Nachdenken über das Denken

13.11.2006
Der Philosoph John R. Searle geht in seinem Buch "Geist" der uralten Fragen nach: Ist der Mensch ein primär geistiges oder ein primär körperliches Wesen? Searles Buch ist der Versuch, philosophische Einsichten mit dem neusten Wissen aus der Neurobiologie zusammenzubringen. Auch wenn Searle keine abschließende Antwort auf die Frage bietet, so ist es doch äußert anregend, über das Denken nachzudenken.
Das hier ist ein wichtiges Buch. Auch wenn die "Frankfurter Allgemeine" empfiehlt, es unter "Kuriosa" abzubuchen. Kurios ist allenfalls die Sprache. John Searle, das ist bekannt, wettert gern gegen die "katastrophalen Irrtümer" seiner Kollegen und lobt die eigenen "verblüffenden Einsichten". Das ist frech, das ist amerikanisch - und das ist nicht ganz ernst gemeint. Darum hat es Unterhaltungswert.

Ein Buch für Leute, die Lust haben, über das Denken nachzudenken und etwas zu erfahren darüber: Wie hängt die Tätigkeit unseres Geistes mit unserem Körper zusammen? - Eigentlich geht es um die uralte philosophische Frage: Was ist der Mensch: ein primär geistiges oder primär körperliches Wesen, wer regiert hier eigentlich wen? Der Geist den Körper oder der Körper den Geist? Und wie wird diese Herrschaft ausgeübt?

John Searle ist Philosoph, weiß also vieles, was in der langen Geschichte der Philosophie über das so genannte "Leib–Seele–Problem" gedacht worden ist. Aber er liest auch die Bücher der Neurobiologen zu diesem Thema. Dieses Buch ist ein Versuch, seine philosophischen Einsichten zusammenzubringen mit neuem Wissen über die Funktion des menschlichen Hirns, die wir der Neurobiologie verdanken.

Der erste Teil des Buches ist ein Rundumschlag des Autors gegen seine Philosophen–Kollegen. Sowohl "gegen den Dualismus als auch gegen den Materialismus", wie er schreibt. Dualistisch nennt Searle alle Theorien des Geistes, die auf Rene Descartes zurückgehen, unseren Geist getrennt von den Körperfunktionen betrachten und ihm vollkommene Souveränität gegenüber dem Körper bescheinigen. Materialistisch dagegen nennt Searle jene Theorien, die den Geist als etwas rein Körperliches begreifen und ihm jegliche Souveränität absprechen.

Beides ist falsch, meint der Autor. Nur: dass der Dualismus falsch ist, hat sich längst herumgesprochen – der schlichte Materialismus dagegen feiert fröhliche Urstände in den Büchern vieler Neurobiologen. Denn die behaupten, der menschlichen Geist, das seien Ströme von Neuronen im Gehirn. Das ist ungefähr so, als wenn man erklärt, Da Vincis "Mona Lisa" ist eine Leinwand mit Ölfarbe drauf. Das ist zwar nicht falsch, aber eben nur die halbe Wahrheit. Unser Geist, meint John Searle, das sind - biologisch betrachtet – natürlich Ströme von Neuronen, die sich mit Computer-Tomographen feststellen lassen, schön, dass die Naturwissenschaft das herausgefunden hat. - Aber philosophisch betrachtet ist und bleibt dieser Geist ein immaterielles Phänomen: der Ort unserer Vorstellungen, Gedanken, Gefühle, Erinnerungen (die man auf dem Computerbildschirm eben nicht sichtbar machen kann) – und auch der Ort, wo wir Entscheidungen treffen, darunter Entscheidungen, die unseren Körper dirigieren. Es ist unser Geist, der bestimmt, ob unser Körper (inklusive Gehirn und Neuronenströme) heute Abend ins Kino geht oder nicht.

