Nachhaltige Langeweileverscheuchung

Von Peter Krause |
"Eine 22 Jahre alte Berliner Flitzpiepe stellt Methoden der nachhaltigen Langeweileverscheuchung vor" – mit diesem flotten Spruch beginnt der Kurzfilm von Stephan-Flint Müller. Seitdem sein "Fliegenpflicht für Quadratköpfe" bei Filmfesten prämiert wurde, wird der junge Regisseur auch international beobachtet.
Drei Männer liegen in einem Bett, sie haben die gleiche Unterwäsche an und quälen sich gemeinsam aus den Federn. Schnitt – auf dem Monitor taucht das Wort "Tricky" auf und schon legt Stephan-Flynt Müller mit seinen optischen Taschenspielertricks los. Unterstützt von 2 Freunden verrückt er unentwegt die Perspektive. Schon als Amateur-Fotograf hatte er diese Leidenschaft, wetteiferte mit einem Freund um die skurrilsten Fotos, die schrägsten Blickwinkel, die merkwürdigsten Objekte. In seinen Filmen spielt er mit Nahaufnahme, Zoom und Totale, dreht die Kamera bis sie auf dem Kopf steht und zeigt, dass Pappbecher und Mensch gleich groß sein können.

Papierkörbe beginnen zu reden, Alltagsgegenstände werden lebendig, der Fernsehturm mutiert zum I – links und rechts davon die Reste eines Wortes auf ein Pappschild gemalt. Stephan-Flynt Müller interessiert das Bild im Bild, das Verfremden und Unkenntlichmachen von Details. Die Technik hat er bei Dali entdeckt, dessen Bilder ihn schon als Teenager faszinierten und ihn noch heute beim Drehen inspirieren.

Stephan-Flynt Müller: " Angefangen hat es darüber, dass ich Fotos gemacht habe, lustige Bilder, mir aber irgendwann eine Kamera gekauft habe, weil ich gemerkt habe, lustige Bilder sind noch viel lustiger, wenn man sie in der Reihe aufnimmt."

Die Eltern - der Vater Schlosser, die Mutter Krankenschwester - fragen sich manchmal augenreibend, ob dieser quirlige, überkreative Mann wirklich ihr Sohn ist. Bislang wurde bei keinem in der Familie eine künstlerische Ader diagnostiziert. Als Stephan-Flynt Müller mit 17 einen Musikclip der Band "Prodigy" sah, wollte er sofort mit dem Filmen beginnen, doch Geld für eine Kamera war nicht vorhanden.

Erst fünf Jahre später, während des Zivildienstes, hatte Stephan-Flynt Müller plötzlich viel Zeit, entdeckte die Stadt und begann seine Ideen aufzuschreiben. Der direkte Weg zur Filmkamera, als Praktikant beim Fernsehen, war ein wenig befriedigender Versuch. Vor drei Jahren endlich drehte er mit einer kleinen Digital-8-Kamera seine ersten drei- bis fünfminütigen Filme: Großstadtcollagen mit Situationskomik und schnell aneinander gereihten Ausschnitten.

" Eigentlich war es das, was ich, wenn ich durch die Stadt gefahren bin, gesehen habe, Sachen die mich irgendwie angeregt haben, Sachen zu verändern, Plakate, die lustig waren oder die man gut verarschen kann, die einfach dämlich sind, aus denen man irgendwas anderes machen muss, weil sie so blöd sind."

Szenen aus dem Alltag seines 8-jährigen Bruders Lukas, "Zigarren für Berlin" und die "Kleine Bio-Mahlzeit", ein lustiger Werbefilm für Bioprodukte sind die ersten Versuche des drahtigen 24-jährigen Berliners mit den flinken Augen. Als Stephan-Flynt Müller plötzlich ein Jahr Zeit hatte bis sein Studium an der Filmhochschule in Hamburg beginnen sollte, startete er mit dem Großprojekt "Fliegenpflicht für Quadratköpfe".

" Ich hatte eine Szene am Anfang des Films im Kopf und das war in der S-Bahn, da habe ich dieses Türschließsymbol des Knopfes, des Türschließknopfes gesehen, und dachte mir, das sieht ja aus wie ein Quadratkopf und darunter da sind ja diese beiden Pfeile die aufeinander zeigen, das sieht aus wie eine Fliege. Und das war nur eine Szene, die ich schon im Kopf hatte und die auf jeden Fall in den Film rein sollte."

Ohne Drehbuch und Konzeption ging er auf die Stadt los: Nahm Gebäude, Straßenlaternen, den Berlin-Marathon, Polizisten und vieles mehr auf und karikierte alles, was er sah. Nichts ist, wie es ist bei Stephan-Flynt Müller, nicht einmal Zuhause. Dort hat er sich ein Hochbett gebaut, auf dem keine Matratzen liegen, sondern der Bürostuhl, das Filmequipment und der Computer stehen.

Unerwartetes im Leben, Unerwartetes im Film: Häusergiebel, Litfasssäulen und Reklameschilder verwandeln sich in die neueste Hutmode, das Straßenschild "Puttkamerstrasse" wird zu "Kaputt kam er Strasse lang", dahinter auf Krücken - der Regisseur selbst.

Einige Bilder wirken, als seien sie am Computer bearbeitet worden, so verblüffend ist die Wirkung. Doch der Kamerazoom erklärt manchen visuellen Gag. Und gedreht wurde alles in Echtzeit.
" Wir haben uns tatsächlich entweder an die Plakate, die 3 mal 5 Meter großen Plakate rangehangen mit Strippen oder die Riesenplakate, die 20 mal 30 Meter groß sind oder noch größer, die haben wir von hinten aufgeschlitzt. Die hängen ja meistens an Baugerüsten dran, an großen Häusern, dann klettert man das Baugerüst hoch und kann ja von hinten auch gucken, wo man sich befindet, dann schlitzt man halt mal den Mund auf oder wenn es ein Golfloch ist an der Stelle wo das Golfloch ist, so dass es aussieht, als würde man in dem Golfloch drin sitzen."

Mit einem winzigen Budget von 100 Euro hat Stephan-Flynt Müller "Fliegenpflicht für Quadratköpfe" gedreht und inzwischen mehrere Preise auf Kurz- und Trickfilmfestivals gewonnen. Produzenten aus Hollywood und von MTV haben sich schon bei ihm gemeldet, aber der junge Regisseur will sich noch nicht an einen Auftraggeber binden, sondern will sich Zeit lassen und erst einmal einen zweiten Film drehen.