Ein deutsches Kriegstagebuch 1939-1945

"Gott gnade Deutschland!"

30:02 Minuten
Schwarzweißes Familienfoto. Ein Mann in Uniform mit seiner Frau und drei Kindern.
Heinrich Klüglein mit seiner Frau Grete und den drei Töchtern. © privat
Von Eberhard Schade und Winfried Sträter  · 24.11.2021
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Heinrich Klüglein hatte als Wehrmachtssoldat den Zweiten Weltkrieg von Anfang an miterlebt und seine Eindrücke in Tagebuchnotizen und Briefen an seine Frau Grete festgehalten. Dokumente, die Kriegsgeschichte aus erster Hand vermitteln.
26.08.39
Vor einundzwanzig Jahren, am 26.06.1918, wurde ich zum ersten Mal eingezogen und war bis zum 30.11.18 Soldat, seither habe ich keine Uniform getragen, aber jetzt ist es wieder soweit. Um 6 Uhr 30 überreichte mir Schwester Käthe den Einberufungsbefehl, den sie im Briefkasten entdeckt hatte.
Heinrich Klüglein, geboren 1900, gestorben 1983, war Wehrmachtssoldat in Polen, Belgien, Frankreich, in der Sowjetunion und den Niederlanden. Zuvor hatte er Geschichte und Romanistik studiert, hatte promoviert und war Studienrat in Bremen gewesen, in den Fächern Geschichte und Französisch.
Schwarzweißfoto eines Mannes in Uniform.
Heinrich Klüglein war 39 Jahre alt, als er eingezogen wurde.© privat
Das Fach Geschichte durfte Klüglein allerdings nicht mehr unterrichten, nachdem er von einem Schüler denunziert worden war. Er habe aus seiner ablehnenden Haltung zum Nationalsozialismus keinen Hehl gemacht, schreibt Klüglein rückblickend im Vorwort zu seinen Tagebüchern. Zu seiner Einberufung heißt es dort: "Ich war beinahe froh, dem inneren Zwiespalt und äußeren Druck, in dem ich als Lehrer und Beamter lebte, durch meine Einziehung loszuwerden." Das Führen von Tagebüchern, so Klüglein weiter, sei illegal gewesen, da sie in Feindeshände hätten fallen können, Briefe seien gelegentlich von der Zensur überprüft worden.
Das Kriegstagebuch beginnt bereits im 26. August 1939, vor dem offiziellen Kriegsbeginn.

Wohin? Polen oder Frankreich?

27.08.39
Vereidigung. Gegen 21 Uhr fahre ich noch einmal nach Hause und verabschiede mich von Grete und den Kindern. Unsere Geschütze und Fahrzeuge stehen marschbereit auf dem Kasernenhof.
28.08.39
Nachdem die Verladearbeit beendigt ist, fährt unser Zug um 7 Uhr ab. Wohin? Polen oder Frankreich?
29.08.39 Grete an Heinrich:
"Meine Gedanken sind in allen Himmelsrichtungen. Welche mag die rechte sein?"
Heinrich Klüglein hat seine Kriegserlebnisse vom ersten Tag an, von 1939 bis 1945, festgehalten. Später, im Ruhestand, hat er seine Tagebücher abgeschrieben und ergänzt durch Briefe, die er an seine Frau Grete geschrieben hat, gelegentlich auch an seine Mutter in Coburg – Briefe, die über den Krieg hinaus bis in das Jahr 1947 reichen. Außerdem hat Klüglein Briefe von seiner Frau Grete erhalten und gesammelt. Sie vermitteln Eindrücke, wie sich die Lage in der Heimat in den Kriegsjahren verändert. 1939, als der Krieg beginnt, wohnt Familie Klüglein in einem eigenen Haus in Bremen.
30.08.39
19 Uhr Abmarsch in östlicher Richtung.
Am 1. September 1939 löst Hitler mit den Worten – "Polen hat heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch mit bereits regulären Soldaten geschossen. Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen." – den Zweiten Weltkrieg aus. Nicht Polen hatte Deutschland angegriffen, sondern Deutschland schon vor dem 1. September die Wehrmacht in Richtung Polen in Marsch gesetzt – und dann innerhalb weniger Wochen das Land erobert.
Ein altes mit einer Schreibmaschine beschriebenes Stück Papier.
Heinrich Klüglein tippte seine Notizen ungekürzt und unverändert ab.© prviat
03.09.39 an Grete:
"Wir sind am ersten September in Polen einmarschiert und befinden uns jetzt an der Warthe, 60 km westlich von Łodz. Der Einmarsch ist bis jetzt ohne jegliche Schwierigkeiten von statten gegangen. Die Gegend ist von der Zivilbevölkerung ziemlich geräumt, das Vieh läuft zum Teil herrenlos herum, so dass wir auch reichlich zu essen haben."
07.09.39 an Grete:
"Wie fürchterlich, wenn Ihr einmal so etwas durchmachen müsstet!"
12.09.39 an Grete:
"Der Krieg ist für uns bis jetzt eine Kraft-durch-Freude Fahrt; Essen und Alkohol sind reichlich vorhanden."

