Nachwuchs für die Kommunalpolitik
Parteien leiden an Überalterung, überall fehlt es an jungen Kommunalpolitikern. Um mehr Nachwuchs zu rekrutieren, setzen die Parteien zunehmend auf regionale Förderprogramme.
"Mein Name ist Timo Storch, ich bin seit nunmehr ziemlich genau fünf Jahren in der SPD, mittlerweile bin ich im Ortsverein tätig, hab’ ne neue JUSO-AG aufgebaut und bin seit der letzten Kommunalwahl im Gemeindeparlament tätig, ich bin da in unserer Fraktion mit Abstand von 15 Jahren der jüngste, glücklicherweise nicht im ganzen Parlament, da gibt’s noch einen, der ist 23, und dann kommt lange nichts. Zu meinen Zielen und Wünschen: erstmal natürlich unter junge Leute zu kommen, das sieht man ja bei SPD-Veranstaltungen relativ selten …"
Junger Sozi allein in alterndem Kommunalparlament. An diesem grauen Winterwochenende trifft er in einem Tagungshaus in Neu-Isenburg bei Frankfurt auf 20 Leidensgenossen, alle Teilnehmer an der ersten Junior-Kommunalakademie der hessischen SPD. Darunter auch Gloria-Johanna Jörg aus dem Rheingau-Taunus-Kreis, 21 Jahre alt, Studentin der Volkswirtschaftlehre.
"Ich bin seit 2004 in der SPD, hab’ dann da angefangen, ganz unten mit’n Jusos, seit 2006 dann auch in der Gemeinvertretung. Da bin ich mit Abstand von elf Jahren die Jüngste, immer so’n bisschen das Küken, dementsprechend wünsche ich mir schon, dass ich hier fachliche Kompetenz erlange – ob’s jetzt Haushaltsrecht ist, Kommunalrecht allgemein, und natürlich freue ich mich auch, andere junge Kommunalpolitiker kennen zu lernen und mich mit denen auszutauschen …"
SGK heißt "Sozialdemokratische Gemeinschaft für Kommunalpolitik". Die Junior-SGK ist das hessische Pendant der überregionalen SPD-Kommunalakademie, die Franz Müntefering 2001 ins Leben rief. Fortbildung für 100 junge Sozialdemokraten pro Jahr. Eine exklusive Veranstaltung, die den Bedarf nicht deckt. In Hessen hat die SPD 2006 die Rolle der stärksten kommunalen Kraft an die CDU verloren. Bis zur Kommunalwahl 2011 hundert junge, fitte Mandatsträger fortzubilden, soll helfen, die Führung in Städten und Gemeinden zurückzuerobern. Michael Siebel, Landes-Geschäftsführer der SGK:
"Die hessische SGK unterscheidet sich von der Kommunalakademie des Bundes, indem sie den Anspruch erhebt, politischer und fachlicher zu sein. Wir wollen, dass die sozialdemokratische Prägung von Kommunalpolitik hier vermittelt wird, und wir wollen, dass unsere jungen Menschen, die hierher kommen, fachlich fit sind, dass sie Kommunal- und Haushaltsrecht lernen, dass sie etwas über Baurecht erfahren und auch diese formalen Qualifikationen bei uns vermittelt bekommen."
Pressearbeit, Selbst- und Zeitmanagement stehen zusätzlich auf dem Programm. Rhetorische Selbstdarstellung ist gefragt. Überraschend in die Mangel genommen wird der junge Genosse, der vor versammelter Runde erzählt, er sei dabei, weil er sich beworben habe.
"Weil du dich beworben hast?
Ja.
Aha, man geht irgendwo hin, weil man sich bewirbt, das ist die einzige Zielsetzung, die du hast?!
Nein.
Nein, noch irgendwelche anderen Zielsetzungen?
Ja, ich will was lernen … "
Trainer Achim Moeller mimt den aggressiven Reporter und rammt seinem Gesprächspartner fast den dicken roten Filzer unters Kinn - fingiertes Mikrofon.
"Ja was willst du denn lernen?
Ja, was über Kommunalpolitik.
Warum?
Ja, weil ich Mitglied des Ortsbeirats VI bin.
Aha, Ortsbeirat VI in Frankfurt. Und du willst jetzt den ganzen Laden aufmischen?
Na gut, so würde ich das jetzt nicht sagen unbedingt, aber sagen wir mal, für mein Mandat einiges hinzu lernen, damit ich dem Bürger besser zur Seite stehen kann.
Wunderbar, hervorragend."
Dem Bürger zur Seite stehen - das reklamiert auch die Union für sich. Die Hessen-CDU ist Pionier in Sachen Fortbildung junger Kommunalpolitiker, sie bietet mittlerweile das zweite anderthalb jährige Nachwuchsförderprogramm für hundert junge CDU-Anhänger an. Stark gemacht dafür hat sich Generalsekretär Michael Boddenberg, wohl auch weil er als Quereinsteiger zunächst in die Frankfurter Kommunalpolitik weiß, wie hilflos man sich fühlt, wenn sich zur Magistratssitzung ein halber Meter kryptischer Akten vor einem auftürmt.
"Die Förderung junger Kommunalpolitiker spielt die zentrale Rolle in diesem Programm, denn es geht uns darum, Menschen zur Politik zu führen, beziehungsweise ihnen eine Perspektive in der Politik zu öffnen, die das bisher vielleicht als Idee und Zukunftsberufsausrichtung nicht so gesehen haben. Wir wollen aber natürlich auch jungen Parteimitgliedern die Möglichkeit geben, ihre Kompetenz in jeder Hinsicht zu entwickeln."
