"Nachhaltigkeitsmangel" in westlichen Gesellschaften

Felix Ekardt im Gespräch mit Gabi Wuttke · 28.09.2010
Der Rechtsphilosoph Felix Ekardt fordert einen sorgsameren Umgang mit Ressourcen. "Wir leben nicht so, dass dauerhaft und weltweit so gelebt werden könnte." Eine Chance sieht er nur durch das Ausbrechen aus dem Hamsterrad des Wachstums.
Gabi Wuttke: Gerechtigkeit, das ist für uns Deutsche mit Abstand das Wichtigste. Aber was ist soziale Gerechtigkeit, wer legt das fest: die Politik, die Gesellschaft oder die Wissenschaft? Heute und morgen geht es bei einer Tagung in Berlin um eine gerechte Gesellschaft und ein glückliches Leben für alle. Das ist das Ziel nachhaltiger Ökonomie, der sich als Mitglied des dazugehörigen Netzwerks auch Professor Felix Ekardt von der Uni Rostock verschrieben hat. Guten Morgen!

Felix Ekardt: Ja, schönen guten Morgen!

Wuttke: Was ist Glück im Sinne nachhaltiger Ökonomie?

Ekardt: Nachhaltigkeit zielt darauf, dass wir zeitlich und räumlich unseren normalen menschlichen Fokus erweitern. Wir neigen dazu, ans Hier und Heute vor allem zu denken, und berücksichtigen dabei nicht, dass wir in westlichen Ländern bisher einen Lebensstil pflegen, der für künftige Generationen und für Menschen in anderen Ländern wenig übrig lässt. Wir setzen auf Wachstum, wir glauben, es macht unser Leben besser, es macht uns glücklicher, obwohl das mittlerweile gut belegt ist, dass nicht nur die berühmten Bangladeschis und unsere berühmten Enkel in eine ziemlich schwierige Situation kommen dadurch, dass wir beispielsweise das globale Klima gefährden und Ressourcen verbrauchen und unsere besagten Enkel einfach nichts mehr vorfinden werden, sondern dass wir selbst dadurch – so sagen uns Psychologen – gar nicht wirklich glücklicher werden. Wir werden reicher, aber wir werden nicht unbedingt glücklicher.

Wuttke: Und wie viel Verantwortung obliegt da – Sie sprechen ja immer vom Wir – dem Einzelnen?

Ekardt: Na ja, es geht um ein Wechselspiel von Politik und dem Einzelnen. Insofern, wenn wir feststellen, wir haben einen Nachhaltigkeitsmangel in westlichen Gesellschaften, wir leben nicht so, dass dauerhaft und weltweit so gelebt werden könnte. Wenn wir die deutsche Autodichte weltweit haben, hätten wir weltweit nicht 600 Millionen, sondern 6 Milliarden Autos. Das ist, selbst wenn wir die Autos mit Solarenergie betreiben, unmöglich aufgrund allein schon der Begrenztheit der Stahlvorräte. Das heißt, wir müssen umdenken also völlig unabhängig bereits vom Klimaproblem.

Und wenn ich so einen großen Wandel auslösen will, der wie gesagt aber nicht ein böser, trauriger Verzicht sein muss, sondern damit auch einhergehen kann, dass ich überlege, was macht mich wirklich glücklich, macht mich ein Auto wirklich glücklich, macht das irgendwie mein Leben wirklich besser oder zum Teil auch stressiger, wenn ich so etwas auslösen will, dann kann das nicht nur vom Einzelnen ausgehen. Weil es geht ja nicht darum, dass einfach nur einer jetzt anders handelt. Wir müssen westliche Gesellschaften anders aufstellen.

Das heißt, es geht darum, dass man politische Rahmenbedingungen anders setzt, wobei in Demokratien das natürlich mitgetragen werden muss von uns allen. Wenn wir eine Politik machen müssten, die beispielsweise dafür sorgt, dass wir sorgsamer mit Ressourcen umgehen, die Ressourcen also gezielt verknappt, damit sich das individuelle Verhalten ändert, dann brauchen wir tatsächlich einen politischen Rahmen auch.

Wuttke: Wenn man sich jetzt also anguckt, dass die Politik den Mehrheitswillen zum Beispiel bei der Atomkraft ignoriert und Wirtschaftsriesen weiter vor allen Dingen an Profit denken, wer also genau sollte dann diesen Wandel, von dem Sie sprechen, tragen und anschieben können?

