen und in den Türen haben für sie daher mehr symbolischen Charakter. "Panzerungen", sagen sie lakonisch, das sind mehrere Zentimeter dicker Stahl. So wie bei ihren Leopard-Kampfpanzern, mit denen sie sonst unterwegs sind. Doch die stehen 6,5 Flugstunden entfernt in einer Garage.

Der Flugplatz ist eine schmale Wiese mitten im Tal. Vielleicht 1500 Meter lang. 300 Meter breit. Die Landepiste besteht aus Metallplatten, verlegt noch von der russischen Armee. Heute landen hier amerikanische Militär-Flugzeuge und alte russische Transporthubschrauber einer afghanischen Privatlinie. Sie liefert die Post für die 450 Soldaten des Lagers.

Die Sonne blendet. 20 Grad ist es warm, und auf den umliegenden Bergen glänzen die Schneekuppen im Licht. 2000, 3000, 4000 Meter hohe Berge, wie Perlenkette aneinandergereiht, umgeben das schmale Tal von Feyzabad. Vereinzelt sind Dörfer an den Berghängen zu erkennen; ein einziger Baum inmitten der lehmfarbenen Ödniss wirkt wie ein Leuchtturm. Martin Wedel stoppt seinen Wolf, die übrigen Fahrzeuge verteilen sich auf dem Flugplatz. Die Männer beobachten die Berge. Von dort wird das Lager regelmäßig mit chinesischen Raketen beschossen. Martin drückt sich in seinen Fahrersitz. Ihm gefällt es hier:

"Na ja. Ist schönes Land, in dem Sinne, alles ruhig bis jetzt. Was will man mehr? Ist schon Stress zwischendurch, in manchen Teilstücken. So nach zwei Monaten bekommt man da so ein kleines Tief. Aber danach geht’s wieder bergauf."

"Hat das irgendwo einen tieferen Grund, warum es zum Tief kommt?"

"Na, weil sich einfach alles wiederholt. Man macht immer das Gleiche. ... Und, na ja …
Wollen wir mal eben?
Ja, tu dies. lass mein Auto ganz."

Martin Wedel steigt aus dem Wagen, schnappt sich sein schwarz-glänzendes Gewehr, geht ein paar Schritte um den Wagen. Ein Mann in Flecktarn-Jacke, Flecktarn-Hose und Panzerweste, mit Funkgerät, Pistole, Gewehr und Handgranaten, bückt sich, zupft eine Blume aus der Wiese und riecht daran, als wäre er mitten im Park von Lemgo, der Patenstadt der Brigade.

"Na, allein durch die ganzen Berge auch, durch die Grünfelder, die es noch gibt hier, durch teilweise die Blumen, die man sieht, was sie draus machen und wie sie es draus machen vor allen Dingen, ist schon beeindruckend, für mich zumindest."

Vor vier Monaten werden auf einem Parkplatz in Lemgo die Soldaten verabschiedet, damals beobachtet von ihren Ehepartnern, Eltern, Freunden. Unter ihnen, Martins Mutter mit Tränen in den Augen. Sie hat sich beruhigt, sagt Martin heute und legt sich die Blume in die Handfläche:

"Ja, die Sorge, denk ich mal, bleibt immer. Da kann man so oft versuchen sie zu beruhigen, wie man will. Da steckt man nicht drinnen. Du schreibst E-Mails? Ja, ganz genau - E-Mails, Messenger, ... SMS teilweise auch noch, ja. Aber mittlerweile hat sie sich beruhigt, soweit es geht."

So wie Martin Wedel da steht, martialisch aufgebrezelt, wirkt er wie ein Krieger aus der Zukunft. So wie er die Blume in der Hand hält und wie er von Zuhause, von Vater und Mutter spricht, in seiner langsamen Art und in warmer Tonlage, wirkt der 23-Jährige wie ein großer Junge, der an einem Bahnhof vergessen worden ist.

Ein Spiel. Drei Wünsche darf er äußern. Selbst nach einigen Minuten fällt ihm nichts ein. Vielleicht ein Burger, einen richtigen Burger, durchgebraten. Dann wirft er die Blume weg, greift nach dem Gewehrschaft, stampft davon. Wieder ganz Krieger. Ohne Angst?

"Ich denke mal, die Angst ist ein ständiger Begleiter hier in dem Land. Es kann immer was passieren. Hoffen tun wir es natürlich nicht, aber bis jetzt, richtig panische Angst eigentlich nicht. Keine Situation, mal beschossen worden? Ja, wie gesagt, außer das die Antennenstation da oben, war es eigentlich komplett ruhig hier, was wir mitgekriegt haben."