Die kleineren Parteien im Hessischen Landtag, FDP und Grüne, bieten Fortbildung über ihre Kommunalpolitischen Vereinigungen und die parteinahen Stiftungen an. Und weil das dem grünen Ortsverband Dreieich im Landkreis Offenbach nicht ausreichte, strickten Roland Kreyscher und andere "alte Hasen" pünktlich zur Kommunalwahl 2006 selbst eine zweiteilige Fortbildung, Titel "Wie funktioniert unsere Stadt":
"Und davon profitieren wir heute noch. Wir haben neue Stadtverordnete gewonnen und durchaus auch eine Handvoll junger Leute, die sich beginnen, für kommunalpolitische Abläufe zu interessieren, auch weil es sich vor ihrer Haustür abspielt. Wir haben uns ein paar Overhead-Folien gestrickt, wir haben zwei Abende angeboten, wir haben das publik gemacht, es sind ein Dutzend Leute gekommen, die sehr interessiert zugehört haben, und ein Großteil davon kommt heute noch regelmäßig zu uns, und manche haben sich spontan sogar für die Kommunalwahl im März 2006 für einen Listenplatz interessiert, und ein paar davon sind heute grüne Stadtverordnete."
Zurück zu den Großen: Die hessischen Sozialdemokraten fordern von Bewerbern die Parteimitgliedschaft und kassieren 250 Euro für die Fortbildung an drei Wochenenden. Fürs christdemokratische Nachwuchsprogramm muss man nicht in der CDU, wohl aber in deren Jugendorganisation sein, der Jungen Union. Das Programm besteht aus 16 Pflichttagen und 16 zusätzlichen fakultativen Tagesseminaren. Es erstreckt sich über anderthalb Jahre, kostenlos für die Teilnehmer. Michael Boddenberg:
"Wir haben das so gestaltet, dass aus den Kreisverbänden heraus jeweils die Hälfte eines jeweiligen Jahrgangs vorgeschlagen wird, beziehungsweise sich dort auch junge Menschen bewerben , die zweite Hälfte der jungen StipendiatInnen wird vorgeschlagen aus dem Landesvorstand, der allerdings auch sehr in die Fläche geht und schaut, welche jungen Frauen und Männer haben sich in irgendeiner Weise besonders hervorgetan, durch ein besonderes persönliches ehrenamtliches Engagement in Vereinen oder in sozialen Einrichtungen, in kirchlichen Vereinigungen oder anderem mehr . Insofern also eigentlich jede mögliche Form des Mitmachens, aber immer natürlich vorausgesetzt, dass man einigermaßen sich auch zur Partei der CDU bekennt beziehungsweise ihr nahe steht."
Werben um den Nachwuchs – schließlich vereinsamen auch junge Christdemokraten in den Gemeindeparlamenten gehobenen Alters. Auf die CDU Wiesbaden trifft das ausdrücklich nicht zu. Ulrich Weinerth ist als Stadtverordneter alter Hase und stolz auf die Brutstätte für junge Polit-Shootingstars auf Kommunal- und Landesebene:
"Wir ziehen immer junge Leute ran und wir haben jetzt gerade wieder eine stellvertretende Fraktionsvorsitzende gewählt, die 27 ist, die jüngste Frau bei uns. Und der Altersdurchschnitt ist deutlich unter 60, was man ja heute, wenn man andere Parteien anguckt, als fast jugendlich ansehen muss, und im Fraktionsvorstand und den Arbeitskreisen haben wir viele unter 40, auch unter 30, und wir versuchen das permanent zu machen. Was natürliche bei vielen Altgedienten, die seit 30 Jahren dabei sind, nicht immer nur Freude hervor ruft, aber das ist ein permanenter gruppendynamischer Druck, den wir von der Führungsspitze aufrecht erhalten, das geht überall, aber das erfordert eben die Arbeit von Jahrzehnten, das dann entsprechend auch durchzuhalten."
Kreisparteitag in Wiesbaden-Biebrich. Geplant ist die Abstimmung über ein Wertepapier, das die Junge Union vorgelegt hat, um die alternde Basis mit jugendlicher Diskussionsfreude anzustecken. Doch erst mal will ein älterer Parteifreund diskutieren, was es da überhaupt zu diskutieren gebe, die Werte seien doch im CDU-Grundsatzprogramm nachzulesen. Horst Klee, CDU-Kreisvorsitzender, ebenfalls Senior, schlägt sich auf die Seite des Nachwuchses, das Wertepapier der JU wird besprochen und abgestimmt.
