Die Milch macht's!
Die in Hannover lebende Mikrobiologin Anke Domaske schwärmt von biologischen Kreisläufen. Als Unternehmerin macht sie aus Milch Mode, für die Herstellung nutzt sie ausschließlich Milch, die verdorben ist. Der Clou: Es fallen keine Abfälle an.
Der erste Eindruck tut der Nase nicht gut: In der Produktionshalle stinkt es an diesem Abend nach Milch, die auf der Herdplatte schmort. Das Odeur entströmt der Spinnanlage. Hoch über dem Hallenboden ist die Maschine auf einer Bühne aus Metall montiert. Anke Domaske lächelt entspannt. Die 28-jährige Gründerin von QMilch schaut zu, während ihre Techniker schraubend und fluchend nach der Ursache der Panne suchen.
Anke Domaske: "Die Jungs, die müssen halt gerade die Maschine wieder freifahren. Aber das ist halt bei Innovationen so, das läuft nie immer perfekt."
Es blubbert, es dampft aus den Tiefen der Anlage – doch die Chefin betont, dass die Produktion ihrer Faser Ressourcen schont. Für ein Kilo Faser werden angeblich nur zwei Liter Wasser gebraucht. Zum Vergleich: Auf rund 4.000 Liter beläuft sich der so genannte Fußabdruck eines herkömmlichen T-Shirts. Natur- und Synthetikfasern werden gewöhnlich bei Temperaturen um die 200 Grad gesponnen.
Anke Domaske: "Wir verarbeiten alles bei 80 Grad, bei niedrigen Temperaturen. Wenn bei uns die Masse rausfährt, dann spielen die Jungs immer noch damit – und deswegen kriegen die auch so wahnsinnig weiche Hände."
Die 18 Aminosäuren des Kasein wirken pflegend auch für Männerhaut. Das Milch-Protein ist die Basis der Rezeptur, das verrät Domaske mit Gründerstolz. Kein Kälbchen muss darben, kein Kunde wird leer ausgehen, weil Domaske die kostbare Milch zu Kleidern verwebt. Für ihre kompostierbaren Fasern nutzen die Hannoveraner nur solche Milch, die nicht zum Konsum geeignet ist - etwa weil sie aus dem Spülwasser von Molkereien stammt, im Supermarkt abgelaufen oder schon auf dem Bauernhof verschmutzt worden ist.
Allein in Deutschland falle eine Menge, an, die in gestapelten Tetra-Packs von der Erde bis zum Mond reichen würde. So rechnet es Domaske vor, die auch was von PR versteht:
"Wir reden ja nicht nur von den zwei Millionen Tonnen, die in Deutschland weggekippt werden, sondern auch in den Nachbarländern, in den USA, in Indien, weil die Milch sauer geworden ist. Und alle suchen nach einer Lösung, weil es ist ja eigentlich schade, es ist ein sehr wertvoller Rohstoff, aber unterliegt halt sehr strengen Lebensmittelkriterien. Und dem entsprechend fällt da eben auch sehr viel an, was man letzten Endes nicht essen und trinken darf."
Ales verwerten, was so in der Milch steckt
Die Liste der weiteren Zutaten ist streng geheim. Chemikalien gehören garantiert nicht dazu, sagt Domaske. In der Spinnmaschine wird das Eiweißpulver aus Milch-Protein mit Wasser verdünnt, Spiralen kneten die Masse, am Ende der Prozedur wird sie durch eine Lochplatte mit vielen kleinen Öffnungen gedrückt.
"Dann kommt hier die Masse vorne raus und je nachdem, welche Düse man vorne dran schließt, kann man halt ´ne Textilfaser machen oder auch ein Granulat. Wir liefern unser Granulat ja auch an die Kunststoffindustrie, wo das dann halt zu Plastikersatzteilen verformt wird. Dann rufen auch Kunden an und fragen: „Kann man das in so ein Bauteil zum Beispiel mal bringen?" Die ersten Märkte auf die wir gehen, sind natürlich Bekleidung und er Heimtextilbereich, also so Betten aus 'QMilch'. Auch die Automobilbranche und Medizinbranche sind natürlich interessant!"
Die Nachhaltigkeit ist mehr als nur ein Werbeträger. Weltweit raufen sich die Hersteller von Naturtextilien die Haare, denn ihre Fasern sind knapp geworden. Für Baumwolle, die beliebteste Faser, gibt es kaum noch Anbaufläche. Der Bedarf steigt, die Bevölkerung wächst. Biobasierte Fasern, prophezeit Domaske, sind ein noch kaum zu erfassender Zukunftsmarkt.
Aus der Spinnmaschine heraus stürzen die Fasern dem Hallenboden zu. Dort werden die haarfeinen Fäden mit Druckluft zu reißfesten Fasern gebündelt und zum Aufspulen über Walzen geführt. 100 Kilo Fasern produziert das junge Startup momentan pro Stunde, im Zweischicht-Betrieb kommt man auf 1.000 Tonnen im Jahr. Was die 20 QMilch-Mitarbeiter hier eigentlich tun, lacht Domaske, hätten die Aluminium-Werker, die sich mit ihnen die Industriehalle teilen, bis heute nicht ganz begriffen.
Anke Domaske: "Wir sind so ein bisschen die Ökos auf dem Gelände, aber mit dem Image kann ich heutzutage sehr gut leben."
Anke Domaske trinkt ihren Kaffee mit Milch. Die Büroecke ist spartanisch eingerichtet. Auf dem Tisch liegt ein Kleid aus eigener Kollektion. Domaske ist Mikrobiologin, doch die Welt der Bakterien füllt sie kreativ nicht aus. Mit 19 Jahren startet sie nebenbei ihr Modelabel. Inzwischen bietet sie ihre aus Milchfasern gewebten Kleider in ausgewählten Boutiquen feil. Am flauschigen Exponat will der Reporter jetzt schnuppern.
Anke Domaske: "Das ist lustig, ich kenne das aus den Anfängen und es ist auch noch genauso, dass die Leute als erstes an den Sachen riechen."
Riechen tut da nichts – und Domaske erzählt mehr von der Milch und ihrem Potenzial, das noch lange nicht ausgeschöpft sei:
Riechen tut da nichts – und Domaske erzählt mehr von der Milch und ihrem Potenzial, das noch lange nicht ausgeschöpft sei:
"Meine große Vision ist, dass wir dann das Sammelsystem haben und man alles verwerten kann, was so in der Milch steckt. Das ist mein großes Ziel."
Vernetzung mit Gleichgesinnten, geschlossene Kreisläufe, schnelle Umsetzung von Kundenwünschen, technische Innovation: das sind so Leitgedanken, die ihr im Kopf umgehen.
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