Nachholende Erinnerung
Jedes Jahr steigt die Zahl der Menschen, die anonym bestattet werden. Manche entscheiden sich bewusst für eine namenlose Grabstätte. Viele aber haben keine Angehörigen, die sie bestatten können oder wollen. Ein wenig das Vergessen aufhalten, das ist das Ziel der Münchner Malerin Julia Wegat. Sie malt Menschen, an die nach ihrem Tod nur eine namenlose oder ein namenloses Kreuz Urne erinnern würde.
„Ich finde das wahnsinnig mutig von ihr. Eine Größe. Es ist ein sehr schönes Nachkommen, was sie da macht. Und auf diese Art die Leute leben zu lassen. Diese Menschen sind allein. Da kann ich mir vorstellen, dass der Tod ausgemergelt und ausgezehrt ist. Verbittert, traurig und hässlich.“
Der Sterbebegleiter und die Krankenschwester sind voller Bewunderung für ein Kunstprojekt, für das Totenprojekt der Julia Wegat.
„Das Ziel des Projektes ist, die Zeit aufzuhalten. Das hat etwas ziemlich Selbstherrliches auch. Zu sagen, ich halte die Zeit auf für die Personen, die gestorben sind, oder: ich hol noch ein Stück von deren Leben zurück.“
Julia Wegat begann ihr „Totenprojekt“, als sie im Rahmen einer anderen Arbeit Mörder im Gefängnis besuchte. Sie studierte ihre Gesichter, beschäftigte sich mit der Frage nach der Schuld der Menschen, die einen anderen aus dem Leben gerissen haben. Ihren Angehörigen bleibt fassungsloser Schmerz. Und die Erinnerung.
„Aus dem Projekt wächst das nächste. Da kommen neue Fragen, und die muss ich jetzt wieder beantworten.“
Was passiert mit jenen, die allein sterben, fragte sie sich. Die nicht zur letzten Ruhestätte begleitet werden, bei denen keiner ist, der ihre Sachen ordnet und für sie eine Kerze anzündet?
„Die wären von der Geschichte vergessen. Einfach vergessen. Noch eine Zeit lang ist deren Asche in der nummerierten Urne hinter dem Gitter auf dem Ostfriedhof, aber auch dann kommt sie irgendwann einmal weg.“
„Das liegt an der Gesellschaft. Menschen leben in Singlehaushalten und sie mögen sich nicht so fest binden in Gruppen. Vereine und Verbände haben da sehr zu kämpfen, auch Kirchen, wo es schwierig wird. Leute möchten sich nicht binden.“
Stefan Eber ist Seelsorger im Pflegeheim Sankt Maria im Münchner Süden und beschäftigt sich tagtäglich mit Menschen, die ohne Angehörige sterben – oder den ausdrücklichen Wunsch haben, anonym beerdigt zu werden. Er kennt Julia Wegats Arbeit und schätzt sie. Sie hole Erinnerungen nach, sagt er.
„Erinnerungen helfen uns auch im Leben. Es ist ein sehr schönes Nachkommen, was sie da macht. Und auf diese Art die Leute leben zu lassen.“
Die Künstlerin, 38, rotbraune, halblange Locken, schmales Gesicht, suchte nach Verstorbenen die durch eine sogenannte Bestattung von Amts wegen in Julia Wegats Worten „entsorgt werden“. In der Leichenhalle des Münchner Ostfriedhofs begegnet sie zum ersten Mal Menschen, von denen sie nur eines wusste: dass die Stadt innerhalb von zehn Tagen keinen Angehörigen fand, der ihre Bestattung bezahlen konnte oder wollte.
Der Leichenwäscher rollte den Sarg aus dem Kühlraum. Dann war sie allein in dem gekachelten, kühlen Raum.
„Ich hab mich dem ganz langsam angenähert und auch wie ein Kind das erst die Augen zu macht und immer erst ein Stück hingeguckt, mich langsam drauf eingelassen und fand es dann weniger schrecklich als ich befürchtet hatte. In meiner Vorstellung war das viel schrecklicher, obwohl die Leichname, die ich fotografiert hatte, nicht hergerichtet, nicht geschminkt sind, nicht geschönt sind.“
Julia Wegats erster Kontakt zu ihren „neuen Verwandten“, wie sie sie nennt, war die Begegnung in der Leichenhalle. Dann begann sie, nach der Geschichte des Toten zu suchen: mal fand sie Handschriften in den Wohnungen, mal fotografierte ein noch aufgeschlagenes Kochbuch. Oder die gelben Gummistiefel einer alten Dame, die auf den nächsten Spaziergang warteten.
