Nachruf auf Frei Otto

Baumeister eleganter Zelte

Das Olympiastadion in München - das Dach entwarf der Architekt Frei Otto.
Das Olympiastadion in München - das Dach entwarf der Architekt Frei Otto. © picture alliance / dpa / Arne Meyer
Von Robert Brammer · 10.03.2015
Er hat die Zeltdächer der Expo in Montreal und des Münchner Olympiastadions geschaffen. Der deutsche Architekt Frei Otto war ein Meister des Filigranen. Seine Bauten sollten leicht und beweglich sein - wie ein Nomadenzelt. Nun ist er mit 89 Jahren gestorben.
Als Kinder wurden wir vor ihm gewarnt: Die Rede war von dem 'verrückten Architekten', der in der Nachbarschaft wohnte und im Süden Berlins vielleicht das erste Leichtbauhaus Deutschlands konstruiert hat: einen kleinen flachen Kubus mit verglaster Außenhaut. Doch Kinder mögen verrückte Menschen mit ausgefallenen Ideen.
Das einstöckige Haus im Türksteinweg, das 'Entwicklungsstelle für Leichtbau' genannte Labor, gibt es schon lange nicht mehr. Und das entspricht sogar dem Geist von Frei Otto. Denn Dauer sollte seinen Gebäuden, so der Architekt mit der Leidenschaft fürs Bewegliche, nicht beschieden sein. Nur temporär sollten sie sein - temporär wie die Nomadenzelte.
"Ich habe gesehen, das ein Riesengebiet der Architektur eigentlich brachliegt, dass man erarbeiten könnte. Und das ist das, was man als leichte Schalenzelte, Gewölbe sehen kann. Ich hab mich eigentlich gewundert, warum der Leichtestbau des Natursteins, nämlich die Gotik nicht weiter entwickelt wurde. Sie hört plötzlich auf. Vielleicht weil sie überstrapaziert war – wie die Moderne."

Hochdotiert: Frei Otto erhielt 2006 vom japanischen Kaiserhaus den Praemium Imperiale in Tokyo. Posthum wurde er mit dem Pritzker Preis geehrt.
Hochdotiert: Frei Otto erhielt 2006 vom japanischen Kaiserhaus den Praemium Imperiale in Tokyo. Posthum wurde er mit dem Pritzker Preis geehrt. © picture alliance / dpa / epa David Coll
Schwerelose Gewölbe
Frei Otto baute transparente und elegante Zeltdächer, die sich skulpturengleich scheinbar schwerelos und unsichtbar über Gebäude wölben. 1956 zeigte er auf der Bundesgartenschau in Kassel erstmals eines seiner revolutionären Alternativbauwerke, einen verblüffend einfach konstruierten Musikpavillon. Ein quadratisches Segel von 18 Meter Außenlänge wurde als Membran über das Musikpodium gespannt.
"Wenn Sie ein Nomadenzelt sehen und meinen, das sei einfach, dann haben Sie das in sich so aufgenommen. In Wirklichkeit ist es wahnsinnig kompliziert. Und ich hatte mal eine lange Debatte 1950, ich werde sie nie vergessen, mit Mies van der Rohe über die Einfachheit, über die Schönheit der Einfachheit und was einfach ist. Eins war uns beiden klar und ich habe viel dabei gelernt: Was einfach aussieht, ist nicht immer einfach."
Aus dem Nichts etwas bauen
Im Krieg hatte Frei Otto als Jagdflieger beim Blick auf die zerstörten Städte den Glauben an das Bleibende verloren. Und nach dem Krieg wurde er in einem französischen Gefangenenlager zum ersten Mal mit der Frage konfrontiert, wie aus dem Nichts etwas aufzubauen sei.
Das Reduzierte, die Architektur am Rande des Immateriellen, wurde so zu seinem Lebensthema. Seine Bauten geben sich bewusst nomadenhaft, flüchtig und beweglich, mit Zeltdächern und leichten Materialien. Er träumte von sanften Dächern - wie eine Wolkenlandschaft.
Der internationale Durchbruch gelang ihm 1967 auf der Expo in Montreal mit einem sensationell dünnen Zeltdach, das den von Rolf Gutbrodt entworfenen deutschen Pavillon überspannte und sich wie ein realisiertes Utopia präsentierte.
Architekturgeschichte schrieb er schließlich durch seine Einsicht, dass ein Dach nichts Schweres haben muss und durchsichtig sein kann. Diese Idee hat er dann gemeinsam mit Günther Behnisch beim Münchner Olympiastadion verwirklicht. Die heiteren Spiele, sie spiegelten sich für alle sichtbar vor allem auch in dieser Architektur wider.
Anreger und Visionär
Und auch wenn nur wenige seiner Objekte verwirklicht worden sind - offiziell gelten nur 13 Gebäude als gebaut - so war er sein ganzes langes Leben über ein großer Anreger und Visionär. Doch der Baualltag und die moderne Architektur, sie schreckten viel zu oft vor der Radikalität seiner minimalistischen Ansätze zurück.
Viele seiner Entwurfsskizzen lassen an Naturformen denken: Seifenhäute, Fruchtblasen, Wassertropfen, Spinnennetze. Der Experimentator und Futurist wollte mit dem Leichtbau die Technik mit der Natur versöhnen. Und so wurde Frei Otto, der Biologe unter den Ingenieuren, zu einem weltweit beachteten Vorreiter des ökologischen Bauens.
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