Für Stefan Spallek, 23, Stadtverordneter in Wiesbaden, designierter Vorsitzender des Integrationsausschusses, ist es die Feuertaufe. Erstmals darf er einen Parteitag moderieren, sitzt in blauem Blazer, hellblauem Hemd und Krawatte oben auf dem Podium. Spallek ist erkältet, angeschlagen an diesem Abend, dennoch dirigiert er die 200 Delegierten souverän, verliert nie den Faden, bindet alle ein. Feuertaufe bestanden, meinen die Parteifreunde danach. Das Erfolgsgeheimnis: inhaltlich und strategisch hat Spallek vorher alles mit seinem Kreisvorsitzenden abgestimmt. Am Nachwuchsförderprogramm der Hessen-CDU hat der Betriebswirtschaftsstudent mit Nebenjob in der CDU-Landesgeschäftsstelle bislang aus Zeitmangel nicht teilgenommen, fortgebildet hat er sich aber:
"Also ich hab’ in der Vergangenheit bereits mehrere Rhetorik-Seminare besucht, ich denke, das ist eines der wichtigsten Handwerkszeuge, die man als Kommunalpolitiker, aber auch auf der gesamten politischen Spannbreite braucht. Seminare im Bereich Sitzungsführung, im Bereich Personenführung, Menschenführung – was das Thema angeht, hat man natürlich auch partei- und verbandsintern ne große Verpflichtung anderen gegenüber, so dass man auch dadurch vorbereitet wird, und außerdem noch Seminare zum Thema Reden schreiben und auch ein wenig Pressearbeit."
Wie viele Rhetorik-Seminare der Hauptredner auf dem Wiesbadener Kreisparteitag besucht hat, ist nicht bekannt. Fest steht: der niedersächsische CDU-Fraktionschef David McAllister, Kronprinz des niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff, ist ein Redner- Talent ersten Ranges. Zur Einführung ins CDU-Grundsatzprogramm zitiert er einen Parteifreund.
"Wer Parteiprogramme liest, liest im Zweifelsfall auch Telefonbücher …"
Das vorwiegend grauhaarige Publikum lässt sich fesseln von McAllisters Parforce-Ritt durchs Grundsatzprogramm – präsentiert als gehobenes Entertainment, - das macht dem 36-jährigen Halbschotten so schnell keiner nach, die kommunal- und landespolitische Blitzkarriere ebenso wenig: mit 25 Fraktionsvorsitzender im Gemeinderat, mit 30 Bürgermeister des Heimatorts Bad Bederkeesa, mit 31 General der Niedersachsen-CDU, nach dem CDU-Wahlsieg 2003 mit 32 Chef der Regierungsfraktion im niedersächsischen Landtag, – planen aber lasse sich so ein Aufstieg nicht.
"Ich werde häufig gefragt von Mitstreitern aus der Jungen Union 'David Mac Allister, wie hast du das geschafft?' Und ich sage: 'Es waren letztlich immer glückliche Fügungen.' Als jüngerer Politiker muss man im Zweifelsfall mehr wissen als ältere. Man muss sich wirklich einarbeiten in die Themen, man muss seriös bleiben, gleichzeitig versuchen, etwas locker zu sein. Und ich sage immer, Kommunalpolitik ist eine ideale Grundausbildung für eine landes- oder bundespolitische Karriere. Gerade die Kommunalpolitik trägt dazu bei, dass man nicht so ideologisch denkt. Wenn man Kommunalpolitik macht, wenn man Gullydeckel repariert, über Abwasserbeseitigung spricht, das ist nicht links, das ist nicht rechts, da zählt der gesunde Menschenverstand, und der ist mindestens genauso wichtig, wie dies Streitereien links-rechts, die wir in Deutschland haben."
Seitenwechsel zur SPD. Achim Moeller dirigiert die Junioren-Fortbildung.
"Letzte Runde - noch mal rumlaufen, die schönste Frage, die ich mir bis zum Schluss aufbewahrt habe. Dazu stellen wir uns in Vierergruppen zusammen und beantworten uns lust- und kraftvoll die Frage, was ist das schönste Erlebnis, das ich in der SPD je hatte."
Andreas Nennstiel, 27, muss nicht lange überlegen. Leuchtende Augen:
"Ja, ich hatte das Glück, zum ersten Mal in meiner politischen Karriere einen Bürgermeister-Wahlkampf aktiv zu unterstützen, und ich bin auch mit von Tür zu Tür gelaufen, habe überall geklingelt und - Wo war das? – In Philippsthal, Nordhessen … und hab’ politische Frühschoppen bei mir gemacht, denn der kam von außerhalb, das ist immer ein bisschen schwieriger, und der hat dann letztendlich gegen zwei einheimische mit 55% gewonnen, und wir hatten endlich wieder unseren SPD-Bürgermeister. Das war das größte Erlebnis bei der SPD. Da bin ich absolut heute noch fröhlich drüber, ist grad mal zwei Monate her."
Auch der junge Wiesbadener Liberale Christian Diers hatte das Glück eines Erfolgserlebnisses gleich zu Beginn seiner Laufbahn. Im aufgegebenen Schlachthof ein Jugendzentrum zu gründen, war das parteiübergreifende Ziel von Jungpolitkern in der hessischen Landeshauptstadt. Sie gründeten die Interessengemeinschaft Schlachthof und setzten sich durch.
"Eine Sache hat man dabei gelernt: wenn man etwas möchte und man es wirklich durchsetzen möchte und sehr hartnäckig dafür kämpft, dann kriegt man diese Sache mit ner sehr hohen Wahrscheinlichkeit zumindest in den Teilen durch, die wirklich essentiell wichtig sind."
