Nachruf auf Walter Scheel

Ein zielstrebiger Liberaler

Alt-Bundespräsident Walter Scheel am 6.9.2011 in Bad Krozingen vor seinem Porträtbild
Alt-Bundespräsident Walter Scheel am 6.9.2011 in Bad Krozingen vor seinem Porträtbild © dpa / picture alliance / Patrick Seeger
Von Martin Steinhage · 24.08.2016
Mit der Neuausrichtung der FDP schaffte er die Grundlage für die erste sozialliberale Koalition in Deutschland. Als Bundespräsident sang er unbeschwert in populären TV-Shows "Hoch auf dem gelben Wagen". Jetzt ist Walter Scheel im Alter von 97 Jahren gestorben.
Als Vizekanzler und Bundesaußenminister hat Walter Scheel eine wichtige Etappe der bundesdeutschen Geschichte maßgeblich mitgeprägt: Zusammen mit Bundeskanzler Brandt stellte Scheel zu Beginn der 70er-Jahre mit den Ostverträgen das Verhältnis zur Sowjetunion und zu Polen auf feste vertragliche Fundamente. Die Entspannungspolitik der sozialliberalen Koalition, die die von Konrad Adenauer in die Wege geleitete Westbindung der Bundesrepublik durch eine Aussöhnung mit dem Osten ergänzte, wurde gegen große innenpolitische Widerstände durchgesetzt.

Ostaussöhnung als historisches Vermächtnis

Als im Mai 1972 im Bundestag die Ratifizierung der Verträge mit Moskau und Warschau auf der Tagesordnung stand, warb Walter Scheel in einer historischen Debatte eindringlich um die Zustimmung der Opposition:
"Ich bitte Sie darum, meine Damen und Herren, weil ich der Überzeugung bin, dass meiner Generation, die die Schrecken des Zweiten Weltkrieges von Anfang bis zum Ende miterlebt hat, die Aufgabe gestellt ist, den Schlussstein in das Gewölbe der Aussöhnung und des Friedens in Europa endlich einzufügen."
Bundespräsident Walter Scheel mit dem SPD-Vorsitzenden Willy Brandt (rechts) am 5.10.1976 in Bonn
Walter Scheel (l) und Willy Brandt stellten mit den Ostverträgen das Verhältnis zur Sowjetunion und zu Polen auf ein festes Fundament.© dpa / picture alliance / Peter Popp
Nach der Normalisierung des Verhältnisses zu den osteuropäischen Staaten konnte die Regierung Brandt/Scheel auch eine Verbesserung der Beziehungen zur DDR in Angriff nehmen, was bekanntlich ebenfalls gelang.
Dass die sozialliberale Koalition 1969 überhaupt gebildet werden konnte, zählt ebenfalls zu den bleibenden Verdiensten Walter Scheels. Er nämlich war es in erster Linie, der die traditionell national-konservative FDP binnen weniger Jahre zu einer tatsächlich liberalen Partei formte. Als sich nach den Bundestagswahlen im September 1969 die rechnerische Möglichkeit für eine Koalition von SPD und Freien Demokraten auftat, nutzte Scheel kurzentschlossen diese Chance und schmiedete das Bündnis mit den Sozialdemokraten.
Walter Scheel wurde 1919 in Solingen geboren. Der FDP hatte sich der gelernte Prokurist und Geschäftsführer einer Stahlwarenfabrik bereits 1946 angeschlossen. Von 1953 an war Scheel Mitglied des Deutschen Bundestages, im Oktober 1961 übernahm er das neu geschaffene Amt eines Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Revolutionäre Neuausrichtung der Liberalen

