Liebhaber der Freiheitsrechte
Er warb für den Schutz der Freiheitsrechte und setzte sich für ein maßvolles Strafrecht ein. Am Bundesverfassungsgericht wurde er als kluger und abwägender Kopf geschätzt. Nun ist der Jurist und Publizist Winfried Hassemer im Alter von 73 Jahren gestorben.
Winfried Hassemer, 1940 geboren, war ein Schüler des Rechtsphilosophen Arthur Kaufmann, der wiederum die Denkschule des großen Gerechtigkeitstheoretikers Gustav Radbruch aus der Weimarer Zeit in die Bundesrepublik fortgeführt hatte. Die Bewährung an höchsten akademischen und intellektuellen Maßstäben prägten Hassemer ebenso wie die für seine Generation typische Skepsis gegenüber staatlicher Gewalt, deren Missbrauch im Nationalsozialismus ihr noch eindringlich vor Augen stand.
Der Schutz der Bürger- und Freiheitsrechte und die Frage nach der Begründung und Legitimation staatlicher Machtausübung waren die Themen, die Hassemer ein Juristenleben lang umgetrieben. Sein letztes großes Buch hatte den schlichten Titel "Warum Strafe sein muss", 2009 erschienen, 368 Seiten, die deswegen auch für jeden Laien so gut lesbar und erhellend sind, weil Hassemer diese einfache aber bedeutende Frage so gründlich, sprachlich klar und einfach beantwortet hat, wie er auch in der freien Rede sprach - hier in einem Auszug aus einem Gespräch in Deutschlandradio Kultur:
" Ich stamme aus einer Generation, da gab es sogenannte Absolutionisten. Die haben gesagt, das Strafrecht löst keine Probleme, sondern das Strafrecht ist das Problem. Ich habe viele Jahre dazu gebraucht, um mich davon zu überzeugen, dass das Quatsch ist. Ich würde gerne das Strafrecht abschaffen. Aber wenn man das Strafrecht abschafft, hat man das Strafen nicht abgeschafft. Das heißt, dass, was wir im Alltag miteinander machen, was wir erleiden, was wir verhängen, sind auch Strafen. Und das Strafrecht hat den Sinn, das zu mildern, jedenfalls in bestimmten schwerwiegenden Konflikten einzugreifen, Täter und Opfer voneinander zu trennen und zu sagen: Ich mache jetzt mal Gerechtigkeit und ich sorge dafür, dass ihr nicht übereinander herfallt. Insofern finde ich: Strafe muss sein, soweit sie vernünftig ist."
Eine der bedeutendsten Stimmen im Diskurs über Recht und Gerechtigkeit
Hassemer war ein Liberaler, ein Verfechter und Liebhaber der Freiheitsrechte des Grundgesetztes. Er gehörte nie zu den aggressiv kämpferischen Juristen seiner Generation - das entsprach seinem Wesen nicht. Winfried Hassemer war ein freundlicher, humorvoller, anteilnehmender Gesprächs- und Diskussionspartner.
Als kluger und abwägender Kopf wurde er auch am Bundesverfassungsgericht geschätzt, an das er 1996 als Richter gewählt wurde - als Nachfolger des legendären Ernst Wolfgang Böckenförde im Zweiten Senat, der nicht für die Grundrechte, sondern für staatsrechtlichen Fragen zuständig ist. Als Senatsvorsitzender und Vizepräsident des Gerichts wirkte Hassemer unter anderem am ersten NPD-Verbotsverfahren mit, das nicht zuletzt wegen seiner Zweifel an der damaligen Rolle von V-Leuten des Verfassungsschutzes 2003 eingestellt wurde.
In der breiteren Öffentlichkeit setzte sich Hassemer Zeit seines Lebens - unter anderem als Hessischer Datenschutzbeauftragter - gegen ausufernde Kontroll- und Überwachungsmethoden und für maßvolle Reaktionen des Staates auf terroristische Bedrohungen ein. Zugleich war Hassemer ein Jurist, Denker und Publizist, der immer wieder durch die Originalität seiner Überlegungen und juristischen Argumentationen überraschte. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Bundesverfassungsgericht 2008 gehörte er - unter anderem als regelmäßiger Interviewpartner in unseren Programmen - zu den bedeutendsten Stimmen des Diskurses über Recht und Gerechtigkeit in der deutschen Öffentlichkeit.