Nachrichten aus dem Sommerloch

Zugenähte Ohrlöcher in Spaghettitellergröße

Ein Ohr mit einem "Flesh Tunnel"
So sehen sogenannte "Flesh Tunnel" aus - jetzt werden sie wieder zugenäht © picture alliance / dpa / Felix Hörhager
Von Maximilian Klein · 31.08.2016
Hamburg setzt Trends. Und wenn es den Trend schon gibt, dann wird in Hamburg eben der Gegentrend ausgerufen. Vor ein paar Jahren konnten die Löcher in den Ohren nicht groß genug sein. Jetzt werden sie wieder zugenäht.
Neulich bei einer Fastfood-Kette.
Seelenruhig bin ich auf dem Weg, Transfette und Kohlenhydrate im Übermaß zu konsumieren. "Möchten Sie Fritten zu dem Menü?" Während ich kurz über die Frage nachdenke, verliert sich meine Blick in den Ohren der Essensverkäuferin. Anstatt eines Ohrläppchens prangt dort ein faustgroßes Loch, das auf Kinnhöhe baumelt.
Sich die Ohren auf Spaghettitellergröße zu weiten, war ein Trend aus den frühen 2000ern. Discobesucher mit Nirvanaposter an der Wand, die Sätze sagten wie: "Die alten Scheiben waren aber besser" neigten zur Selbstverstümmelung ihres Hörorgans. Mit sogenannten "Tunneln" wurde fleißig geweitet. Wer hat das größte Loch? Das war die Losung.
Zehn Jahre später ist der Trend vorbei. Raus mit den Tunneln. Ab zum Spezialisten nach Hamburg.

Das Ohr wird geflickt, das Blut spritzt

In der Hansestadt hat es sich der erste Piercer zur Aufgabe gemacht, die Ohren zu flicken. Teile des Bammelohres werden einfach weggeschnitten. Das Blut spritzt. Zuletzt wird die Nadel angesetzt und alles vernäht. Geübt hat er an sich selbst.
Gut, das Ohrläppchen ist danach viereckig. Aber wer hat schon Zeit, sich dafür zu interessieren, gilt es doch eher, auf dem Weg zum nächsten Trend voranzukommen.
Der Hamburger Spezialist für Körperverschönerungen ist sich seiner Sache sicher. Geübt hat er bis zum Umfallen.
Ich war 15, als ich mit weiten Hosen, die mir in den Kniekehlen hingen, durch die Straßen schlurfte. Mein Gürtel, natürlich in den Farben der Jamaica-Fahne. "Da ist doch ein Kilo Mist hinten in der Hose drin" war der Kommentar meines Großvaters zu meinem Bedürfnis, bei diesem Trend dabeizusein.
Will ich heute trendsicher mithalten, quetsche ich mich in Hosen der Größe "Kompressionsstrumpf". So ist das mit Trends und Gegentrends.

In Berlin gibt's jetzt Kleinhirnpiercing

Während in Hamburg noch repariert wird, wird in Berlin schon wieder trendsicher geschossen. Mit einem Bolzenschussgerät. Kleinhirnpiercing.
Wenn nach Beendigung des Trends 2026 die Metallstäbe wieder entfernt werden, kann das zu unkontrolliertem Gesabbere und Geschmacksverlust führen. Egal. PENG!
Trends. Sie sind der kleine Schocker für die U-Bahnfahrt. Der Kitt in der Peergroup, das genervte Gesicht der Eltern. Das gegengenervte Gesicht des Trendläufers. Trend und Gegentrend, ein Sackgassenpheromon der Individualisierung.
Aber was wären gerade wir Großstädter ohne Trends? Ein Spaziergang ohne Laufstöcke? Ein Rundgang durch die Stadt, ohne Pokemons zu fangen? Ein Einkauf ohne veganen Käse? Einmal Sport ohne Yogamatte? Einmal trinken ohne den Smoothie? Einmal Bar ohne Gin-Tonic?

Keiner ist vor Trends sicher

Großstädte und Trends. Hier fühlen sie sich wohl, hier tummeln sie sich, keiner ist vor ihnen sicher. Die Lösung: Warnhinweise schon am Ortseingangsschild.
Hamburg Achtung, Stehkragen und Restaurants von Fernsehköchen sind out!
Berlin: Mit Mitte 30 noch leben wie mit Mitte 20 ist peinlich!
München: Sich löcherige Jeans für 400 Euro zu kaufen, um auszusehen wie in Hamburg, ist verboten!
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