Die Antennenstation ist vom Flugplatz zu sehen. Auf einem Berg. Die drei Telefonmasten, zwei zivile und ein militärischer, werden von Patrouillen der Bundeswehr ständig kontrolliert. Auch nachts. Und dabei gerät Molt 3 unter Beschuss.

Die Täter! Drogenhändler, Waffenschmuggler, vielleicht Taliban. Sie fliehen, verschwinden spurlos, als Molt 3 deutlich antwortet.

Nicht das erste Mal, dass der Hauptgefreite lernt, im diesen Krieg zu überleben. Eine Veränderung an sich spürt er nicht:

"Ich denke mal, für mich her, nicht, eigentlich nicht, nee. Aber ich denke mal, das sagt auch jeder von sich."

Der alte russische Hubschrauber ist entladen, die Bundeswehr-Hubschrauber, die später noch kommen, sind direkt im Lager gelandet. Aus Sicherheitsgründen. Es wird ruhiger auf der alten Militärpiste. Afghanische Arbeiter, beobachtet von den Soldaten, wuchten kaputte Metallplatten der Notpiste aus ihren Verankerungen, verlegen neue Platten. Die Bundeswehr kauft die Platten direkt beim russischen Hersteller.

Die Fahrzeuge der Bundeswehr haben sich neu verteilt, die Soldaten beobachten weiter die Berge, die sich in drei, vier Kilometer Entfernung auftürmen. Aus Feyzabad dringt der Ruf des Muhezin. Die Sonne verschwindet langsam hinter den Bergketten. Solange noch an der Piste gearbeitet wird, sichern die Soldaten den Flugplatz. Feyzabad ist die Hauptstadt der nördlichsten afghanischen Provinz Badakhshan. Obwohl viele Bodenschätze vorhanden –Rubine, Kohle und Gold - ist Badakhshan die ärmste Provinz Afghanistans. Eine einzige Serpentinnen-Straße durch das Gebirge verbindet die Region mit dem Rest des Landes. Martin Wedel wartet wieder hinter seinem Lenkrad. Bald ist Feierabend. Aus Langeweile zählt er die Aufträge für die letzten Tage:

"Jetzt haben wir auch nicht mehr viel zu machen. Jetzt müssen wir noch das eine Mal schießen, die zwei Nachtfahrten da …"

Und für heute: Einmal duschen, einmal essen und zwei Dosen Bier in der Tali-Bar. Für mehr reicht die Freizeit nicht.

Dienstag, noch 22 Tage bis zum Heimflug. Das Zelt von Molt 3 ist abgeschlossen. Vor der Tür sitzt Hauptfeldwebel Heller, raucht eine Zigarette und sortiert auf der Bank Zettel mit Notizen von der letzten Lagebesprechung. Seine Männer – verschwunden. Heller grinst anzüglich, sagt "Die schlafen alle." Sein mobiler Aufklärungs- und Verbindungstrupp hat heute Bereitschaft. Die Fahrzeuge stehen aufmunitioniert in Garagen. Die Männer müssen in 30 Minuten oder schneller das Lager zu verlassen. Bei Anschlägen oder bei Unfällen. Die Soldaten nutzen die Pause, bringen Wäsche weg, putzen Waffen, schreiben Briefe nach Hause – oder schlafen. Fritz Heller, stämmig, mittelgroß, blinzelt in die Sonne, murmelt was von "ich muss noch braun werden". Für ihn haben sich seine Soldaten verändert, deutlich verändert:

"Ich würde sagen, auf jeden Fall die menschliche Reife, jetzt zu dem jetzigen momentanen, zur momentanen Situation. Aber ich merke es halt. Wenn ich vorher, vor dem Einsatz mit dem geredet habe und jetzt, also, man bekommt durchdachtere Antworten. Man überlegt auch vorher noch mal, was man genau sagt. Also, so, an diesen Situationen mache ich das eigentlich fest. Nee, Spaßfaktor ist bei uns ganz hoch und das ist auch wichtig im Einsatz. Aber so, auch untereinander, wie man miteinander redet, der eine hält mehr zum anderen jetzt, wie es vielleicht vorher auch gewesen ist."

Nein, er sagt es nicht, dass er stolz ist auf sein Molt-Team. Das wäre dem Mittdreißiger vermutlich peinlich. Es sind seine Gesten, seine Mimik, seine Augen, die diesen Schluss zulassen, wenn er über "sein Molt" redet, die im Lager nur "Nudel-Molt" gerufen werden. Was einen Grund hat. Der Hauptfeldwebel ist mit einer Sizilianerin verheiratet und liebt Nudeln in jeder Form. "Der Respekt", sagt er dann noch und zieht an der Zigarette, "ist untereinander größer geworden."