Apropos Entscheidungen: Einige Neurobiologen behaupten neuerdings, der Mensch besitze keinen freien Willen. Jean Searle interessiert sich brennend für das Thema und fragt sich zunächst: Was haben die Neurobiologen denn wirklich herausgefunden? Man hat Computertomographen - festgestellt: wenn ein Mensch seinen Arm hebt, dann wird die Region im Gehirn, die für die Motorik zuständig ist, früher aktiv als diejenige, die für das Denken zuständig ist. Das heißt, wir sind bereits dabei, den Arm zu heben – und kurz danach fällt uns ein: "Aha, ich hebe gerade den Arm!"

John Searle kommentiert: Das mag so sein, aber was hat das mit dem Problem des freien Willens zu tun? - Die meisten unserer Tätigkeiten vollziehen wir nun mal, ohne bewusst darüber nachzudenken, das heißt völlig unbewusst, aus reiner Gewohnheit nämlich. Und erst dann denken wir darüber nach – oder auch nicht. Es wäre nämlich eine Katastrophe für unser Leben, wenn wir alles, was wir unbewusst und gewohnheitsmäßig tun, täglich neu durchdenken und entscheiden müssten. Zum Beispiel am Morgen: "Gehe ich jetzt unter die Dusche oder putze ich mir zuerst die Zähne? Knöpfe ich die Bluse lieber von oben oder von unten her zu? "Das läuft - zum Glück! - "vollautomatisch", das heißt unbewusst und gemäß unseren Gewohnheiten.

Was nun den freien Willen des Menschen betrifft: So "absolut frei", wie wir ihn alle gerne hätten, ist dieser Wille natürlich nicht, schreibt der Autor – aber das haben die Philosophen auch nie behauptet. Denn das passiert uns leider immer wieder: Wir fassen einen Entschluss, sagen wir, den Entschluss " Ich will keine Sahnetorte mehr essen!" Dann gibt’s mal wieder Stress im Büro – und kurz darauf finden wir uns in der nächsten Konditorei wieder … Es gibt eben Gelüste. Und es gibt unbewusste Motive, die sind stärker als unsere bewussten Entscheidungen. Das heißt aber nicht, dass der Mensch keinen freien Willen besitzt. Es soll ja Leute geben, die haben das gewohnheitsmäßige Sahnetorte–Essen in Stress-Situationen irgendwann aufgegeben… Warum und vor allem wie das funktioniert, ist die eigentlich spannende Frage.

John Searl behauptet, mit diesem Buch habe er das uralte Leib-Seele-Problem ein für allemal gelöst. Das ist Unsinn, gelöst hat er gar nichts. Aber er hat manches klargestellt, und er hat eine entscheidende Frage aufgeworfen. Klargestellt hat er, dass eine neurobiologische Betrachtung des Geistes gut und wichtig ist, Philosophie und Psychologie aber nicht zu ersetzen vermag. Denn die betrachten den menschlichen Geist aus einer völlig anderen Perspektive und zu einem anderen Zweck.

Und was die entscheidende Frage betrifft: John Searle denkt angestrengt darüber nach: "Das Unbewusste - was ist das eigentlich?" Seit Sigmund Freud wird fröhlich mit diesem Begriff hantiert, aber geklärt ist er nicht. - Gibt es ein unbewusstes Bewusstsein? Da müssten eigentlich die Logiker unter den Philosophen aufschreien, denn der Begriff ist ein logischer Widerspruch. Und was ist das Unbewusste aus der Sicht der Neurobiologen? Können die mit diesem Begriff überhaupt etwas anfangen?

"Der Vorhang zu und alle Fragen offen". John Searle liefert – durchaus unfreiwillig - den Beweis: Die Jahrtausend alten Probleme der Philosophie lassen sich eben nicht einfach lösen, sondern nur mit neuem Wissen immer neu durchdenken. Trotz allem Fortschritt der Wissenschaft: es gibt Geheimnisse, die werden uns wohl erhalten bleiben, darunter das Geheimnis: Was ist Geist?

Rezensiert Susanne Mack

John R. Searle: Geist. Eine Einführung
Aus dem Amerikanischen von Sibylle Salewski
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006
323 Seiten. 26,80 Euro