"Die Kinder spielen am liebsten den ganzen Tag Krieg"

17.09.39
Weiterfahrt an einer soeben in Flammen aufgehenden Windmühle vorbei. Meiner Erinnerung nach ist sie von einem unserer Leutnants angezündet worden, der eben einmal sehen wollte, wie eine Windmühle brennt; es ist wirklich ein hübsches Bild.
23.09.39 an Grete aus einer Bereitschaftsstellung südlich von Warschau:
"Um mich brauchst Du Dir keinerlei Sorgen zu machen. Die Gefahren des Feldzugs waren bis jetzt auch nicht größer als die, denen man bei der Überschreitung der Sögestraße ausgesetzt ist."
23.09.39 Brief von Grete:
"Die Kinder spielen am liebsten den ganzen Tag Krieg in irgendeiner Form. Jedenfalls spielt Fliegerdeckung eine große Rolle, und unsere Zwei wünschen sich in ihrem Unverstand sehr, in den Keller zu müssen."
Ende September 1939 erhält Heinrich Klüglein zwei Briefe, in denen es um die Zukunft dieses Krieges geht. Der erste stammt vom Oberstudienrat Lüdering:
"Nun, unser Führer wird es schon richtig deichseln. Ihr, als Frontkämpfer, seid mit den Polen schnell fertig geworden. Jedenfalls sieht die Geschichte schon ganz anders aus als 1914, wo der Engländer schon einmal versucht hat, uns zu vernichten. Hermann Göring wird ihnen dann schon zeigen, was es heißt, mit ihm anzubändeln."
Der zweite Brief, ebenfalls Ende September 1939, stammt von Fritz Siebert, einem mit Heinrich Klüglein befreundeten Studienrat:
"Was wird wohl die Zukunft bringen? Müssen wir uns wirklich auf eine Zeit von mehreren Jahren einstellen und soll dieser wohl sinnlose Krieg und der Zustand der Überspannung so lange anhalten?"
Schwarzweißfoto eines Mannes in Uniform, der im Gras liegt und Kopfhörer trägt.
1939 wurde Heinrich Klüglein als Telefonist eingesetzt.© privat
27.09.39
Um 9 Uhr 15 kommt gänzlich überraschend der Befehl: "Feuer sofort einstellen, Warschau hat sich bedingungslos übergeben".
30.09.39
Am Abend feiert unsere B-Stelle, wobei der Wodka in Strömen fließt.
01.10.39
Die Not der Bevölkerung ist inzwischen groß geworden, man sieht auf den Straßen Pferdekadaver, aus denen Fleischstücke herausgeschnitten sind.
05.10.39 an Grete aus Trachenberg bei Glogau:
"Eben sind wir nach Deutschland zurückgekehrt und sitzen nach jubelndem Empfang in einem Cafe, ein ganz ungewohnter Genuss!
Heinrich Klüglein hofft, heimkehren zu können, doch die Hoffnung wird enttäuscht. Der Krieg geht weiter – mit dem Einmarsch in die Niederlande, in Belgien und Luxemburg und dem Angriff auf Frankreich.