"Dass die sich verändern, ja, aber, also, in dem Maße nicht. Also, es ist schon ein Unterschied, ob ich mit einem Soldaten vorm Einsatz gearbeitet habe oder jetzt. Das ist ein himmelweiter Unterschied in meinen Augen. Bessere Menschen und bessere Soldaten? Bessere Menschen will ich nicht sagen, bessere Soldaten auf jeden Fall, ja."

Links von Heller ist die Tür zu den Schlafcontainern. Immer zwei Mann teilen sich eine etwa zehn Quadratmeter große Zelle, klimatisiert, mit Email-Anschluss. Dach und Seitenwände sind gepanzert. Wer hier drin ist, ist sicher vor Raketen. Nur leise dringt der Lagerlärm rein.

Martin Wedel reißt Pakete auf und vergleicht die Liefermenge mit dem Bestellzettel. Neue T-Shirts, Badelatschen und Messer sind eingetroffen. Das Zimmer ist nicht sauber. Nicht einmal ansatzweise. Es sieht aus wie in einer Rumpelkammer.

"Also, es sollte nur nicht zu chaotisch aussehen, dass die Dienstgrade, wenn die hier reinkommen, direkt einen Schock kriegen und rückwärts wieder rausfallen. Es sollte schon einigermaßen wenigstens ordentlich sein, wo es hier eigentlich im Moment nicht so ist. Ja, jetzt in den letzten Wochen wird das nicht mehr so eng gesehen. Ja, einmal in der Woche fegen wir hier durch, räumen, soweit es geht, alles weg. Ja."

Zwischen den Betten steht ein Regal. Martins Regal, ein Sammelsurium von CDs, Zeitschriften, Munitionsmagazinen und …

"Von links nach rechts? Da haben wir einmal Cabanossi, … Nudeltöpfe. Nudeltöpfe haben wir, also Fünfminutenterrinen, Pistazien, Schokobrötchen, Milchbrötchen, Traubensaft. Den haben wir hier aus der Küche. Ja, dann noch Schuh-Deospray, ja, dann halt noch, wie gesagt, Getränke, Süßigkeiten."

Vier Pakete Schokobrötchen liegen gestapelt im Regal. Sie kommen von den Eltern, die ihm regelmäßig Pakete schicken. Und was lässt er sich sonst noch schicken?

"Ich schreib, sag eigentlich immer nur, überrasch mich, schick mir irgendwas mit ... Und …"

Mit seiner Mutter hält er Kontakt, schreibt E-Mails und SMS, manchmal sogar einen Brief. Und was berichtet er? Martin wiegt den Kopf, überlegt, sagt "Alltägliches." Was für ihn bedeutet: Nicht viel, nur schönes, nettes und nie etwas gefährliches. Erlebt hat er es schon auf seinen Patrouillenfahrten durch die Provinz Badakhshan, die so groß ist wie Niedersachsen.

"Ja, wir waren in. in einer Kompanie. Das ist eine Kompanie, die hier auch Aufbauhilfe leistet, und haben da übernachtet. Ja, und dann morgens um 4.00 sind halt Raketen über unsere Köpfe weggeflogen, wo wohl der Angriff halt nicht uns galt. Wir waren halt nur zur falschen Zeit am falschen Ort."

Angst? Muffensausen?

"Ja, ist auf jeden Fall schön, morgens um 4.00 damit geweckt zu werden. Man hört es auch. Und nach den drei Stück, die da über unsere Köpfe hinweg geflogen sind, war auch Ruhe, außer halt von den Guards, die da oben in den Bergen halt Feuergefechte geführt haben. Ja, und dann sind halt ein paar Leute von uns da hoch und gucken, ob da noch was liegt oder von wo aus sie abgefeuert wurden. Mittags kam dann der EOD-Trupp, also, die für IDs zuständig sind, und haben die letzten zwei, die da oben noch lagen, entschärft."

Die EOD-Truppe sind die Sprengstoffexperten, die entdeckte Minen, Raketen, und Sprengstoffpakete beinahe täglich entschärfen. Martin beugt sich nach vorne, schaut durch die kleine Fensterluke seines Quartiers, erzählt fast emotionslos vom heimtückischen Überfall in der Nacht, der ihn auch jetzt wieder wütend macht.

"Ja, einerseits schon, nur, was soll ich sagen? Es kann uns hier genauso passieren, dass uns irgendeiner hier ansprengt oder sonstiges. Wenn sie uns halt am Arsch kriegen wollen, tun sie es. Da können wir auch nix machen. Na, man ist vorsichtiger. Man guckt überall richtig nach und beobachtet wirklich die Straße, ob irgendwas da liegt oder sonstiges, ob irgendwo in ner Seitenstraße irgendeiner steht mit, was weiß ich nicht … und man ist halt einfach nur vorsichtiger."