Ekardt: Das Problem mit der Nachhaltigkeit sind letzten Endes natürlich wir alle oder einfacher gesagt der Mensch. Menschen sind eben, egal ob sie Politiker, Unternehmer oder einfach Wähler und Konsumenten sind, so gepolt emotional, dass sie eher ans Hier und Heute denken, dass sie eher bequem sind, langfristige, komplexe Probleme nicht gut fassen können, eher verdrängen. Gleichzeitig ...

Wuttke: ... was sollen wir tun mit unseren Emotionen?

Ekardt: Das ist gerade das Problem. Wir können im Grunde natürlich jetzt naiv werden: Es gibt viele naive Forscher, die jetzt sagen, wir brauchen einen neuen Menschen. Wohin das führt, wissen wir in der Tradition marxistischer Theorien: Es wird entweder nicht funktionieren oder totalitär enden. Wir müssen Rahmenbedingungen setzen, die damit rechnen, dass wir kurzsichtig und eigennützig sind, und uns aber in die richtige Richtung lenken.

Und das geht beispielsweise, indem ich Treibhausgasemissionen, also Klimagasemissionen teurer mache, indem ich Ressourcenverbrauch teurer mache, dann sagt mir der Preis, wie schädlich mein Verhalten für andere ist. Das ist ja der Punkt. Wir merken, wenn wir jetzt in den Laden gehen, wenn wir ein Auto kaufen, wenn wir ein Handy kaufen, einen Toaster kaufen, was auch immer kaufen: Wir merken dem Preis nicht an, was unsere vielen kleinen, ganz alltäglichen Handlungen, die alle anderen doch scheinbar auch vornehmen, letzten Endes anrichten.

Und deswegen brauchen wir einen einfachen Mechanismus, das ist tendenziell der Preis: Wenn Ressourcen teuer werden, dann werden automatisch die Produkte effizienter, man beginnt sich Gedanken zu machen, die Hersteller beginnen sich Gedanken zu machen, stellen eben kein Zehn-Liter-Auto mehr her, sondern ein Drei-Liter-Auto, und man überlegt sich, muss ich wirklich ein eigenes Auto haben, oder kann ich es mit anderen Leuten teilen?

Wuttke: Lassen Sie uns noch mal über einen anderen Preis reden in einem anderen Kontext: Beim Stichwort Hartz IV, in welchem Verhältnis steht denn dann sozusagen die Wohlfahrt zum Glück?

Ekardt: Also ein zentrales Problem unseres bisherigen Wachstumsparadigmas ist natürlich auch: Wir setzen sozusagen immer nur auf Steigerung des Gesamtwohlstands, fragen uns aber gar nicht, wie das im Einzelnen verteilt ist. Wir haben weltweit gesehen einen steigenden Gesamtwohlstand, der ist aber völlig ungleich verteilt. Eine relativ kleine Gruppe wird immer reicher, eine sehr große Gruppe schon in westlichen Ländern wird keineswegs reicher, sondern es werden eher immer mehr Menschen in durchaus prekären Situationen in westlichen Ländern. Und das allergrößte Problem haben viele Menschen außerhalb westlicher Länder. Deswegen ist es für eine gute, nachhaltige Ressourcenpolitik essentiell, dieses Verteilungsproblem auch zu sehen.

Die Welt ist auch rein ökonomisch betrachtet eigentlich eine reiche Welt. Wir müssten es aber in vielerlei Hinsicht wohl anders verteilen. Allerdings nicht in dem Sinne, dass das Ziel jetzt ist, dass jeder Hartz-IV-Empfänger in Deutschland den Lebensstil von Herrn Ackermann anfängt zu imitieren, also der, also weiß ich nicht, dreimalige Thailand-Urlaubsflug im Jahr wäre gerade nicht nachhaltig.

Es geht darum einzusehen, dass wir alle anders leben müssen, aber nicht im Sinne einer traurigen Verzichtsdebatte, sondern im Sinne einer Chance, im Sinne eines Ausbrechens aus dem Hamsterrad des Wachstums, was unser Leben doch, wie uns die letzten Jahrzehnte gelehrt haben, nicht wirklich besser macht.

Wuttke: Was nachhaltige Ökonomie ist und wie dick das Brett, das dafür gebohrt werden muss, dazu Professor Felix Ekardt, Mitglied des Netzwerks Nachhaltige Ökonomie, die heute und morgen in Berlin eine Tagung ausrichten.
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