Doch auf Jungpolitiker warten auch bittere Niederlagen, deprimierende Rückschläge, schlimmste Anfeindungen. Davon erzählt bei einer Podiumsdiskussion in Frankfurt am Main die Stadtverordnete Nargess Eskandari-Grünberg. Während einer Ausschusssitzung zum umstrittenen Bau einer Moschee stand sie im Publikum, hörte zahllose ausländerfeindliche Sprüche und sagte schließlich in den Saal hinein: Frankfurt habe nun mal 40 Prozent Migranten, wem das nicht passe, der könne woanders wohnen. Nun ist die mit einem deutschen Juden verheiratete, gebürtige Iranerin Eskandari-Grünberg selbst Adressatin schlimmster Hetze geworden, "die Züge nach Auschwitz stehen noch unter Dampf", lautete eine Mail. Mit auf dem Podium sitzt die grüne Nachwuchskommunalpolitikerin Mürvet Öztürk, Kurdin aus der Türkei, Vorsitzende der Alewitischen Frauen in Deutschland. An sie geht die Frage:
"Wie geht’s einem dabei? Beeinflusst das die Position, nach dem Motto, ich werd’ n bisschen vorsichtiger, bevor ich die Rübe rausstrecke, gibt’s die Anfeindungen schon heute?
Wenn wir jetzt Nargess zugehört haben, ist es natürlich schwer, die Emotionen beiseite zu lassen und auf die sachliche Ebene zurück zu kommen …"
Aber mit solchen Anfeindungen rechne sie, sagt die junge Stadtverordnete aus Wetzlar im Lahn-Dill-Kreis, die es soeben mit ihren zusätzlichen Erfahrungen als Brüsseler Referentin für grüne Europaabgeordnete auf einen aussichtsreichen Listenplatz für die Landtagswahl 2008 schaffte.
"Im Kreistag ist die NPD vertreten, die Reps sind vertreten. Ich bin auch in der Politik, weil ich das Gefühl habe, dass diese subtile Fremdenfeindlichkeit so stark ist in der Gesellschaft, dass man demgegenüber nicht schweigen sollte, von daher ist mir das schon bewusst. Nur: wie geht man damit um, wenn man persönlich davon betroffen ist – in der Tat, da muss man glaube ich die Menschen vorbereiten, auch den Menschen mit Migrationshintergrund vorbereiten, dass er nicht zu emotional reagiert, obwohl man das ja gar nicht immer vermeiden kann, sondern dass man in der Situation versucht, der objektive Politiker zu bleiben."
Kommunalpolitik mit ihrer urdeutschen Bürokratie und den festen Kreisen derer, die immer schon da waren, ist sperrig für Migranten. Die Islamwissenschaftlerin Mürvet Öztürk will vermitteln, wirbt für die Kommunalpolitik
"… weil ich den Vereinen und Verbänden, nicht nur den Alewiten, sondern auch den anderen mit Migrationshintergrund, persönlich vorstellen will, wie es möglich ist, doch einige Problembereiche, sei es in Bildung, sei es in Jugend- oder Frauenförderung, dass man diese Dinge verändern kann, wenn man kommunalpolitisch aktiv ist. Und ich bin dann halt das lebendige Beispiel, ich denke, dass man damit den Leuten auch Mut macht, sich in Dinge einzumischen, in denen man sich vorher gar nicht auskennt, aber den Mut hat, den ersten Schritt zu tun, und das andere kommt dann hinterher."
Mut brauchte auch die Liberale Annegret Kracht, als sie vor 35 Jahren in die Kommunalpolitik einstieg - ein Sprung ins kalte Wasser:
"… weil damals sich auch noch weniger Frauen kommunalpolitisch engagierten, ich häufig als einzige Frau in einer reinen Männerrunde war, am Anfang man die ganze Nervosität ablegen musste, die ersten Podiumsdiskussionen oder Reden, die man halten musste, waren mit sehr viel Zittern und Knieschlockern verbunden, aber man wächst hinein, man darf sich nicht abschrecken lassen."
Auch heute nehmen ältere Herrschaften weiblichen Nachwuchs oft nicht ernst, so die Erfahrung der hessischen SPD-Kommunalpolitikerinnen Rebecca Schmidt und Gloria-Johanna Jörg, beide 21.
"Das ist leider nicht nur bei den älteren Herrschaften so, ich muss sagen, das ist manchmal auch bei den älteren Jusos so, und man wird vor allen Dingen als Frau immer als Quotenfrau bezeichnet, das ist etwas, was mir absolut missfällt, und ich hoffe, das irgendwann mal ändern zu können und der Standpunkt der Frau sollte sich in den nächsten Jahren bitte schön noch ein bisschen mehr etablieren in der Kommune und in der Landespolitik. - Da wird man auch im Berufsleben drauf treffen, und da ich VWL studiere, das auch n Fach ist, das hauptsächlich Männer machen, bin ich’s eigentlich gewöhnt und ich wollt’ mich da nicht einschüchtern lassen von irgend jemandem."
Auf der Kommunalfortbildung der Hessen-SPD gehören die beiden Jungpolitikerinnen jedenfalls zu den offensivsten und kommunikationsstärksten. Und vielleicht kommen die beiden weiblichen Talente sogar recht schnell an dem Punkt an, wo sie mal Nein sagen müssen. Denn, so der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Roth, den die Nachwuchsgenossen bei der SGK-Akademie nach seinen Politik- und Karriereerfahrungen ausfragen dürfen:
"Es gab ja Zeiten, da haben sich die Jusos, die Jungen in der SPD mühsam durchsetzen müssen, kämpfen müssen, Postenerobern müssen. Das ist heute ganz anders, heute fallen denen sogar zu viele Positionen zu, und mancher wird geradezu erdrückt und erschlagen von der Fülle von Aufgaben, die er übernimmt im ersten Überschwang, in der ersten Euphorie, das ist sicherlich nicht gut, aber das hat auch damit etwas zu tun, dass die Alterskohorte der Jüngeren so klein geworden ist. Und zum anderen, und das ist ein erfreulicher Trend, dass die Partei auch erkannt hat, dass sie mehr junge Menschen einbinden muss, damit sie zukunftsfähig ist."