Hauptgefreiter Wedel reißt die Garagentür auf, macht Licht an, zeigt seinen Geländewagen. Sein "Checkermobil", wie er den Geländewagen vom Typ Wolf nennt. Er ist der Fahrer des Wagens. Über 2500 Kilometer ist er damit gefahren. Meistens auf Wegen und Strecken, die den Begriff Straße nicht verdienen.

"Die erste Zeit war's, die erste Woche draußen ist es halt noch ungewohnt auf den Berg zu fahren, wo dann links einfach nur gerade runter geht oder rechts. Aber man gewöhnt sich dran. Mittlerweile weiß man auch, wie man zu lenken hat, wenn man wirklich enge Scheißkurven da hat, die voller Sand sind. Das sieht man dann schön, wenn man links runter guckt, dass es so 50 bis 100 m einfach runter geht, wo einfach gar nix ist. Kriegt man da am Lenkrad ein bisschen Zittern? Nö. Nö, mittlerweile nicht mehr. Am Anfang, wie gesagt, in den ersten ein, zwei Wochen, da war's so, aber, wie gesagt, man gewöhnt sich dranne."

Martin Wedel klappt das Garagentor wieder zu, geht zurück zum Zelt seines Trupps, in dem sich alle Mann schon versammelt haben. Befehlsausgabe!. Wie alle 450 Soldaten im Camp reden sie über den neuen Anschlag auf deutsche Soldaten in Kundus. Zwei Soldaten tot, weitere verletzt. Es sind stille Kommentare, die fallen. Manchmal auch wütende. Hauptfeldwebel Heller, wieder mit düsterem Gesicht, hat Mühe die Kontrolle im Zelt zu gewinnen.

"Zu dem Anschlag in Kundus haben die Taliban sich bekannt, war ja damit zu rechnen, dass es so ist, und haben natürlich auch gleichzeitig, wie immer, gedroht, dass das nicht der letzte Anschlag gegen ISAF-Soldaten gewesen sein soll, so lang die Deutschen oder ISAF insgesamt die Truppen nicht aus dem Land rauszieht. Ich fordere jeden Soldaten auf, TV zu gucken. Da laufen öfters die Pressekonferenzen vom Minister. Dann kennt ihr auch seine offizielle Stellungsnahme dazu. Die Molt trifft sich um 8 Uhr hier. 0815 hab ich Update. Dann könnt ich was zum Tag sagen, zu der laufenden Operation, die momentan draußen läuft, und eventuell Neuigkeiten aus Kundus."

Heller stellt eine Spendendose auf den Tisch, ohne viel zu sagen. Das gesammelte Geld geht an die Familien der verletzten und toten Soldaten. Die Männer im Zelt schweigen, holen ihre Brieftaschen heraus. Es ist, sagt einer leise, "Ehrensache". Der Tod der Soldaten wird nicht diskutiert, jedenfalls nicht laut. Sie wissen, dass kann ihnen schon morgen selbst passieren, aber sie wollen sich nicht näher damit befassen. "Es lebt sich leichter", sagt später ein Hauptgefreiter und ist sich über die Doppeldeutigkeit seiner Aussage gar nicht im Klaren. Er verschwindet auf dem dunklen Weg zur Tali-Bar. Feiern ist heute verboten, trauern und trinken nicht.

Martin Wedel sitzt im Dunkeln, abseits von Molt-Zelt und Wohnzelle, auf einem Stein. Aus der nahen Kirche dringt das Orgelspiel nach draußen. Ein Gottesdienst. Für die toten Soldaten in Kundus, rund 300 Kilometer von Feyzabad entfernt. Die Kirche ist voll, selbst auf der Straße vor der Kirche stehen dutzende Soldaten, schweigen, beten. Der Wind ist heftiger geworden, die Temperaturen sinken unter zehn Grad. Martin schaut zum Himmel, verfolgt eine Sternschnuppe. Was er sich wünscht, bleibt sein Geheimnis. Er hat sich kurz überlegt, seinen Einsatz zu verlängern. Doch er hat Angst zu vereinsamen, weil alle seine Kollegen nach Hause gehen. Deshalb geht er mit. Warum wollte er bleiben?

"Erstens mal das Land und halt die Aufgabe. Die Familie muss sowieso damit klar kommen, kann mich sowieso nicht beeinflussen, weil das ist ja meine Sache, ob ich hier runterfliege oder nicht. Na ja, ich find's schön hier. Ja. Es hat auf jeden Fall was, vor allen Dingen, wenn man nachts draußen schläft und einfach die Wache macht, mal kurz hoch guckt und die ganzen Sterne, wie gesagt, sieht …"

Dann drückt Martin seine Zigarette aus, steht auf, geht. Ein letzter Blick zur hell leuchtenden Milchstraße, fast zum greifen nah. Nirgendwo sonst fühlt er sich näher zum Himmel als hier in der afghanischen Ödniss von Feyzabad.