"Wir leben wie die Götter"

16.02.40 Brief an die Mutter in Coburg:
"Wer hätte damals am 06. August 39, als wir so friedlich und freundschaftlich mit Engländern und Franzosen auf der verschneiten Vallet-Hütte am Mont Blanc hausten, geglaubt, dass wir schon drei Wochen später die Waffen gegeneinander führen würden! Was ist das doch eigentlich für ein Irrsinn!"
11.05.40
6 Uhr Einmarsch in Belgien. Gutes Wetter, recht kalt. Sehr kühle Aufnahme durch die Bevölkerung.
Kriegsgeschichte erzählen normalerweise Historiker. Nachdem sie Quellen gesichtet, Akten studiert und manchmal auch Tagebücher gelesen haben. Geschichte aus zweiter Hand. Professionell vermittelt. Wie aber klingt die Kriegsgeschichte unvermittelt? In den Aufzeichnungen eines Mannes, der den Zweiten Weltkrieg von Anfang an erlebt hat und seine Eindrücke direkt festgehalten hat. In seinen Tagebuchnotizen und Briefen. Er: uniformiert an der Front, seine Frau Grete mit den Töchtern: zu Hause. Im Krieg.
19.05.40 an Grete:
"Wir leben wie die Götter; gestern tranken wir im Wagen nach- und durcheinander roten und weißen Bordeaux, Sekt und Tarragona. Du kannst Dir denken, in welcher Stimmung wir waren."
22.05.40 Geburtstagsbrief an Tochter Bärbel:
"…so wild aussehend wie jetzt hast du deinen Pappi noch nicht erblickt. Jetzt sitzt er in einer mit Gestrüpp bewachsenen lehmigen Schlucht unter einer ausgespannten Zeltbahn und freut sich über dieses Zigeunerleben."
Ein altes mit einer Schreibmaschine beschriebenes Stück Papier.
Ein Tagebuchauszug vom September 1939.© privat
28.05.40
Waffenstillstand. Die belgische Armee strömt in völliger Auflösung zurück.
29.05.40 an Grete:
"Vier Kameraden hocken vor der Tür und rupfen Hühner. Vor dem Fenster liegt eine tote Muttersau, an der die Hühner herumpicken, die andere Sau wälzt sich daneben im Dreck. Zum Eingang unseres Hofes drängen sich Kühe, deren Euter beinahe platzt, da niemand da ist, sie zu melken. Das ist der Krieg, während die Bevölkerung sehr knapp dran ist! Zu essen haben wir im Überfluss. Gestern erzählte mir einer, er habe 20, am Vortag 17 Eier gegessen."
06.06.40 an Grete:
"Wir sind alle bester Stimmung, und ich hoffe, dass wir in etwa 3 Wochen in der Gegend von Paris sind."
15.06.40 Brief von Grete:
"Gestern kam nun die phantastische Nachricht vom Einzug unserer Truppen in Paris. Wie herrlich, dass es nicht zerschossen zu werden brauchte!"

"Könntest Du mir einen Baedecker England besorgen?"

25.06.40
1 Uhr früh Feier des Waffenstillstandes. Wir sitzen um ein großes Holzfeuer und singen ein paar Soldatenlieder, kurze Ansprache des Batteriechefs.
05.07.40 an Grete:
"Man kommt sich doch reichlich überflüssig vor und hofft auf baldigen Beginn des Krieges gegen England oder auf den Marsch nach Hause."
04.09.40
Es gehen Gerüchte, dass der Einsatz gegen England an einem Tag x zwischen dem 1. und 10. September beginnen wird.
09.09.40 an Grete:
"Könntest Du mir nicht einen Baedecker England besorgen? Aber möglichst bald."
15.10.40 an Grete:
"Mit einem Abschluss des Krieges ist leider vorläufig nicht zu rechnen, und die Landung in England ist jedenfalls bis zum Frühjahr verschoben. Unser Dienst ist grenzenlos langweilig."
27.10.40
Fahrt nach le Mans, wo wir vor allem die gotische Kathedrale besichtigen.
06.11.40 an Grete:
"In Bezug auf die Rasse Mensch verliere ich allerdings auch die letzte Illusion. Das Hauptgesprächsthema bei uns ist tatsächlich das Bordell oder der "Puff", wie der Landser sagt, und der Prozentsatz der Mannschaften und Unteroffiziere, die sich, ob verheiratet oder ledig, darin austoben, ist sehr groß. Besondere Attraktionen werden oft in Gegenwart von 10 oder mehr Zuschauern vorgeführt. Und da spricht Rosenberg noch vom Erbadel des germanischen Menschen und will diesen Begriff an die Stelle der alten Erbsünde setzen!"
Alfred Rosenberg ist der führende nationalsozialistische Ideologe.

