Nachtwei kritisiert zögerliche Aufklärung der Datenlöschung

Moderation: Hanns Ostermann · 04.07.2007
Der Grünen-Politiker Winfried Nachtwei hat das Verteidigungsministerium wegen zögerlicher Aufklärung über den Datenverlust bei der Bundeswehr kritisiert. Nachtwei, Obmann der Bündnisgrünen im Verteidigungsausschuss des Bundestages, bemängelte auch die Informationspolitik zum Einsatz der Bundeswehr beim G8-Gipfel in Heiligendamm.
Hanns Ostermann: Wussten Bundeswehrsoldaten möglicherweise schon Anfang 2002, dass US-Soldaten Gefangene misshandeln? Waren es brisante Informationen, die da verloren gingen? Nach wie vor sorgt eine Computerpanne im Zentrum für Nachrichtenwesen bei der Bundeswehr für Zündstoff. Dabei spielen manche in der Großen Koalition den aufgedeckten Verlust herunter. Es sei ja nur relativ wenig verloren gegangen. Nur, was enthielt diese CD-Rom, die von Afghanistan nach Deutschland überspielt wurde, wirklich? Winfried Nachtwei ist Obmann der Bündnisgrünen im Verteidigungsausschuss des Bundestages, der heute auch zu diesem Thema tagt. Guten Morgen, Herr Nachtwei!
Winfried Nachtwei: Guten Morgen, Herr Ostermann!
Ostermann: Haben Sie den Eindruck, vom zuständigen Ministerium ausreichend informiert zu werden?
Nachtwei: Vor der Unterrichtung kann ich das noch nicht sagen, und vor allem zu diesem Daten-Crash nicht, den man wirklich so bezeichnen muss. Wenn man bedenkt, dass zu dem Zeitpunkt, wo dieses passiert ist, Ende 2004 offensichtlich, dass dieses damals nicht dem Verteidigungsausschuss berichtet wurde und jetzt erst sukzessive in einer Antwort auf einen von uns gestellten Antrag rauskam, dann aber eben noch ziemlich allgemein. Nein, das ist weit entfernt von einer vernünftigen, sorgfältigen Unterrichtung.
Ostermann: Das ist dann aber auch eine scharfe Kritik an Rot-Grün.
Nachtwei: Rot-Grün politisch verantwortlich, na gut, wenn das in der Exekutive irgendwo hängen bleibt, politische Verantwortlichkeit der Regierung damals sicher, aber wie gesagt, wir wissen ja nicht mal, inwieweit dieser Crash von dem Zentrum Nachrichtenwesen/Bundeswehr an die politische Spitze des Verteidigungsministeriums gemeldet wurde. Das wollen wir heute erfahren.
Ostermann: Die entscheidende Frage ist ja auch, welche Informationen enthielten die Daten aus den Jahren 1999 bis 2003. Das waren sehr bewegte Zeiten, das muss man sagen, nicht zuletzt durch den 11. September. Können Sie mutmaßen, wie brisant diese Daten sind?
Nachtwei: Es sind also zumindest sicherheitsrelevante Daten, weil zumindest ein Teil von Berichten aus den Einsatzgebieten, in die auch Berichte von Militärattachés, Nachrichtendiensten usw. eingegangen sein können, ein Teil zumindest dieser Meldungen und Berichte sind verloren gegangen. Heute müssen wir erfahren, in welchem Umfang dieses geschah. Ob dass also eben verschwunden ist, ob Teile davon verschwunden sind oder ob es davon also eben Duplikate noch an anderen Stellen gibt.
Ostermann: Sicherungskopien, und damit spielen Sie möglicherweise auf das Kanzleramt oder den Bundesnachrichtendienst an. Das heißt, normalerweise müssen doch auch an anderen Stellen diese Informationen gelandet sein?
Nachtwei: Richtig. Also davon können wir auf jeden Fall ausgehen, dass zumindest Teile dieser Angaben, dieser Daten auch woanders sind. Und es ist ja nicht so, dass jetzt so alle Daten aus den Einsatzgebieten verloren gegangen wären. Also zum Beispiel es gibt die andere militärische Schiene, in den letzten Jahren seit 2001 Einsatzführungskommando. Dieses ist also eben insgesamt erhalten. Aber trotzdem, ganz sensible Aufklärungsdaten, die können in einem höheren Umfang verloren gegangen sein.
Ostermann: Streit gibt es auch beim Thema innere Sicherheit. Immer deutlicher wird, dass die Bundeswehr beim G8-Gipfel in stärkerem Maße eingesetzt war, als zuvor bekannt gegeben wurde. Warum kommt die Wahrheit nur scheibchenweise ans Tageslicht?
Nachtwei: Ja, weil auch da offensichtlich die Haltung der Verantwortlichen in der Regierung die ist, dass man wohl nicht von vornherein alle Karten auf den Tisch legen will, vielleicht also auch, weil es dabei so etwas schlechtes Gewissen gibt. Das ist also wirklich sehr zu kritisieren, dass man da erst also immer wieder so nachbohren muss und dass erst unter Drohung, es gibt einen Skandal, dann die Karten wirklich offener auf den Tisch gelegt werden.
Ostermann: Fühlen Sie sich da also verschaukelt? Ihr Kollege Rudolf Körper, der SPD-Fraktionsvize im Bundestag, spricht hier eindeutig von einer Salamitaktik. Man könnte ja auch bei den Diskussionen, die es bei uns gibt, nicht zuletzt immer wieder angestoßen durch den Bundesinnenminister, davon ausgehen, hier werden bereits Fakten geschaffen, was den Bundeswehreinsatz im Inneren betrifft.
