Nachfolge von Sir Simon Rattle

Unerbittlicher Arbeiter und höflicher Perfektionist

Mariss Jansons beim Neujahrskonzert 2012 in Wien.
Mariss Jansons bei der Arbeit © picture alliance / dpa / Herbert Neubauer
Von Uwe Friedrich · 08.05.2015
Der Lette Mariss Jansons machte das Amsterdamer Concertgebouw-Orchester zum besten der Welt. Jetzt gilt er, aktuell Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, als einer der Nachfolger von Sir Simon Rattle, der von Berlin nach London wechselt.
Mariss Jansons stammt aus einer lettischen Musikerfamilie, der Vater Dirigent, die Mutter Opernsängerin. Wie sein Schüler Andris Nelsons hat auch er die Jugend quasi im Opernhaus seiner Heimatstadt Riga verbracht, wo seine Mutter als Sängerin engagiert war. Schon als Kind wusste er die Musikernamen der Leningrader Philharmoniker auswendig, nur kurz verlockte ihn eine Karriere als Fußballer, aber die Eltern waren dagegen. Früh verließ er mit seinen Eltern Riga und zog nach Leningrad, wie St. Petersburg damals hieß. Die Stadt ist ihm bis heute Heimat, auch wenn er zurzeit Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks ist, das er wieder zu einem der weltweit führenden Orchester gemacht hat. Sein musikalisches Credo ist dabei scheinbar ganz einfach.
"Die wichtigste Aufgabe ist, glaube ich, das Publikum geht nach Hause und hat wirklich etwas bekommen, geistig und emotional. Wenn das Publikum nach Hause geht und sagt: War ein schönes Konzert, wunderbar gespielt auch. Aber wenn man sagt: Ach, ich habe wunderbare Stunden erlebt, ich glaube, das ist die wichtigste Aufgabe."
Ausgezeichnet mit dem Ernst von Siemens Musikpreis
Mariss Jansons ist 72 Jahre alt und herzkrank, deshalb hat er kürzlich die Leitung des Amsterdamer Concertgebouworkest abgegeben, das unter ihm zum derzeit wohl weltbesten Orchester wurde. Jansons ist ein unerbittlicher Arbeiter, ein Perfektionist, der den Orchestermusikern im Konzert gleichwohl die Freiheit zum gemeinsamen Musizieren lässt. Kein Wunder, dass er überall gefragt ist und sich aussuchen kann, wo er auftreten will. Vor zwei Jahren erhielt Mariss Jansons den Ernst von Siemens Musikpreis, sozusagen den Nobelpreis der Musik für sein Lebenswerk, und sagte damals in einem Interview:
"Wenn Sie ein junger Künstler sind, dann können Sie Ihr Leben oder Ihre Karriere aufbauen. Jetzt habe ich, glaube ich, ein gutes Niveau erreicht und habe wunderbare Arbeit. Wie es weitergeht ... Jetzt zu sagen: In fünf Jahren werde ich das tun oder in zehn Jahres das – so etwas denke ich nicht. Weil ich weiß nicht, wie werde ich mich fühlen, wie wird meine Gesundheit sein, wie wird meine Laune sein, wie wird meine Beziehung zum Orchester sein."
Beinahe ein Fossil
Mariss Jansons gilt als Spezialist für das Werk Dmitri Schostakowitschs, den er noch selbst kennengelernt hat. Außerdem hat es ihm das spätromantische Repertoire mit seinen ausufernden Symphonien angetan, die er vorbildlich in den Griff bekommt. Er gilt als höflicher Dirigent der alten Schule, der ein Orchester jedoch nicht nach Despotenart beherrschen will. Gleichwohl gilt er als unbestechlicher Orchestererzieher. Bei ihm steht einzig die Musik im Mittelpunkt, PR-Chichi und Sponsorengedöns passen überhaupt nicht zu ihm. Unter den smarten Dirigenten der jüngeren Generation wirkt er in der Selbstverständlichkeit seines Auftretens auf dem Dirigentenpult und im Gespräch beinahe wie ein Fossil und ist gerade deshalb ein Idol für all jene, die meinen, klassische Musik sei stark genug, um für sich selbst zu sprechen.
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