Nackt in Wrodow

Von Ralph Gerstenberg · 23.09.2005
Das Kunstschloss Wrodow in der mecklenburgischen Schweiz ist seit Jahren Anziehungspunkt für viele Kulturinteressierte. Besitzer sind die Berliner Brigitte Gross und Frank Bauer, die das Gebäude vor zwölf Jahren erworben und gemeinsam mit Dorfbewohnern und Freunden saniert haben. Eine lebendige Symbiose von Städtern und Einwohnern, Landleben und Kunst sowie Tradition und Avantgarde entstand. Zurzeit sind Aktfotografen in dem Schloss.
Bauer: "Das Wesentliche für uns ist eigentlich gar nicht so sehr das Gebäude selbst, sondern die Menschen, die uns dieses Gebäude zuführt."

Frank Bauer und seine Frau Brigitte Gross stehen vor dem Eingang ihres Schlosses im mecklenburgischen Wrodow - ein Gebäude, das ihr Leben verändert hat.

Bauer: "Im Allgemeinen ist es ja so, dass mit dem Alter - ich bin jetzt 65 Jahre alt, Brigitte ist 70 Jahre alt - die sozialen Kontakte abnehmen. Bei uns gibt es genau den umgekehrten Prozess. Die sozialen Kontakte nehmen enorm zu."

Den Turm des Schlosses kann man bereits aus der Ferne sehen, wenn man die Landstraße von Penzlin entlang fährt. Ein beeindruckendes Bauwerk, dessen Zinnen über die Wipfel der Bäume ragen. Ehemalige Bauernkaten aus rotem Klinker, an deren Giebeln Satellitenschüsseln kleben, säumen die mit Feldsteinen gepflasterte Straße. Vor zwölf Jahren entdeckten der Berliner Jugendrichter Frank Bauer und die Religionslehrerin Brigitte Gross gemeinsam das ruinöse Schloss in Wrodow, idyllisch gelegen zwischen Waren und Neubrandenburg.

Gross: "Das Schloss stand in strömendem Regen (…). Das Gebäude sah in dem Regen sehr gewaltig aus und ein bisschen unheimlich, weil die Tauben raus und reingedüst sind und die Fenster kaputt waren. Es wirkte ein bisschen gespenstisch."

Bauer: "Dann klapperte der Storch auf dem Türmchen. Und da schrie Brigitte: "Lass es uns machen", nachdem ich sie gefragt habe: "Ja, lass es uns machen, aber nicht zum Privatisieren. Lass uns einfach was mit Kunst hier machen.""

Gross: "Aber ich hab nicht gedacht, dass ich an dem Gebäude was restaurieren muss. Ich hab einfach gedacht, ich setz da ein paar Efeuranken ran und dann machen wir da wilde Sau in dem Gebäude und gucken mal, wie man damit spielen kann."

Zusammen mit dem Künstler Sylvester Antony kaufte das Paar das Schloss für 120.000 Mark und sanierte das Gebäude zehn Jahre lang mit eigenen Mitteln. Die Bewohner des 68-Seelen-Dorfes gingen den neuen Schlossherren von Anfang an zur Hand. Die meisten von ihnen sind deutschstämmige Flüchtlinge aus Bessarabien oder der Bukowina, die nach dem Krieg hier angesiedelt wurden und ihre süddeutschen oder österreichischen Wurzeln in den
Mecklenburger Boden gruben.

Wawrik: "Und wenn I drauf denk an mein junges Leben …"

Der 72-jährige Gärtner Ambros Wawrik ist in der Bukowina aufgewachsen. Nach seiner Ansiedlung in Mecklenburg lebte er in Gemeinschaft mit anderen Aussiedlern jahrelang im Wrodower Schloss.

Wawrik: "Wir sind Menschen, die … (Kinderruf: "Hallo!" – Wawrik: "Hallo – ist noch mehr Jugend hier? Schön, dass noch Kinder hier rumlaufen.") Wir gehen aufeinander zu. Sie haben's schon gemerkt, ich grüße alle und dann geht's schon los mit Erzählen. Das ist ja das Schöne - diese Gemeinschaft, die wir hier geführt haben bis zum heutigen Tage, auch mit den Schlossleuten, mit Herrn Bauer, mit Brigitte Bauer (…), die gehören eben schon zur Gemeinde."