„Im Umgang mit diesen Toten hat sich definitiv etwas verändert, weil ich ja erst diese Leichname gesehen habe und dann die Geschichte recherchiert und die mir im Zuge dieses Verfahrens sehr vertraut wurden. Das ist eine einseitige Vertrautheit.“
Julia Wegat befragte Nachbarn, Bekannte, Ärzte und Krankenschwestern. Eine monatelange Suche nach Lebensspuren. Nicht immer war das einfach.
„Es gibt eine Person, über die habe ich nicht mehr versucht, etwas weiter rauszubekommen.“
„Ich finde das wahnsinnig mutig von ihr. Eine Größe. (...). Noch besser wäre es, wenn sie schon vorher kommen würde, weil sie den Menschen dann richtig begleiten kann. Denn jeder der Mensch (...) hat eine Geschichte. Für sie ist die Geschichte des Menschen interessant, wenn es nur noch zwei drei Tage sind, wäre es für sie gut.“
Eine ihrer Spurensuchen führte Julia Wegat zu Silvia Süssmaier. Schwester Silvia ist Sterbebegleiterin im Johannes-Hospiz in München. Ein stilles, helles Gebäude. Es riecht sauber, ein bisschen nach Bienenwachs. Hierher kommen die Menschen, um sich auf den Tod vorzubereiten. Sie nehmen Abschied, von Verwandten, von Freunden. In Gesprächen mit den Sterbebeleitern versuchen sie zu verstehen. Und zu verzeihen.
„Über die Lebensgeschichte der Patienten erfahren wir sehr viel. Wir setzen und mit der Mikrogesellschaft auseinander. Ich kann mit Sicherheit sagen, das lastet auch unseren Schultern.“
So schwer oft das Sterben ist, schließlich kommt der Tod friedlich, sagt Silvia Süssmaier.
„Das war interessant. Ich bin hingekommen mit der Aussage, der Tod ist etwas Schreckliches. Weil alle Leichname, die ich bis dahin gesehen habe, waren verzerrt. Und dieser Tod ist über die gekommen wie eine Gewalt. Sie sind nicht in Freude gestorben.“
„An das Sterben gewöhnt man sich nicht. Es ist jeden Tag etwas Neues. Gut damit umzugehen heißt, den Menschen, den man vor sich hat einfach gut zu begleiten. Seine Sorgen, Probleme mit aufarbeiten, auf seine Bedürfnisse einzugehen. man spricht ganz klar die Wahrheit. Jemand, der dem Tod so nahe ist, will von uns Pflegekräfte wissen, wie ist es, wie wird das sein. Die Antwort ist immer die selbe ... Ich kann ihnen nur von den anderen erzählen, die ich gesehen habe. Sie selber wissen, wie es sein wird. Sagen Sie es mir.“
„Ich glaube, es ist ein zähes Ringen, ein Handeln mit dem Leben. Ich kann das jetzt nur sagen anhand der Menschen, die ich gesehen habe.“
„Es ist so und Menschen sind gezeichnet, auch im Tod und im Sterben.“
Oft sieht der Verstorbene aus wie ein Schlafender. Oft aber auch deshalb, weil der Leichenwäscher die Bleiche überschminkt, die eingefallenen Wangen auspolstert und das Kinn hochbindet – den Toten in einen Schlafenden verwandelt.
Julia Wegat fotografierte den Menschen so, wie der Tod ihn geformt hat, der das Leben einfriert, die Muskeln erschlaffen lässt, das Gesicht verzerrt und blaurote Flecken auf die Haut malt. Der Tod ist hässlich, sagt Julia Wegat. Kaum kann sie glauben, dass danach noch etwas kommen soll.