Anfang 1968 wurde Scheel FDP-Bundesvorsitzender als Nachfolger von Erich Mende. Nur zweieinhalb Jahre später verließ Mende mit anderen prominenten Freidemokraten die Partei wegen des von Scheel und seinen Mitstreitern eingeschlagenen Kurses der FDP in der Außen- und Deutschlandpolitik.
Scheel hatte mit der Neuausrichtung seiner Partei nicht weniger als eine kleine Revolution zustande gebracht. Dabei hatten ihm Charakterzüge geholfen, die man bei oberflächlicher Betrachtung bei dem stets fröhlich-freundlichen Rheinländer gar nicht vermutet hätte: Härte und Zielstrebigkeit, gepaart mit einem sicheren Gespür für das politisch Machbare. Nicht zuletzt diese Eigenschaften verhalfen Scheel 1974 in die Villa Hammerschmidt, in der Bonner Republik der Dienstsitz des Bundespräsidenten.
Unmittelbar nach seiner Wahl zum Staatsoberhaupt sagte Scheel:
"Es ist für mich sehr bewegend, dass ich wenige Tage vor der 25. Wiederkehr des Tages der Gründung der Bundesrepublik Deutschland gewählt werde. Der Bundesrepublik Deutschland, an deren demokratischer Entwicklung ich vom ersten Tage an als Parlamentarier Anteil genommen habe."
Hoch auf dem gelben Wagen: Walter Scheel in der ARD-Volksmusik-Gala "Krone der Volksmusik" 2006 mit Moderator Gunther Emmerlich in Chemnitz
Hoch auf dem gelben Wagen: Walter Scheel in der ARD-Gala "Krone der Volksmusik" 2006 mit Moderator Gunther Emmerlich in Chemnitz© dpa / picture alliance / Wolfgang Thieme
Das Amt des Bundespräsidenten bekleidete Scheel fünf Jahre lang. Mit der ihm nachgesagten heiteren Gelassenheit wird es Walter Scheel hingenommen haben, dass er vielen Landsleuten schon zu Lebzeiten weniger als seriöser und erfolgreicher Politiker, sondern eher als silberlockiger Sänger in Erinnerung geblieben war, der in einer populären Fernsehsendung unbeschwert "Hoch auf dem gelben Wagen" intoniert hatte.

Zahlreiche Schicksals- und Rückschläge erlitten

Dabei hielt das Bild vom fortdauernd gut gelaunten, die Sonnenseiten des Daseins genießenden Walter Scheel einer genaueren Betrachtung nicht stand: Denn Scheel musste in seinem Leben zahlreiche Schicksals- und Rückschläge verkraften: Die dramatischen und prägenden Erfahrungen des jungen Jagdfliegers im Zweiten Weltkrieg, andauernd wiederkehrende gesundheitliche Probleme auch schon in jüngeren Jahren, und – vor allem - den frühen Tod gleich zweier Ehefrauen.
Sein Naturell und sein Verständnis von der Aufgabe des Staatsoberhauptes veranlassten Walter Scheel, das Land als Bundespräsident heiter und unverkrampft zu repräsentieren. Zugleich aber legte Scheel stets Wert darauf, der Ausübung des höchsten Amtes präsidiale Würde zu verleihen. Dabei kam ihm sein großbürgerlich anmutender Stil durchaus zugute; ein Stil, den er sich auch als umtriebiger Ruheständler – stets elegant, bisweilen gar glamourös – bis ins hohe Alter bewahrte.
Zuletzt war es jedoch sehr still geworden um Walter Scheel. Seit 2012 lebte er, unter fortschreitender Demenz leidend, in einem Pflegeheim. Seine dritte Ehefrau, Barbara, sah sich wiederholt Vorwürfen ausgesetzt, sie vernachlässige ihren pflegebedürftigen Mann und missbrauche zudem dessen Privilegien als ehemaliges Staatsoberhaupt. So wurde Scheel sein Dienstwagen entzogen mit der Begründung, er benötige das Fahrzeug nicht mehr, es werde nur noch von seiner Frau zu privaten Zwecken genutzt, was unzulässig sei. Aus diesem Grund wurde auch Scheels Berliner Büro aufgelöst.
Altbundespräsident Walter Scheel im Juli 2014
Altbundespräsident Walter Scheel im Juli 2014© picture alliance / dpa / Patrick Seeger
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