Frank Bauer läutet zum Wrodower Kunstfest. Die Leute strömen in den Festsaal. Gegenüber vom Schloss an der Mauer eines ehemaligen Stallgebäudes, das jetzt als Kunsthalle und Café genutzt wird, steht der Beuys-Spruch: Jeder Mensch ist ein Künstler.

Bauer: "Joseph Beuys hat die soziale Plastik entwickelt, das Gesamtkunstwerk: Jeder ist ein Künstler auf seine Weise, nicht jeder ist ein Maler, nicht jeder ist ein Bildhauer, aber auf seine Weise ist jeder Mensch ein Künstler. Da wir hier auf dem Lande sind, haben wir die soziale Plastik von Beuys etwas erweitert um den Begriff bio - meint nun nicht öko, sondern bio heißt schlicht und einfach: Wir befinden uns hier auf dem Lande, und deswegen entwickeln wir hier die biosoziale Skulptur als Gesamtkunstwerk. (…) Jeder kann im Schloss ein- und ausgehen wie er will. Und jeder kann seine Ideen einbringen."

"Eine kleine Nacktmusik" lautet das Motto des Festes am heutigen Tag. Das Ensemble Giocondo spielt, Damen in schwarzen Lederkorsetts servieren Prosecco, an den Wänden hängen Aktporträts von 15 Fotografen, die teilweise im Schloss entstanden sind.

Gross: "Diese Körper, die so ganz plastisch kommen, in Schwarz-weiß, die sind schön."

Die Ausstellung "Lichtbilder – Lustbilder" ist das Ergebnis einer jahrelangen Kooperation der Schlossbesitzer mit einigen Aktfotografen, die die verschiedenfarbigen Räume des Schlosses für sich entdeckt haben, um dort ihre Modelle in Szene zu setzen.

Bauer/Gross: "Eines Tages kam einer der Aktfotografen zu mir hoch und sagte: "Herr Bauer, da unten möchte Sie eine Frau sprechen, Sie müssen mal runterkommen. Sie waren gerade voll im Gange. Die nackten Models standen auf der Treppe (Gross: kicherten und haben sich gegenseitig fotografiert) und fotografierten sich wechselseitig. Ich kam runter, stand unten eine katholische Nonne in voller Montur: "Herr Bauer, hier soll ein Gottesdienst stattfinden, habe ich in Neubrandenburg gehört."- "Was?", sage ich. "Sehen Sie sich nicht so genau um, also ähhem ein Gottesdienst ist es bestimmt nicht." - "Ich bin Schwester Mirjam aus Penzlin, man hat mir gesagt auf Schloss Wrodow findet heute um 17 Uhr ein Gottesdienst statt." Ich sage: "Da muss ein Missverständnis vorliegen, Schwester Mirjam." (…) Aber Schwester Mirjam mit einer kleinen Zwickelbrille auf der Nase nahm diese Situation mit großer Gelassenheit, sie war bewundernswert."

Vor zwei Jahren haben Brigitte Gross und Frank Bauer, die sich seit 28 Jahren kennen, in der Wrodower Kirche geheiratet. Brigitte Gross ist bereits pensioniert und Frank Bauer wird es bald sein. Dann rückt ihr Kunstschloss noch mehr ins Zentrum ihres Lebens. Pläne und Träume gibt es viele, zum Beispiel von einer über Spenden finanzierten Künstlerförderung, die an das Schloss gebunden sein soll. Dafür müssten sie zirka eine Million Euro auftreiben.

Bauer: "Ich weiß, dass ich scheitern werde und ich wünsche mir, dass ich in ganz großem Stil scheitere."

Gross (lacht): "Nein, ich will nicht scheitern, nein, nein, ich will nicht scheitern. Ich möchte gerne, dass das Gebäude sich so immer weiter entwickelt und dass hier weiter Dinge stattfinden können und dass ich dieses Gebäude später so verlassen kann, dass ich mir vorstelle, hiermit geht was weiter, doch, das möchte ich schon."