Auch ein Survival-Tipp für junge Kommunalpolitiker: einfach mal in Deckung gehen, wenn die Partei ruft.
Junger Sozi allein in alterndem Kommunalparlament. An diesem grauen Winterwochenende trifft er in einem Tagungshaus in Neu-Isenburg bei Frankfurt auf 20 Leidensgenossen, alle Teilnehmer an der ersten Junior-Kommunalakademie der hessischen SPD. Darunter auch Gloria-Johanna Jörg aus dem Rheingau-Taunus-Kreis, 21 Jahre alt, Studentin der Volkswirtschaftlehre.
"Ich bin seit 2004 in der SPD, hab’ dann da angefangen, ganz unten mit’n Jusos, seit 2006 dann auch in der Gemeinvertretung. Da bin ich mit Abstand von elf Jahren die Jüngste, immer so’n bisschen das Küken, dementsprechend wünsche ich mir schon, dass ich hier fachliche Kompetenz erlange – ob’s jetzt Haushaltsrecht ist, Kommunalrecht allgemein, und natürlich freue ich mich auch, andere junge Kommunalpolitiker kennen zu lernen und mich mit denen auszutauschen …"
SGK heißt "Sozialdemokratische Gemeinschaft für Kommunalpolitik". Die Junior-SGK ist das hessische Pendant der überregionalen SPD-Kommunalakademie, die Franz Müntefering 2001 ins Leben rief. Fortbildung für 100 junge Sozialdemokraten pro Jahr. Eine exklusive Veranstaltung, die den Bedarf nicht deckt. In Hessen hat die SPD 2006 die Rolle der stärksten kommunalen Kraft an die CDU verloren. Bis zur Kommunalwahl 2011 hundert junge, fitte Mandatsträger fortzubilden, soll helfen, die Führung in Städten und Gemeinden zurückzuerobern. Michael Siebel, Landes-Geschäftsführer der SGK:
"Die hessische SGK unterscheidet sich von der Kommunalakademie des Bundes, indem sie den Anspruch erhebt, politischer und fachlicher zu sein. Wir wollen, dass die sozialdemokratische Prägung von Kommunalpolitik hier vermittelt wird, und wir wollen, dass unsere jungen Menschen, die hierher kommen, fachlich fit sind, dass sie Kommunal- und Haushaltsrecht lernen, dass sie etwas über Baurecht erfahren und auch diese formalen Qualifikationen bei uns vermittelt bekommen."
Pressearbeit, Selbst- und Zeitmanagement stehen zusätzlich auf dem Programm. Rhetorische Selbstdarstellung ist gefragt. Überraschend in die Mangel genommen wird der junge Genosse, der vor versammelter Runde erzählt, er sei dabei, weil er sich beworben habe.
"Weil du dich beworben hast?
Ja.
Aha, man geht irgendwo hin, weil man sich bewirbt, das ist die einzige Zielsetzung, die du hast?!
Nein.
Nein, noch irgendwelche anderen Zielsetzungen?
Ja, ich will was lernen … "
Trainer Achim Moeller mimt den aggressiven Reporter und rammt seinem Gesprächspartner fast den dicken roten Filzer unters Kinn - fingiertes Mikrofon.
"Ja was willst du denn lernen?
Ja, was über Kommunalpolitik.
Warum?
Ja, weil ich Mitglied des Ortsbeirats VI bin.
Aha, Ortsbeirat VI in Frankfurt. Und du willst jetzt den ganzen Laden aufmischen?
Na gut, so würde ich das jetzt nicht sagen unbedingt, aber sagen wir mal, für mein Mandat einiges hinzu lernen, damit ich dem Bürger besser zur Seite stehen kann.
Wunderbar, hervorragend."
Dem Bürger zur Seite stehen - das reklamiert auch die Union für sich. Die Hessen-CDU ist Pionier in Sachen Fortbildung junger Kommunalpolitiker, sie bietet mittlerweile das zweite anderthalb jährige Nachwuchsförderprogramm für hundert junge CDU-Anhänger an. Stark gemacht dafür hat sich Generalsekretär Michael Boddenberg, wohl auch weil er als Quereinsteiger zunächst in die Frankfurter Kommunalpolitik weiß, wie hilflos man sich fühlt, wenn sich zur Magistratssitzung ein halber Meter kryptischer Akten vor einem auftürmt.
"Die Förderung junger Kommunalpolitiker spielt die zentrale Rolle in diesem Programm, denn es geht uns darum, Menschen zur Politik zu führen, beziehungsweise ihnen eine Perspektive in der Politik zu öffnen, die das bisher vielleicht als Idee und Zukunftsberufsausrichtung nicht so gesehen haben. Wir wollen aber natürlich auch jungen Parteimitgliedern die Möglichkeit geben, ihre Kompetenz in jeder Hinsicht zu entwickeln."