"Keine gute Nachricht aus Bremen"

30.11.40
Weihnachtseinkäufe in La Rochelle.
04.12.40 an Grete:
"Ich bin der festen Überzeugung, dass man im nächsten Jahr alles daran setzen wird, um England niederzuzwingen und ich bin auch der Meinung, dass dieses Ziel bis Spätsommer oder Herbst zu erreichen ist. Sehen wir also vertrauensvoll, tapfer und geduldig in die Zukunft."
06.01.41 Brief von Grete:
"Keine gute Nachricht aus Bremen, wo am 1. Jan. ein so heftiger Fliegerangriff war wie nie zuvor. 2.000 Bomben sollen abgeworfen sein."
28.02.41 an seine Mutter in Coburg:
"Die wirtschaftlichen Verhältnis in Belgien sind jämmerlich schlecht. Ein deutscher Soldat erzählte mir, dass vielfache Hunde und Katzen gegessen würden."
23.06.41 an Grete:
"Gestern morgen wurden wir alle durch den Ausbruch des Krieges gegen Russland, an den wir nicht so recht glauben wollten, überrascht; schade, dass ich hier in Brüssel sitzen muss und nicht fortkommen kann! Wir nehmen die Ereignisse im Ganzen mit Zuversicht hin. Besonders von Finnland aus sind die Einmarschwege kurz, und es ist zu hoffen, dass nach dem Sieg über Russland, der wohl nicht lange auf sich warten lassen wird, die Bedrohung unseres Ostens fortfällt und damit der Weg nach England freier wird."
Ein Stück handbeschriebenes Papier.
Ein Brief an Grete Klüglein aus dem Jahr 1942.© privat
11.04.42
Ich bin mit Wirkung vom 15.04. zum Heereskraftfahrpark (HKP) 610 nach Baranowicze (Ostpolen) versetzt.
Am 22. Juni 1941 hat Hitlerdeutschland die Sowjetunion überfallen. Heinrich Klüglein ist vor seinem Abzug aus Belgien zum Kriegsverwaltungsinspektor im Leutnantsrang ernannt worden.

"Die Juden werden in Mengen erschossen"

