Nachruf auf Zaha Hadid

Eine Architektin, die aufs Ganze ging

05:17 Minuten
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Das Science Center "Phaeno" in Wolfsburg: Das Gebäude gilt als architektonisches Highlight und wurde von Zaha Hadid entworfen. © picture alliance / dpa / Wolfram Steinberg
Von Jochen Stöckmann · 01.04.2016
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Ihre Abstraktionen wurden bereits in Museen ausgestellt, als noch kaum eines ihrer Raumbilder realisiert worden war. Zaha Hadid galt als Expertin für Wegweisendes, als Architektin der Zukunft. Gekrönt wurde ihre Arbeit mit dem Pritzker Award - mit 65 ist Zaha Hadid nun gestorben.
Als britische "Dame" geadelt, hat die 1950 in Bagdad geborene Architektin Zaha Hadid unter Kollegen, Bauherren, Ingenieuren lange Zeit als enfant terrible gegolten: Liebend gern durchbrach die studierte Mathematikerin mit ihren Entwürfen technische Grenzen und ästhetische Konventionen. Realisiert wurde erst einmal kein einziges dieser aus endlos verschlungenen Raumfolgen und geometrischen Fragmenten bestehenden Labyrinthe. Aber die Absolventin der Londoner Architectural Association School hatte gemeinsam mit ihrem akademischen Lehrer Rem Koolhaas Ende der 70er ein Markenzeichen kreiert: "Dekonstruktivismus".
Die gleichnamige Ausstellung 1988 im New Yorker MoMA präsentierte denn auch Zaha Hadids Zeichnungen – als Kunstwerke. Erfahrungen mit dem praktischen Bauen sammelte die resolute Architektin trotz dieser Durststrecke, etwa bei der Planung für ein Bürohaus mit nur zweieinhalb Meter Sockelbreite:
"Bei meinem ersten, dann doch nicht realisierten Projekt für die IBA am Berliner Kudamm hat mir ein deutscher Kollege eingeschärft, mich niemals auf diese Salamitaktik einzulassen, wo immer nur scheibchenweise gebaut wird. Eine gute Lektion! Denn Architekten arbeiten mit einer dynamischen Geometrie. Die kleinste Änderung muss bis ins letzte Detail des Gesamtprojekts bedacht werden."
Zaha Hadid zählte zu den weltweit erfolgreichsten Architekten.
Zaha Hadid zählte zu den weltweit erfolgreichsten Architekten. © picture-alliance / dpa / Facundo Arrizabalaga
Ein ähnlich enthusiastisch fürs Bauen entflammter Mäzen fand sich mit Rolf Fehlbaum, dem Chef der Vitra-Werke. Für sein Möbel- und Design-Unternehmen konnte Zaha Hadid 1993 ihr erstes Gebäude realisieren, das Haus der Werksfeuerwehr. Das war der Durchbruch. Ob eine Bibliothek in Wien, das Zentralgebäude für BMW in Leipzig, die Oper im chinesischen Guangzhou oder eine Skischanze in Innsbruck – jede Bauaufgabe endete in einer spektakulären, "ikonischen" Architektur.

Jahrzehntelange theoretisch-baukünstlerische Planspiele

Entweder pflanzenhaft wuchernde oder aber schnittig und keilförmig auskragende Gebilde, meist aus nacktem Beton. Grundlage dafür waren die jahrzehntelangen theoretisch-baukünstlerischen Planspiele, erst am Reißbrett, dann zunehmend vor dem Computer, als Chefin eines plötzlich expandierenden Büros:
"Es bringt in diesem Job Spannung und Spaß, neue Dinge zu entdecken, sei es beim Zeichnen, Entwerfen oder noch während des Bauens. Es waren diese aufregenden, unvergleichlichen Momente, die mich weitergebracht haben. Wir haben viel investiert, aber allein dieses Gefühl, immer noch einen entscheidenden Schritt tun zu können, war die Anstrengung wert."

Als erste Frau aufgerückt in die Riege der Stararchitekten

Gekrönt wurde diese Anstrengung 2004 mit dem Pritzker Award, dem "Nobelpreis" der Branche. Vergeben vor allem für den Erfindungsreichtum einer Architektin, deren Entwürfe über alle Typologien und Baumuster hinausweisen, heute noch. Als erste Frau war Zaha Hadid aufgerückt in die Riege sogenannter "Stararchitekten". Und sah – oder erhoffte doch zumindest – hinter all dem Prominenten-Rummel eher Grundsätzliches, einen Wandel der Baukultur:
"Sagenhaft: Große Ausstellungen, viel Presse, interessiertes Publikum – die Leute haben gemerkt, dass Architektur ihr tägliches Leben prägt, dass sie Gebäude "besetzen", nutzen können. Öffentliche Bauten, gefördert durch die EU, spielen da eine entscheidende Rolle. Ein Privathaus mag für Hochglanzmagazine ganz hübsch sein – aber man kann nicht hineingehen. Die Baukultur der europäischen Städte bleibt eine Frage der Investition in öffentliche Gebäude."

Wissenschaftsmuseum "Phaeno" in Wolfsburg

Eines dieser öffentlichen Gebäude, das Wissenschaftsmuseum "Phaeno", steht seit 2005 in Wolfsburg direkt an der Bahnstrecke des ICE. Von außen aufsehenerregend – wie eine in Beton gegossene Scheibe mit Ausstülpungen und Einkerbungen. Wer aber hineingeht, näher hinschaut, der merkt, dass bereits der Zahn der Zeit an der "Architektur-Ikone" nagt. Was eigentlich ganz im Sinne der Erfinderin dieser wie aus dem Nichts gelandeten Architekturvisionen ist:
"Man hofft, dass sie stark genug sind und so allerlei vertragen können. Ich kann ja nicht ewig über das Phaeno-Gebäude wachen und sagen 'Tut dies nicht, tut das nicht!' Das ist schließlich keine Militärakademie. Am Ende – ob man will oder nicht – muss man die Dinge laufen lassen."
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