Die kleineren Parteien im Hessischen Landtag, FDP und Grüne, bieten Fortbildung über ihre Kommunalpolitischen Vereinigungen und die parteinahen Stiftungen an. Und weil das dem grünen Ortsverband Dreieich im Landkreis Offenbach nicht ausreichte, strickten Roland Kreyscher und andere "alte Hasen" pünktlich zur Kommunalwahl 2006 selbst eine zweiteilige Fortbildung, Titel "Wie funktioniert unsere Stadt":
"Und davon profitieren wir heute noch. Wir haben neue Stadtverordnete gewonnen und durchaus auch eine Handvoll junger Leute, die sich beginnen, für kommunalpolitische Abläufe zu interessieren, auch weil es sich vor ihrer Haustür abspielt. Wir haben uns ein paar Overhead-Folien gestrickt, wir haben zwei Abende angeboten, wir haben das publik gemacht, es sind ein Dutzend Leute gekommen, die sehr interessiert zugehört haben, und ein Großteil davon kommt heute noch regelmäßig zu uns, und manche haben sich spontan sogar für die Kommunalwahl im März 2006 für einen Listenplatz interessiert, und ein paar davon sind heute grüne Stadtverordnete."
Zurück zu den Großen: Die hessischen Sozialdemokraten fordern von Bewerbern die Parteimitgliedschaft und kassieren 250 Euro für die Fortbildung an drei Wochenenden. Fürs christdemokratische Nachwuchsprogramm muss man nicht in der CDU, wohl aber in deren Jugendorganisation sein, der Jungen Union. Das Programm besteht aus 16 Pflichttagen und 16 zusätzlichen fakultativen Tagesseminaren. Es erstreckt sich über anderthalb Jahre, kostenlos für die Teilnehmer. Michael Boddenberg:
"Wir haben das so gestaltet, dass aus den Kreisverbänden heraus jeweils die Hälfte eines jeweiligen Jahrgangs vorgeschlagen wird, beziehungsweise sich dort auch junge Menschen bewerben , die zweite Hälfte der jungen StipendiatInnen wird vorgeschlagen aus dem Landesvorstand, der allerdings auch sehr in die Fläche geht und schaut, welche jungen Frauen und Männer haben sich in irgendeiner Weise besonders hervorgetan, durch ein besonderes persönliches ehrenamtliches Engagement in Vereinen oder in sozialen Einrichtungen, in kirchlichen Vereinigungen oder anderem mehr . Insofern also eigentlich jede mögliche Form des Mitmachens, aber immer natürlich vorausgesetzt, dass man einigermaßen sich auch zur Partei der CDU bekennt beziehungsweise ihr nahe steht."
Werben um den Nachwuchs – schließlich vereinsamen auch junge Christdemokraten in den Gemeindeparlamenten gehobenen Alters. Auf die CDU Wiesbaden trifft das ausdrücklich nicht zu. Ulrich Weinerth ist als Stadtverordneter alter Hase und stolz auf die Brutstätte für junge Polit-Shootingstars auf Kommunal- und Landesebene:
"Wir ziehen immer junge Leute ran und wir haben jetzt gerade wieder eine stellvertretende Fraktionsvorsitzende gewählt, die 27 ist, die jüngste Frau bei uns. Und der Altersdurchschnitt ist deutlich unter 60, was man ja heute, wenn man andere Parteien anguckt, als fast jugendlich ansehen muss, und im Fraktionsvorstand und den Arbeitskreisen haben wir viele unter 40, auch unter 30, und wir versuchen das permanent zu machen. Was natürliche bei vielen Altgedienten, die seit 30 Jahren dabei sind, nicht immer nur Freude hervor ruft, aber das ist ein permanenter gruppendynamischer Druck, den wir von der Führungsspitze aufrecht erhalten, das geht überall, aber das erfordert eben die Arbeit von Jahrzehnten, das dann entsprechend auch durchzuhalten."
Kreisparteitag in Wiesbaden-Biebrich. Geplant ist die Abstimmung über ein Wertepapier, das die Junge Union vorgelegt hat, um die alternde Basis mit jugendlicher Diskussionsfreude anzustecken. Doch erst mal will ein älterer Parteifreund diskutieren, was es da überhaupt zu diskutieren gebe, die Werte seien doch im CDU-Grundsatzprogramm nachzulesen. Horst Klee, CDU-Kreisvorsitzender, ebenfalls Senior, schlägt sich auf die Seite des Nachwuchses, das Wertepapier der JU wird besprochen und abgestimmt.
Für Stefan Spallek, 23, Stadtverordneter in Wiesbaden, designierter Vorsitzender des Integrationsausschusses, ist es die Feuertaufe. Erstmals darf er einen Parteitag moderieren, sitzt in blauem Blazer, hellblauem Hemd und Krawatte oben auf dem Podium. Spallek ist erkältet, angeschlagen an diesem Abend, dennoch dirigiert er die 200 Delegierten souverän, verliert nie den Faden, bindet alle ein. Feuertaufe bestanden, meinen die Parteifreunde danach. Das Erfolgsgeheimnis: inhaltlich und strategisch hat Spallek vorher alles mit seinem Kreisvorsitzenden abgestimmt. Am Nachwuchsförderprogramm der Hessen-CDU hat der Betriebswirtschaftsstudent mit Nebenjob in der CDU-Landesgeschäftsstelle bislang aus Zeitmangel nicht teilgenommen, fortgebildet hat er sich aber:
"Also ich hab’ in der Vergangenheit bereits mehrere Rhetorik-Seminare besucht, ich denke, das ist eines der wichtigsten Handwerkszeuge, die man als Kommunalpolitiker, aber auch auf der gesamten politischen Spannbreite braucht. Seminare im Bereich Sitzungsführung, im Bereich Personenführung, Menschenführung – was das Thema angeht, hat man natürlich auch partei- und verbandsintern ne große Verpflichtung anderen gegenüber, so dass man auch dadurch vorbereitet wird, und außerdem noch Seminare zum Thema Reden schreiben und auch ein wenig Pressearbeit."