15.04.42
So schwer mir der Abschied von Grete und den Kindern fällt, mit denen ich fünf Wochen verleben durfte, so froh bin ich doch, meinen Wunsch, wieder "hinaus" zu kommen, erfüllt zu sehen. Schade nur, dass es nicht bis zur Front geht!
17.04.42
Ankunft in Warschau. Wir sehen uns die Stadt an, die wenig bietet und auf uns größtenteils kulturlos und hässlich wirkt.
18.04.42 an Grete:
"Die Juden, auch Frauen und Mädchen, dürfen nur in Kolonnen, von litauischer Polizei begleitet, aus dem Ghetto auf die Straße und zur Arbeit gehen und werden in Mengen erschossen, da man sie loswerden will und ihnen vorwirft, mit den Partisanen der Umgebung gemeinsame Sache zu machen."
22.04.42
Maas berichtete mir gestern auch einiges über die Judenerschießungen. Die Juden wurden im Ghetto gesammelt und von litauischen Polizisten in zwei Gruppen geteilt. Wer rechts stand, wurde auf LKW’s geladen und zu Kuhlen gefahren, die sich etwa 10 Minuten außerhalb von Baranowitschi befinden. Hier wurden die Leute, darunter viele Frauen und Kinder, nacheinander in eine Kuhle getrieben und von etwa 10 Scharfschützen abgeschossen. Man streute dann Chlorkalk auf die Leichenhaufen und setzte am nächsten Tag Sprengpatronen an, um sie mit Erde, die noch festgefroren war, zu bedecken.
Bei der Sprengung lösten sich einzelne noch lebende, ganz mit Chlorkalk bedeckte Gestalten aus den Leichenhaufen und versuchten zu entfliehen, wurden aber niedergeschossen. Kriegsverwaltungsinspektor Maaß ist selber Zeuge dieser Vorgänge gewesen, ebenso die Fahrer unserer LKW’s, auf denen die Juden hinausbefördert wurden. Einzelne kleine Kinder wurden durch die Luft geworfen und erschossen, also eine Art Tontaubenschießen. Unsere Leute hätten am liebsten mitgeknallt. Die Wehrmacht verhält sich aber sonst den Judenerschießungen gegenüber passiv und versucht sogar, die Juden zu schützen, die bei ihr arbeiten. Hier sind von etwa 8.000 Juden 2007 erschossen worden, und zwar am 04.03.42 von 8 bis 16 Uhr. In Wilna seien 65.000 Juden erschossen worden, wie mir gestern Sonderführer B. vom Sender Baranowitschi erzählte.
Ein Stück handbeschriebenes Papier.
Feldpost für Soldat Nr. 37634: Heinrich Klüglein. © privat
30.04.42 an Grete:
"Wie hier gefressen wird, magst Du daraus ersehen, dass meine Kameraden außer der guten und reichlichen Wehrmachtsverpflegung zusätzlich noch reichlich Butter und etwa 8 Eier täglich verdrücken."
28.05.42 an Grete:
"Sorge macht mir die Ernährung unserer polnischen Zivilisten, deren Arbeitsleistung stark absinkt."
26.06.42 an Grete:
"Haltet nur den Kopf hoch! – dieser Krieg m u s s zu einem anständigen Ende gebracht werden; wenn dies nicht möglich wäre, würde es uns ähnlich gehen wie den Juden hierzulande."
02.07.42 an Grete:
"Man muss im Osten völlig umdenken und alle westlichen Begriffe besonders in Bezug auf Achtung vor dem Menschenleben und Ehrlichkeit restlos ablegen, da auch innerhalb und zwischen den deutschen Dienststellen nur eines gilt: die Macht."

"Sonnige Strandtage, doch peinlich wirkendes Publikum"

18.07.42
Gegen den Alkoholmissbrauch im Heer scheint auch Adolf vergebens zu kämpfen.
Als ich gestern durch Bereza-Kartuska fuhr, hörte ich, dass tags zuvor etwa 1.300 Juden erschossen worden seien. Kleider und Wäsche werden desinfiziert und wieder verwendet. Vorgenommen wurden diese "Judenaktionen" durch SD, SS und litauische Polizei; die Wehrmacht ist nicht beteiligt (aber Transporthilfe).
04.08. - 30.08.42
Urlaub! Ankunft in Binz auf Rügen, wo mich meine Familie freudestrahlend in Empfang nimmt. Sonnige Strandtage, doch peinlich wirkendes Publikum von Kriegsgewinnlern.
Schwarzweißfoto eines Mannes in Uniform.
Soldat im Heimaturlaub: Heinrich Klüglein. © privat
14.09.42 Brief von Grete:
"Die letzte Nacht war bei weitem die Schlimmste, die wir bis jetzt überhaupt erlebten, die Gewalt der Fliegerangriffe scheint von Mal zu Mal größer zu werden."
29.10.42
Endlich geht’s los! Abfahrt in Richtung Kiew.
14.11.42 Brief von Grete:
"Hier meinen Alle, dass der Krieg noch lange dauern wird."
13.01.43
Schlimme Nachrichten von Stalingrad.

