Nachhaltigkeit bei Musikfestivals

Bier-Pipeline und Müll-Pfand statt Ekstase?

Peter aus Österreich trinkt am 02.08.2017 in Wacken (Schleswig-Holstein) auf dem Festivalgelände des Wacken Open Air im Camping Bereich einen halben Liter Bier aus einem Schlauch. Hinter ihm steht Marc und macht das Zeichen der Heavy-Metal-Fans, die "Pommesgabel". Das Wacken Open Air findet vom 03. bis 05.08.2017 statt.
Peter aus Österreich trinkt in Wacken (Schleswig-Holstein) auf dem Festivalgelände des Wacken Open Air im Camping Bereich einen halben Liter Bier aus einem Schlauch. © picture alliance / dpa / Christophe Gateau
Von Martin Risel · 03.08.2017
Beim Heavy-Metal-Festival in Wacken wird das Bier erstmals durch eine Pipeline auf das Gelände in der schleswig-holsteinischen Pampa gepumpt. Andere Festivals setzen für die Nachhaltigkeit etwa auf Müllsäcke mit Pfand. Aber will man das? Heißt Festival nicht auch Ekstase, Schlamm und Dixi-Klos?
In Wacken laufen diesmal 400.000 Liter Bier für die Festivalbesucher, im Schnitt fünf Liter, durch eine kilometerlange Bier-Pipeline. Das spart Geld, Zeit und schont die Wiesen. Bauleiter Florian Willner:
"Die letzten Jahre immer: Große Tankzüge wurden mit schweren Fahrzeugen durch das Gelände gezogen."
Und jetzt?
"Die Fahrzeuge, Tanklastzüge können hier unmittelbar an der Straße abgestellt werden von LKWs. Und von hier aus werden dann die Bierstationen mit Bier versorgt."
Super-Sache. Gegen den Durst, für die Umwelt.
Arbeiter verlegen am 23.05.2017 in Wacken (Schleswig-Holstein) Leerrohre auf dem Festivalgelände. Durch die Rohre sollen während des Heavy-Metal-Festivals vom 03. bis 05.08.2017 Versorgungsleitungen für die Bier-Zapfstationen gelegt werden. Dann können in den Getränkebuden sechs Bier pro Sekunde gezapft werden. 
Arbeiter verlegen Rohre auf dem Festivalgelände, durch die das Bier fließen soll. © picture alliance / dpa / Carsten Rehder

Zehn Euro Pfand für einen Müllsack

Szenenwechsel Hurricane Festival: Zehn Euro zahlt jeder Besucher Pfand für einen Müllsack. Sack gefüllt, Geld zurück. Klappt oft, aber nicht immer.
Besucher: "Also mal schmeißt man was in die Ecke, aber wird eben auch angeregt, darüber nachzudenken durch dieses Müllpfand."
... sagt ein jugendlicher Besucher. Und der Müllmann?
"Da bleibt weniger liegen und umso weniger hat das Aufräumkommando dann zu tun."
Müllberge bei Festivals sind Medien-Dauerthema, aber Wahrnehmungssache. Den Müll von 80.000 Menschen sieht man sonst nicht, hier halten die Kameras drauf.
Jacob Bilabel berät mit seiner Green Music Initiative Festivals in ganz Europa:
"Das ist der Unterschied: Du siehst Festivalmüll, weil der liegt auf'm Zeltplatz, nicht schön im Mülleimer wie bei uns und wird morgens abgeholt. Deshalb nervt Müll so sehr. Aber eigentlich produzierst du genauso viel Müll wie zu Hause."
Marcel Dettmann ist als Berghain-DJ auch weltweit bei Festivals gebucht:
"Das fand ich zum Beispiel in den USA ganz interessant beim Coachella Festival: Da habe ich nicht eine Zigarettenkippe aufm Boden gesehen. Da sind ständig Leute rumgerannt, haben die Kippen aufgesammelt. Man durfte auch nicht aufm Festivalgelände trinken. Man musste immer in so Separees gehen, durfte da trinken und dann durfte man wieder zurück. Also das war für mich das sauberste Festival, was ich je gesehen hab." (lacht)

Hedonismus versus Verantwortungsbewusstsein

Nur: Will man das? Heißt Festival nicht auch drei Tage Ekstase, Schlamm und Dixi-Klos? Festival-Veteran DJ BassDee:
"Das ist immer ein zweischneidiges Schwert. Hedonismus scheint eben dazu zu führen, dass Dinge verbraucht werden."
Ist das der moralische Grundkonflikt bei drei Tagen Feieralarm? Hedonismus versus Verantwortungsbewusstsein? Nein, sagt Nachhaltigkeitsexperte Jacob Bilabel:
"Das ist ein Glaubenssatz, der nicht stimmt: Nachhaltigkeit heißt keinen Spaß haben. Es geht nicht darum: Was dürfen wir alles nicht mehr? Sondern zu überlegen, was wollen wir stattdessen machen? Und dann kann ein Festival der totale Irrsinn sein. Und dennoch nachhaltig, dennoch ökonomisch und ökologisch sinnvoll."

Fahrgemeinschaften über Facebook

Was also zum Beispiel außer Müllpfand?
Marcel Dettmann: "Es fängt ja mit so einfachen Sachen an wie Flugrouten oder so. Dass man so effizient wie möglich plant auch, dass man sagt: Die letzten Kilometer fliegen wir halt nicht, die fahren wir eben drei Stunden mit'm Auto."
CO2-bewusstes Booking wäre der nächste Schritt. Nicht nur Vielflieger wie Marcel Dettmann, auch Besucher können smart anreisen: Fahrgemeinschaften über Facebook, Fernbusse bis zum Festivalgelände, teure Auto-Parktickets, günstiger Supermarkt auf dem Zeltplatz, Sonderzüge mit Shuttlebus-Service - oft schon selbstverständlich. Denn über 60 Prozent des CO2-Fußabdrucks eines Festivals entsteht durch Verkehr.

Licht mit Ökostrom

Und sonst?
Jacob Bilabel: "Licht ist ein Riesenthema. Würdest du von konventioneller Beleuchtung komplett auf LED umschalten, würdest du 80 Prozent weniger Strom verbrauchen."
Manche Festivals werben schon mit 100 Prozent Ökostrom. Jacob Bilabels Green Music Initiative und deren europäischer Partner ee music vergeben Nachhaltigkeits-Gütesiegel und schulen Veranstalter. Auch Roskilde und Glastonbury, die großen europäischen Festivals mit Hippie-Tradition, machen mit. Zum Beispiel statt Chemie-Klo ...
Jacob Bilabel: "Glastonbury dieses Jahr: 2500 Tausend Trockentoiletten. Funktionieren super, stinken nicht, sehen toll aus."
Der umweltbewusste Fan freut sich über immer mehr regionale, Bio- und Veggie-Fress-Stände statt Ravioli auf dem Zeltplatz. Und die Reste gehen an lokale Tafeln. Auch dabei war das Melt Festival lange Vorreiter. Inzwischen sind es Pale'o und St. Gallen in der Schweiz, Tollwood und Streetlife in München.
Viele andere versuchen Nachhaltigkeit in kleinen Schritten. Vielleicht gibt's ja in Wacken demnächst eine Rückleitung für die Bier-Pipeline, um die Felder zu düngen. Und auch Melt-Veranstalterin Julia Gudzent will nachhaltig bleiben:
"Es gab immer so die Idee, dass man mit den Solaranlagen eine Bühne betreibt. Aber ich glaube nicht, dass wir das aufgeben wollen, das böse, umweltfeindliche Festival ein bisschen umweltfreundlicher zu machen."
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