Wie viele Rhetorik-Seminare der Hauptredner auf dem Wiesbadener Kreisparteitag besucht hat, ist nicht bekannt. Fest steht: der niedersächsische CDU-Fraktionschef David McAllister, Kronprinz des niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff, ist ein Redner- Talent ersten Ranges. Zur Einführung ins CDU-Grundsatzprogramm zitiert er einen Parteifreund.
"Wer Parteiprogramme liest, liest im Zweifelsfall auch Telefonbücher …"
Das vorwiegend grauhaarige Publikum lässt sich fesseln von McAllisters Parforce-Ritt durchs Grundsatzprogramm – präsentiert als gehobenes Entertainment, - das macht dem 36-jährigen Halbschotten so schnell keiner nach, die kommunal- und landespolitische Blitzkarriere ebenso wenig: mit 25 Fraktionsvorsitzender im Gemeinderat, mit 30 Bürgermeister des Heimatorts Bad Bederkeesa, mit 31 General der Niedersachsen-CDU, nach dem CDU-Wahlsieg 2003 mit 32 Chef der Regierungsfraktion im niedersächsischen Landtag, – planen aber lasse sich so ein Aufstieg nicht.
"Ich werde häufig gefragt von Mitstreitern aus der Jungen Union 'David Mac Allister, wie hast du das geschafft?' Und ich sage: 'Es waren letztlich immer glückliche Fügungen.' Als jüngerer Politiker muss man im Zweifelsfall mehr wissen als ältere. Man muss sich wirklich einarbeiten in die Themen, man muss seriös bleiben, gleichzeitig versuchen, etwas locker zu sein. Und ich sage immer, Kommunalpolitik ist eine ideale Grundausbildung für eine landes- oder bundespolitische Karriere. Gerade die Kommunalpolitik trägt dazu bei, dass man nicht so ideologisch denkt. Wenn man Kommunalpolitik macht, wenn man Gullydeckel repariert, über Abwasserbeseitigung spricht, das ist nicht links, das ist nicht rechts, da zählt der gesunde Menschenverstand, und der ist mindestens genauso wichtig, wie dies Streitereien links-rechts, die wir in Deutschland haben."
Seitenwechsel zur SPD. Achim Moeller dirigiert die Junioren-Fortbildung.
"Letzte Runde - noch mal rumlaufen, die schönste Frage, die ich mir bis zum Schluss aufbewahrt habe. Dazu stellen wir uns in Vierergruppen zusammen und beantworten uns lust- und kraftvoll die Frage, was ist das schönste Erlebnis, das ich in der SPD je hatte."
Andreas Nennstiel, 27, muss nicht lange überlegen. Leuchtende Augen:
"Ja, ich hatte das Glück, zum ersten Mal in meiner politischen Karriere einen Bürgermeister-Wahlkampf aktiv zu unterstützen, und ich bin auch mit von Tür zu Tür gelaufen, habe überall geklingelt und - Wo war das? – In Philippsthal, Nordhessen … und hab’ politische Frühschoppen bei mir gemacht, denn der kam von außerhalb, das ist immer ein bisschen schwieriger, und der hat dann letztendlich gegen zwei einheimische mit 55% gewonnen, und wir hatten endlich wieder unseren SPD-Bürgermeister. Das war das größte Erlebnis bei der SPD. Da bin ich absolut heute noch fröhlich drüber, ist grad mal zwei Monate her."
Auch der junge Wiesbadener Liberale Christian Diers hatte das Glück eines Erfolgserlebnisses gleich zu Beginn seiner Laufbahn. Im aufgegebenen Schlachthof ein Jugendzentrum zu gründen, war das parteiübergreifende Ziel von Jungpolitkern in der hessischen Landeshauptstadt. Sie gründeten die Interessengemeinschaft Schlachthof und setzten sich durch.
"Eine Sache hat man dabei gelernt: wenn man etwas möchte und man es wirklich durchsetzen möchte und sehr hartnäckig dafür kämpft, dann kriegt man diese Sache mit ner sehr hohen Wahrscheinlichkeit zumindest in den Teilen durch, die wirklich essentiell wichtig sind."
Doch auf Jungpolitiker warten auch bittere Niederlagen, deprimierende Rückschläge, schlimmste Anfeindungen. Davon erzählt bei einer Podiumsdiskussion in Frankfurt am Main die Stadtverordnete Nargess Eskandari-Grünberg. Während einer Ausschusssitzung zum umstrittenen Bau einer Moschee stand sie im Publikum, hörte zahllose ausländerfeindliche Sprüche und sagte schließlich in den Saal hinein: Frankfurt habe nun mal 40 Prozent Migranten, wem das nicht passe, der könne woanders wohnen. Nun ist die mit einem deutschen Juden verheiratete, gebürtige Iranerin Eskandari-Grünberg selbst Adressatin schlimmster Hetze geworden, "die Züge nach Auschwitz stehen noch unter Dampf", lautete eine Mail. Mit auf dem Podium sitzt die grüne Nachwuchskommunalpolitikerin Mürvet Öztürk, Kurdin aus der Türkei, Vorsitzende der Alewitischen Frauen in Deutschland. An sie geht die Frage:
"Wie geht’s einem dabei? Beeinflusst das die Position, nach dem Motto, ich werd’ n bisschen vorsichtiger, bevor ich die Rübe rausstrecke, gibt’s die Anfeindungen schon heute?
