Nachwuchsfilmfest in München

Spannend, experimentell, unkonventionell

Zelle in der Abteilung "Ausschaffungshaft" im Flughafengefängnis Zürich
Ein Blick in eine Zelle in der Abteilung "Ausschaffungshaft" im Flughafengefängnis Zürich © imago/EQ Images
Von Noemi Schneider · 16.11.2015
Filmstudenten aus 21 Ländern zeigen beim "Film School Fest Munich" ihre Kurzfilme. Darunter ist auch der Dokfilm "Zaungäste" über ein Schweizer Abschiebegefängnis. Lisa Gerig hat ihn mit versteckter Kamera gedreht.
"Als wir am Drehbuch arbeiteten, hatten wir zehn, zwanzig Entwürfe. Wir haben an dem Film mehr als ein Jahr gearbeitet, es war verrückt",
erzählt Nadav Ruziewicz. Der israelische Drehbuchautor präsentiert in München gemeinsam mit dem Regisseur Amit Tzarfati den Kurzfilm "Raav" – "Hunger" über einen einsamen älteren Mann und eine junge Kellnerin, die sich mitten in der Nacht auf dem Parkplatz eines Schnellrestaurants begegnen. Ein Kurzfilm stellt immer eine ganz besondere Herausforderung für die Macher dar, da sind sich die beiden Filmschulabsolventen einig.
"Bei einem Langfilm hat man Zeit, man hat eine Exposition, man kann etwas aufbauen. Aber bei einem Kurzfilm, da müssen die Zuschauer in der ersten oder zweiten Szene ganz genau wissen, wer ist diese Figur, wer ist der Held hier. Alles muss sehr präzise sein. Jeder Dialog, jeder Ort, jede Kamera-Einstellung, denn jede Minute zählt."

Amit und Nadav haben beide an der renommierten israelischen Filmschule Sam Spiegel in Jerusalem studiert. Nach Deutschland kommen die meisten Wettbewerbsbeiträge aus Israel und Belgien, die etablierten Talentschmieden sind jedoch bei der diesjährigen Festival-Ausgabe eher in der Minderheit. Die berühmte polnische Filmschule Lodz ist mit nur einem Beitrag vertreten, Filme der traditionsreichen Prager FAMU, der britischen National Film and Television School oder der gastgebenden Hochschule für Fernsehen und Film München sucht man im Wettbewerb vergebens. Im internationalen Vergleich dominieren Film- und Medienstudiengänge von Kunsthochschulen gegenüber den klassischen Filmschulen.
Flüchtlingsthema zieht sich durch den Wettbewerb
Das Themenspektrum ist breit gefächert: Spielerische Animationen aus Japan, originelle Kurzporträts aus Österreich, essayistische Versuchsanordnungen aus Großbritannien, Tagebuchnotizen aus Griechenland und Experimentelles aus Lappland. Die arabische Welt ist leider nur im europäischen Exil vertreten, zum Beispiel im belgischen Beitrag "A lemon perfume" in dem die Ehe eines libanesischen Ehepaares beinahe an der Kinderfrage zerbricht.
Das Thema Flüchtlinge zieht sich durch den gesamten Wettbewerb, besonders beeindruckend ist Lisa Gerigs Diplomfilm "Zaungäste" von der Zürcher Hochschule der Künste, in dem die Filmemacherin ihre Erfahrungen in einem Schweizer Ausschaffungsgefängnis dokumentiert, dessen Insassen in Ausschaffungs-, zu deutsch, Abschiebehaft, sitzen.
"Ich hab ja immer heimlich gefilmt, das sieht man den Bildern ja auch an, sie wackeln und beim Zaungespräch wurde ich auch weggeschickt von der Polizei, weil man darf nicht über diese Zäune rufen."

Filmen darf Gerig im Gefängnis nicht, also filmt sie draußen und erzählt, was sie drinnen erlebt und scheut sich nicht, eine Haltung einzunehmen.
"Dieses Gefängnis ist wirklich ein brutaler Ort, also ich finde für das Bild, das man von der Schweiz hat, es ist an der Grenze vom Recht, wie man es sich vorstellt und die Haftbedingungen sind extrem hart, die Leute leiden wirklich. Und ich finde, es ist einfach in keiner Weise verhältnismäßig Leute, bis zu 18 Monate einzusperren, ohne dass sie eine Straftat begangen haben. Das finde ich wirklich nicht legitimierbar."
Hochspannende Reflexion über Gefangenschaft und Freiheit
In nur 13 1/2 Minuten gelingt Lisa Gerig in "Zaungäste" eine aktuelle und hochspannende Reflexion über Gefangenschaft und Freiheit. Kongenial erörtert auch die Berliner Filmstudentin Zora Rux in ihrem Kurzfilm "Geschützter Raum" wie eine idealistische Gruppe deutscher Helfer gemeinsam mit Flüchtlingen in einer Plenumssitzung diskutiert, wie weiter verfahren werden soll, nachdem ein Flüchtling eine junge Frau aus der Gruppe sexuell genötigt hat.
Filmszene "Geschützter Raum":

"Ich mein, wenn wir hier sagen, wir kämpfen für die gleichen Rechte, dann müssen es doch auch die gleichen Rechte für alle sein, oder?"
"Überleg doch mal, was dann passiert? Dann kommt die Presse her, die Politiker nehmen das als guten Vorwand, um hier ein für alle mal alles dicht zu machen. Dann werden alle abgeschoben oder zurück ins Lager gesteckt und das alles nur wegen einer Frau, die meint für ihre Frauenrechte kämpfen zu müssen!"
"Es geht nicht um Frauenrechte, es geht um Menschenrechte."
Ob dreieinhalb oder 30 Minuten, bei der 35. Ausgabe des Filmschool Fests Munich beweist der filmische Nachwuchs eindrucksvoll, wie man in kürzester Zeit mit oder ohne Lehrbuchdramaturgie und den unterschiedlichsten Mitteln eine maximale Wirkung erzielen kann. Statt bloßer Unterhaltung erwarten den Zuschauer spannende, experimentelle, unkonventionelle, ernste und humorvolle Auseinandersetzungen mit der Gegenwart, die sich nicht vor den großen Fragen scheuen und zum Nachdenken anregen.
Almost Famous lautet das Motto des Festivals, im Berufsleben stehen die jungen Filmschulabsolventen allerdings noch ganz am Anfang. Amit arbeitet vorübergehend als Cutter beim israelischen Fernsehen, Nadav schreibt Seriendrehbücher fürs Fernsehen und Lisa Gerig arbeitet als Regieassistentin.

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