"Eins, zwei, drei - g´suffa"

21.01.43
Die Nacht verbringen wir in einem Privatquartier, das für einen rumänischen General vorgesehen ist. Die Bewohner sind freundliche Leute. Unser Fahrer wird in der Nähe bei einer jungen Frau einquartiert. Ich erkundige mich am nächsten Tag, ob er zufrieden war und erhalte die Antwort: "Ich habe das gehabt, was eben ein Landser haben will".
27.01.43 Brief von Grete:
"Die letzten Nachrichten aus dem Osten, v.a. von Stalingrad, sind so furchtbar deprimierend. Wenn nur der schreckliche Winter erst vorüber wäre!"
10.02.43
Unsere Stimmung ist flau. Der Rückzug aus dem Kaukasusgebiet, die Aufgabe von Stalingrad und eines Teils des östlichen Donez-Beckens wirkt deprimierend. Neulich, als wir in Cherson im Soldatenheim durchs Radio den Wehrmachtsbericht hörten und über den Todeskampf der 6. Armee unterrichtet wurden, ging es in den Gasträumen durchaus lustig zu; wir, die wir nebenan saßen, hörten und sahen, wie gegröhlt "eins, zwei, drei – g’suffa" und geschunkelt wurde.
12.02.43 Brief von Grete:
"Heute morgen steht die Todesanzeige von Fritz Siebert in der Zeitung. Seine schwangere Frau ist mit den 4 Kindern noch in Radolfzell. Es ist erschütternd, wie sich die Reihe der alten Bekannten durch den Krieg lichtet."
Schwarzweißfoto eines Mannes in Uniform.
"Der russische Winter will kein Ende nehmen." Eine Aufnahme aus dem Jahr 1943.© privat
20.02.43
Vorgestern hörten wir die große Rede von Goebbels "Gefahr im Verzug". Gut, dass man der Heimat reinen Wein einschenkt, denn die Folgen einer Niederlage wären unausdenkbar! Wie fragwürdig und beängstigend steht die Zukunft vor uns!
27.02.43 an Grete:
"Ich habe Tolstois "Auferstehung" zu Ende gelesen und bin dabei, Rilke näher zu kommen."
04.03.43 an Grete:
"Der russische Winter will kein Ende nehmen."

"Unsere Seelen werden malträtiert"

06.03.43 Brief von Grete:
"In dieser Woche waren wir jeden Abend im Bunker."
13.04.43 an Grete:
"Unsere Seelen werden ja jetzt alle mehr oder minder malträtiert, dafür ist eben Krieg, und im Krieg treten die seelischen Belange in den Hintergrund."
22.04.43
Ich bin sehr kriegsmüde und hasse das ganze Unrecht des Krieges und die immer schlimmer werdende Korruption.
22.04.43 an Grete:
"Gemäß eines Befehls des OKW werden alle Verwaltungsbeamte der Jahrgänge 1900 und älter nach einem Jahr Russlanddienst abgetauscht gegen Jüngere aus der Heimat!"
18.5.43 Brief von Grete:
"Ich habe tatsächlich Ernährungssorgen, sogar allein meinetwegen. Es gibt so erbärmlich wenig zu futtern. Du könntest wohl nicht mal ein Brot schicken??"
03.06.43 an Grete aus Eindhoven (Holland):
"Die Bevölkerung steht uns sehr ablehnend gegenüber."
01.09.43 an Grete:
"Wir müssen den Kopf oben behalten und vorläufig noch an das Wunder glauben, das man uns verheißen hat. Man hört immer noch viel von neuartigen Raketenwaffen und von unzähligen schweren Bombern, die in Tiefbunkern zum Einsatz gegen England bereit ständen."