„Schade, dass sie das nicht glaubt. Ich hab kein schreckliches Todesbild gesehen. Sie sind alle friedlich und lächelnd. Ich bin hundertprozentig der Meinung, dass es noch etwas gibt. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es einen Unterschied gibt. Hier wird man begleitet, man ist aufgehoben. Diese Menschen sind allein. Da kann ich mir vorstellen, dass der Tod ausgemergelt und ausgezehrt ist. Verbittert, traurig und hässlich.“
Emma Zhuk verbrachte ihre letzten Lebensmonate im Johannes-Hospiz, eine russische Dichterin, die in Odessa einen Literaturprofessor liebte und schließlich mittellos nach München flüchtete. Eine von Julia Wegats „neuen Verwandten“. Emma Zhuk starb allein. Julia Wegat versuchte, ihren Sohn zu finden. Er wird wohl nicht vom Tod seiner Mutter erfahren. Bis nach Sibirien folgte Julia Wegat seiner Spur. Dort verlor sie sich.
Erst, wenn Julia Wegat wenigstens einen Teil der Geschichte gefunden hat, beginnt sie zu malen. Öl auf Stoff, etwa ein Vorhang, der dem Verstorbenen gehört hat.
„Es war ein wichtiger Zug, dass ich nicht sofort gemalt habe oder gar das Foto gezeigt, sondern fotografiert habe, recherchiert habe und mit einem Jahr Abstand mindestens gemalt habe. Es fließt dann immer mein persönliches Gefühl mit ein. Ich sehe dann nicht mehr den puren Körper. Sondern das bekommt dann schon individuellere Züge, individueller als das Foto war. Es kriegt dann auch eine bestimmte Intensität, die ein Foto nicht hat.“
Emma Zhuk hat auf Julia Wegats Bild rötliche, kurze Haare, große Augenlider und ein schmales Gesicht. Die Wangenknochen zeichnen sich unter der wächsernen Haut ab. Zwischen ihren gefalteten Händen liegt ein kleines Amulett aus Holz mit einem grünen Zweig.
Sieben Menschen hat Julia Wegat bereits gemalt. Ein achter Mensch fehlt noch. Dann will sie die Bilder in einer Ausstellung präsentieren. Das Kasseler Sepulkralmuseum hat bereits Interesse bekundet. Aber Julia Wegat sucht noch nach einer Lösung, die Geschichte hinter den Bildern zu zeigen.
„Das Wichtigste ist, dass ich es schaffe, den Zuschauer das nachvollziehen zu lassen, was ich erlebt habe. Von: ein unbekannter, anonymer Verstorbener bis hin zu: ups, mein Verwandter. das Leben von jemanden nachzuvollziehen, jemanden zu einem echten Menschen werden zu lassen, Anteilnehmen an jemandes Schicksal. Die ganze Biographie. Jeder Mensch ist ein Roman. (...) Dann sieht man den Leichnam nicht mehr als toten Menschen. Sondern dann ist es eine Person, die bedauernswerter Weise allein gestorben ist.“
Der Sterbebegleiter und die Krankenschwester sind voller Bewunderung für ein Kunstprojekt, für das Totenprojekt der Julia Wegat.
„Das Ziel des Projektes ist, die Zeit aufzuhalten. Das hat etwas ziemlich Selbstherrliches auch. Zu sagen, ich halte die Zeit auf für die Personen, die gestorben sind, oder: ich hol noch ein Stück von deren Leben zurück.“
Julia Wegat begann ihr „Totenprojekt“, als sie im Rahmen einer anderen Arbeit Mörder im Gefängnis besuchte. Sie studierte ihre Gesichter, beschäftigte sich mit der Frage nach der Schuld der Menschen, die einen anderen aus dem Leben gerissen haben. Ihren Angehörigen bleibt fassungsloser Schmerz. Und die Erinnerung.
„Aus dem Projekt wächst das nächste. Da kommen neue Fragen, und die muss ich jetzt wieder beantworten.“
Was passiert mit jenen, die allein sterben, fragte sie sich. Die nicht zur letzten Ruhestätte begleitet werden, bei denen keiner ist, der ihre Sachen ordnet und für sie eine Kerze anzündet?
„Die wären von der Geschichte vergessen. Einfach vergessen. Noch eine Zeit lang ist deren Asche in der nummerierten Urne hinter dem Gitter auf dem Ostfriedhof, aber auch dann kommt sie irgendwann einmal weg.“
„Das liegt an der Gesellschaft. Menschen leben in Singlehaushalten und sie mögen sich nicht so fest binden in Gruppen. Vereine und Verbände haben da sehr zu kämpfen, auch Kirchen, wo es schwierig wird. Leute möchten sich nicht binden.“
Stefan Eber ist Seelsorger im Pflegeheim Sankt Maria im Münchner Süden und beschäftigt sich tagtäglich mit Menschen, die ohne Angehörige sterben – oder den ausdrücklichen Wunsch haben, anonym beerdigt zu werden. Er kennt Julia Wegats Arbeit und schätzt sie. Sie hole Erinnerungen nach, sagt er.