Nachtwei: Ja, der Eindruck liegt wirklich sehr nahe. Und vor allem, wenn man sich anguckt, also in welchem Umfang dann bestimmte Waffensysteme der Bundeswehr eingesetzt wurden, also der Tornado als Aufklärer, wo der Minister erst mal zwei Missionen genehmigt hatte, realiter sind dann sieben dabei rausgekommen, bei den Fenneks, also bei den Aufklärungsfahrzeugen ebenfalls so ein Anstieg. Und dann muss man also eben auch noch dabei bedenken, das wird in bisherigen Berichten gar nicht berücksichtigt, nämlich welcher politische Eindruck nach außen also eben da ausstrahlt. Es ist ja nicht so, dass die Bürger, die Demonstranten da unterscheiden können bei einem Tornado oder bei einem Fennek, der ist nicht munitioniert, also ist eigentlich gar kein Waffensystem, eigentlich gar kein Einsatz bewaffneter Streitkräfte. Nach außen entsteht der Eindruck, dass die Bundeswehr auch mit ihrem schweren Gerät immer mehr im Inneren im Einsatz ist. Und das ist also eben in der Tat von der Wirkung her, ja, Salami-Schneiden noch und nöcher.
Ostermann: Kommt da für Sie möglicherweise infrage, nach Karlsruhe zu gehen, um zu prüfen, ob hier nicht möglicherweise gegen das Grundgesetz verstoßen wurde?
Nachtwei: Da ist ganz entscheidend, wie heute diese Unterrichtung nach der schriftlichen auch die mündliche Unterrichtung ist, ob hier die Grenze zu der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben dann auch seitens der Bundeswehr, ob dieses überschritten wurde. Danach können wir das erst vernünftig feststellen.
Ostermann: Sie schließen das aber nicht aus?
Nachtwei: Das schließe ich nicht grundsätzlich aus.
Ostermann: Wie sollte man weiter in Afghanistan vorgehen? Diese Frage treibt ja viele um, weil man im Hindukusch nicht so recht vorankommt, und Ende September muss sich das Parlament mit dem Bundeswehreinsatz beschäftigen. Sie fordern, Herr Nachtwei, einen Strategiewechsel. Worin sollte der bestehen?
Nachtwei: Der Strategiewechsel muss erst mal eine bestimmte Voraussetzung haben, nämlich dass man ganz nüchtern die Lage einschätzt, dass man ein klares Lagebild hat. Wir haben bisher von der Bundesregierung auch da wieder dieses Informationsproblem. Kein vernünftiges Lagebild über die Abläufe der Operation "Enduring Freedom", also dieser amerikanisch geführten Operation außerhalb von ISAF. Da gibt es nur prinzipielle Bewertungen dazu, sonst nichts.
Ostermann: Aber zwei Jahre lang sind doch da keine deutschen Soldaten eingesetzt worden, oder doch?
Nachtwei: Ja trotzdem, wenn aber die Bundesregierung will, dass wir weiterhin für diese Operation zumindest Kommandospezialkräfte, Soldaten anmelden, dann müssen wir auch wissen, um welchen konkreten, ob wirksamen oder kontraproduktiven Kontext es da geht, das müssen wir zumindest wissen. So, und dann aber eben bei dem Strategiewechsel geht es darum, wirklich die militärischen Strategien, die tatsächlich am Boden gefahren wären, die auf einen Nenner zu bringen. Dann zweitens das Ungleichgewicht, was es inzwischen an militärischen Anstrengungen gibt und zivilen und Aufbauanstrengungen, dies wirklich in ein gesundes Verhältnis zu bringen, deshalb mit dem Aufbau ganz anders voranzubringen. Und die deutsche Seite ist besonders beim Polizeiaufbau beteiligt. Und hier müssen wir endlich vom Kleckern zum Klotzen kommen. Das sind wesentliche Elemente eines Strategiewechsels.
Ostermann: Sie sprechen von einem Missverhältnis zwischen militärischer Aktion und den Aufbauarbeiten und diesen anderen Arbeiten in diesem Bereich. Aber wenn man die Generäle in Afghanistan hört, dann kommt man doch überhaupt nicht daran vorbei, den westlichen Militäreinsatz aufzustocken, das heißt, mehr Soldaten nach Afghanistan zu schicken.
Nachtwei: Nun, ich erinnere mich gleichzeitig noch also an die Aussagen auch des hiesigen Generalinspekteurs, der ja auch gute Verbindungen nach Afghanistan hat, der sagt, diese Forderung nach immer mehr Soldaten wird uns nicht weiterbringen. Und gerade der Generalinspekteur hat immer wieder betont, dass es militärisch nicht zu wuppen ist sozusagen, sondern dass die Legitimation, die Glaubwürdigkeit, Vertrauenswürdigkeit bei der afghanischen Bevölkerung, was ja also eben das Schlüsselmoment ist, dass dieses nur darüber zu kriegen ist, dass die auch erfahren, sie haben was vom internationalen Engagement.
Ostermann: Innere Sicherheit, dann die verlorenen Daten bei der Bundeswehr und nicht zuletzt natürlich auch das weitere Engagement in Afghanistan. Der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages hat heute jede Menge Stoff zur Diskussion. Ich sprach mit Winfried Nachtwei. Er ist Obmann der Bündnisgrünen, eben im Verteidigungsausschuss. Danke für das Gespräch.