Wenn wir jetzt Nargess zugehört haben, ist es natürlich schwer, die Emotionen beiseite zu lassen und auf die sachliche Ebene zurück zu kommen …"
Aber mit solchen Anfeindungen rechne sie, sagt die junge Stadtverordnete aus Wetzlar im Lahn-Dill-Kreis, die es soeben mit ihren zusätzlichen Erfahrungen als Brüsseler Referentin für grüne Europaabgeordnete auf einen aussichtsreichen Listenplatz für die Landtagswahl 2008 schaffte.
"Im Kreistag ist die NPD vertreten, die Reps sind vertreten. Ich bin auch in der Politik, weil ich das Gefühl habe, dass diese subtile Fremdenfeindlichkeit so stark ist in der Gesellschaft, dass man demgegenüber nicht schweigen sollte, von daher ist mir das schon bewusst. Nur: wie geht man damit um, wenn man persönlich davon betroffen ist – in der Tat, da muss man glaube ich die Menschen vorbereiten, auch den Menschen mit Migrationshintergrund vorbereiten, dass er nicht zu emotional reagiert, obwohl man das ja gar nicht immer vermeiden kann, sondern dass man in der Situation versucht, der objektive Politiker zu bleiben."
Kommunalpolitik mit ihrer urdeutschen Bürokratie und den festen Kreisen derer, die immer schon da waren, ist sperrig für Migranten. Die Islamwissenschaftlerin Mürvet Öztürk will vermitteln, wirbt für die Kommunalpolitik
"… weil ich den Vereinen und Verbänden, nicht nur den Alewiten, sondern auch den anderen mit Migrationshintergrund, persönlich vorstellen will, wie es möglich ist, doch einige Problembereiche, sei es in Bildung, sei es in Jugend- oder Frauenförderung, dass man diese Dinge verändern kann, wenn man kommunalpolitisch aktiv ist. Und ich bin dann halt das lebendige Beispiel, ich denke, dass man damit den Leuten auch Mut macht, sich in Dinge einzumischen, in denen man sich vorher gar nicht auskennt, aber den Mut hat, den ersten Schritt zu tun, und das andere kommt dann hinterher."
Mut brauchte auch die Liberale Annegret Kracht, als sie vor 35 Jahren in die Kommunalpolitik einstieg - ein Sprung ins kalte Wasser:
"… weil damals sich auch noch weniger Frauen kommunalpolitisch engagierten, ich häufig als einzige Frau in einer reinen Männerrunde war, am Anfang man die ganze Nervosität ablegen musste, die ersten Podiumsdiskussionen oder Reden, die man halten musste, waren mit sehr viel Zittern und Knieschlockern verbunden, aber man wächst hinein, man darf sich nicht abschrecken lassen."
Auch heute nehmen ältere Herrschaften weiblichen Nachwuchs oft nicht ernst, so die Erfahrung der hessischen SPD-Kommunalpolitikerinnen Rebecca Schmidt und Gloria-Johanna Jörg, beide 21.
"Das ist leider nicht nur bei den älteren Herrschaften so, ich muss sagen, das ist manchmal auch bei den älteren Jusos so, und man wird vor allen Dingen als Frau immer als Quotenfrau bezeichnet, das ist etwas, was mir absolut missfällt, und ich hoffe, das irgendwann mal ändern zu können und der Standpunkt der Frau sollte sich in den nächsten Jahren bitte schön noch ein bisschen mehr etablieren in der Kommune und in der Landespolitik. - Da wird man auch im Berufsleben drauf treffen, und da ich VWL studiere, das auch n Fach ist, das hauptsächlich Männer machen, bin ich’s eigentlich gewöhnt und ich wollt’ mich da nicht einschüchtern lassen von irgend jemandem."
Auf der Kommunalfortbildung der Hessen-SPD gehören die beiden Jungpolitikerinnen jedenfalls zu den offensivsten und kommunikationsstärksten. Und vielleicht kommen die beiden weiblichen Talente sogar recht schnell an dem Punkt an, wo sie mal Nein sagen müssen. Denn, so der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Roth, den die Nachwuchsgenossen bei der SGK-Akademie nach seinen Politik- und Karriereerfahrungen ausfragen dürfen:
"Es gab ja Zeiten, da haben sich die Jusos, die Jungen in der SPD mühsam durchsetzen müssen, kämpfen müssen, Postenerobern müssen. Das ist heute ganz anders, heute fallen denen sogar zu viele Positionen zu, und mancher wird geradezu erdrückt und erschlagen von der Fülle von Aufgaben, die er übernimmt im ersten Überschwang, in der ersten Euphorie, das ist sicherlich nicht gut, aber das hat auch damit etwas zu tun, dass die Alterskohorte der Jüngeren so klein geworden ist. Und zum anderen, und das ist ein erfreulicher Trend, dass die Partei auch erkannt hat, dass sie mehr junge Menschen einbinden muss, damit sie zukunftsfähig ist."
Auch ein Survival-Tipp für junge Kommunalpolitiker: einfach mal in Deckung gehen, wenn die Partei ruft.