„Erinnerungen helfen uns auch im Leben. Es ist ein sehr schönes Nachkommen, was sie da macht. Und auf diese Art die Leute leben zu lassen.“
Die Künstlerin, 38, rotbraune, halblange Locken, schmales Gesicht, suchte nach Verstorbenen die durch eine sogenannte Bestattung von Amts wegen in Julia Wegats Worten „entsorgt werden“. In der Leichenhalle des Münchner Ostfriedhofs begegnet sie zum ersten Mal Menschen, von denen sie nur eines wusste: dass die Stadt innerhalb von zehn Tagen keinen Angehörigen fand, der ihre Bestattung bezahlen konnte oder wollte.
Der Leichenwäscher rollte den Sarg aus dem Kühlraum. Dann war sie allein in dem gekachelten, kühlen Raum.
„Ich hab mich dem ganz langsam angenähert und auch wie ein Kind das erst die Augen zu macht und immer erst ein Stück hingeguckt, mich langsam drauf eingelassen und fand es dann weniger schrecklich als ich befürchtet hatte. In meiner Vorstellung war das viel schrecklicher, obwohl die Leichname, die ich fotografiert hatte, nicht hergerichtet, nicht geschminkt sind, nicht geschönt sind.“
Julia Wegats erster Kontakt zu ihren „neuen Verwandten“, wie sie sie nennt, war die Begegnung in der Leichenhalle. Dann begann sie, nach der Geschichte des Toten zu suchen: mal fand sie Handschriften in den Wohnungen, mal fotografierte ein noch aufgeschlagenes Kochbuch. Oder die gelben Gummistiefel einer alten Dame, die auf den nächsten Spaziergang warteten.
„Im Umgang mit diesen Toten hat sich definitiv etwas verändert, weil ich ja erst diese Leichname gesehen habe und dann die Geschichte recherchiert und die mir im Zuge dieses Verfahrens sehr vertraut wurden. Das ist eine einseitige Vertrautheit.“
Julia Wegat befragte Nachbarn, Bekannte, Ärzte und Krankenschwestern. Eine monatelange Suche nach Lebensspuren. Nicht immer war das einfach.
„Es gibt eine Person, über die habe ich nicht mehr versucht, etwas weiter rauszubekommen.“
„Ich finde das wahnsinnig mutig von ihr. Eine Größe. (...). Noch besser wäre es, wenn sie schon vorher kommen würde, weil sie den Menschen dann richtig begleiten kann. Denn jeder der Mensch (...) hat eine Geschichte. Für sie ist die Geschichte des Menschen interessant, wenn es nur noch zwei drei Tage sind, wäre es für sie gut.“
Eine ihrer Spurensuchen führte Julia Wegat zu Silvia Süssmaier. Schwester Silvia ist Sterbebegleiterin im Johannes-Hospiz in München. Ein stilles, helles Gebäude. Es riecht sauber, ein bisschen nach Bienenwachs. Hierher kommen die Menschen, um sich auf den Tod vorzubereiten. Sie nehmen Abschied, von Verwandten, von Freunden. In Gesprächen mit den Sterbebeleitern versuchen sie zu verstehen. Und zu verzeihen.
„Über die Lebensgeschichte der Patienten erfahren wir sehr viel. Wir setzen und mit der Mikrogesellschaft auseinander. Ich kann mit Sicherheit sagen, das lastet auch unseren Schultern.“
So schwer oft das Sterben ist, schließlich kommt der Tod friedlich, sagt Silvia Süssmaier.
„Das war interessant. Ich bin hingekommen mit der Aussage, der Tod ist etwas Schreckliches. Weil alle Leichname, die ich bis dahin gesehen habe, waren verzerrt. Und dieser Tod ist über die gekommen wie eine Gewalt. Sie sind nicht in Freude gestorben.“
„An das Sterben gewöhnt man sich nicht. Es ist jeden Tag etwas Neues. Gut damit umzugehen heißt, den Menschen, den man vor sich hat einfach gut zu begleiten. Seine Sorgen, Probleme mit aufarbeiten, auf seine Bedürfnisse einzugehen. man spricht ganz klar die Wahrheit. Jemand, der dem Tod so nahe ist, will von uns Pflegekräfte wissen, wie ist es, wie wird das sein. Die Antwort ist immer die selbe ... Ich kann ihnen nur von den anderen erzählen, die ich gesehen habe. Sie selber wissen, wie es sein wird. Sagen Sie es mir.“
„Ich glaube, es ist ein zähes Ringen, ein Handeln mit dem Leben. Ich kann das jetzt nur sagen anhand der Menschen, die ich gesehen habe.“
„Es ist so und Menschen sind gezeichnet, auch im Tod und im Sterben.“
Oft sieht der Verstorbene aus wie ein Schlafender. Oft aber auch deshalb, weil der Leichenwäscher die Bleiche überschminkt, die eingefallenen Wangen auspolstert und das Kinn hochbindet – den Toten in einen Schlafenden verwandelt.
Julia Wegat fotografierte den Menschen so, wie der Tod ihn geformt hat, der das Leben einfriert, die Muskeln erschlaffen lässt, das Gesicht verzerrt und blaurote Flecken auf die Haut malt. Der Tod ist hässlich, sagt Julia Wegat. Kaum kann sie glauben, dass danach noch etwas kommen soll.
„Schade, dass sie das nicht glaubt. Ich hab kein schreckliches Todesbild gesehen. Sie sind alle friedlich und lächelnd. Ich bin hundertprozentig der Meinung, dass es noch etwas gibt. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es einen Unterschied gibt. Hier wird man begleitet, man ist aufgehoben. Diese Menschen sind allein. Da kann ich mir vorstellen, dass der Tod ausgemergelt und ausgezehrt ist. Verbittert, traurig und hässlich.“
Emma Zhuk verbrachte ihre letzten Lebensmonate im Johannes-Hospiz, eine russische Dichterin, die in Odessa einen Literaturprofessor liebte und schließlich mittellos nach München flüchtete. Eine von Julia Wegats „neuen Verwandten“. Emma Zhuk starb allein. Julia Wegat versuchte, ihren Sohn zu finden. Er wird wohl nicht vom Tod seiner Mutter erfahren. Bis nach Sibirien folgte Julia Wegat seiner Spur. Dort verlor sie sich.
Erst, wenn Julia Wegat wenigstens einen Teil der Geschichte gefunden hat, beginnt sie zu malen. Öl auf Stoff, etwa ein Vorhang, der dem Verstorbenen gehört hat.
„Es war ein wichtiger Zug, dass ich nicht sofort gemalt habe oder gar das Foto gezeigt, sondern fotografiert habe, recherchiert habe und mit einem Jahr Abstand mindestens gemalt habe. Es fließt dann immer mein persönliches Gefühl mit ein. Ich sehe dann nicht mehr den puren Körper. Sondern das bekommt dann schon individuellere Züge, individueller als das Foto war. Es kriegt dann auch eine bestimmte Intensität, die ein Foto nicht hat.“
Emma Zhuk hat auf Julia Wegats Bild rötliche, kurze Haare, große Augenlider und ein schmales Gesicht. Die Wangenknochen zeichnen sich unter der wächsernen Haut ab. Zwischen ihren gefalteten Händen liegt ein kleines Amulett aus Holz mit einem grünen Zweig.
Sieben Menschen hat Julia Wegat bereits gemalt. Ein achter Mensch fehlt noch. Dann will sie die Bilder in einer Ausstellung präsentieren. Das Kasseler Sepulkralmuseum hat bereits Interesse bekundet. Aber Julia Wegat sucht noch nach einer Lösung, die Geschichte hinter den Bildern zu zeigen.
„Das Wichtigste ist, dass ich es schaffe, den Zuschauer das nachvollziehen zu lassen, was ich erlebt habe. Von: ein unbekannter, anonymer Verstorbener bis hin zu: ups, mein Verwandter. das Leben von jemanden nachzuvollziehen, jemanden zu einem echten Menschen werden zu lassen, Anteilnehmen an jemandes Schicksal. Die ganze Biographie. Jeder Mensch ist ein Roman. (...) Dann sieht man den Leichnam nicht mehr als toten Menschen. Sondern dann ist es eine Person, die bedauernswerter Weise allein gestorben ist.“