"Du kannst Dir denken, dass die Stimmung auf Weißglut ist"

25.06.44
Gott schenke uns bald ein erträgliches Kriegsende, eins, das wenigstens unseren Kindern die Lebensmöglichkeiten erhält!
31.7.44
Die Kriegslage ist außerordentlich drückend; wenn der Krieg verloren geht, wird man uns eine schauerliche Rechnung präsentieren: Kriegsschuld, Einfall in Polen ohne Kriegserklärung, Einfall in Belgien, Dänemark, Holland und Norwegen, Einfall in Russland, Behandlung der russischen Kriegsgefangenen im Winter 41/42, Wegführung der Zivilbevölkerung aus den besetzten Gebieten zum Arbeitseinsatz nach Deutschland, und, was am schlimmsten ist, unser Vorgehen gegen die Juden. Gott gnade Deutschland!
16.08.44 an Grete:
"Wir wollen trotzdem den Mut nicht verlieren und noch hoffen, so lange es noch zu hoffen gibt. Die Folgen einer Niederlage wären nach dem Vorausgegangenen überhaupt nicht auszudenken!"
07.01. - 21.01.45 an Grete:
"Zur Zeit werden sämtliche männlichen Holländer zwischen 17 und 40 Jahren zwangsweise zur Arbeit für die Wehrmacht herangeholt; Du kannst Dir denken, dass die Stimmung auf Weißglut ist. Hinzu kommt die Hungersnot."
11.02.45 an Grete:
"Die Lage im Osten erfüllt uns natürlich alle mit schwerer Sorge, umso mehr, als der Russe offenbar alles umbringt, was ihm in die Hände fällt."
01.03.45 Brief von Grete:
"Es sieht bös aus in der Welt, und das Unglück scheint kein Ende zu nehmen. Wie gut ging es uns dagegen vor 14 Jahren, als Ursel geboren wurde!"
Ein Stück handbeschriebenes Papier.
"Mein lieber Heiner": Brief von Grete an Heinrich Klüglein im November 1942. © privat
07.03.45 Brief von Grete:
"Wie furchtbar sieht es doch in unserem armen Deutschland aus!"
15.04.45
Seitdem ich keine Eintragung mehr gemacht habe, hat sich unsere Lage zusehends verschlechtert und ist jetzt ganz hoffnungslos geworden.
12.05.45
Am 01.05. etwa 23 Uhr stürzte Leutnant Schweizer weinend zu mir herein und sagte mir, dass der Führer gefallen sei; er habe es soeben gehört. "Der Mann tot, auf den ich seit 1931 alle meine Hoffnung gesetzt habe".
Deutschland ist von den alliierten Truppen erobert worden. Am 7. und 8. Mai unterzeichnen Vertreter des Deutschen Reiches in Reims und Berlin-Karlshorst die bedingungslose Kapitulation. Hitlers Nachfolger, Großadmiral Dönitz, verkündet im Rundfunk:
"Am 8. Mai, 23 Uhr, schweigen die Waffen. Die in unzähligen Schlachten bewährten Soldaten der deutschen Wehrmacht treten den bitteren Weg in die Gefangenschaft an, und bringen damit das letzte Opfer für das Leben von Frauen und Kindern und die Zukunft unseres Volkes."

"Was wird uns die Zukunft bringen?"

12.05.45
Bei den Holländern herrscht ungeheurer Jubel, die Leute laufen mit dem Oranje-Abzeichen herum, fast alle Häuser sind beflaggt. Was wird uns die Zukunft bringen? Die Aussichten für Deutschland sind fürchterlich: Deutschland infolge der Judenerschießungen und der Vorgänge in den Konzentrationslagern moralisch geächtet. Noch nie in unserer Geschichte waren so viele Städte zerstört, war ganz Deutschland besetzt, und zwar große Teile durch die Bolschewisten. Ein Unglück von derartigem Ausmaß hat Deutschland noch nicht erlebt und dies alles durch die Arroganz und den Machthunger der Nazis!
04.07.45 Brief von Grete:
"Da wir noch kein Gas haben, verbrennen wir langsam Haustrümmer und Möbel.
Unser Haus ist von einer Luftmine ziemlich zerstört worden. Ob an einen Wiederaufbau zu denken ist, vermag ich nicht zu übersehen."
28.10.45 an Grete:
"Du wirst vor allem fragen, wie es mit meiner Entlassung steht. Bedauerlicherweise liegt alles noch völlig im Unklaren."
18.11.45
Am 14. Nov. stehen wir um 7 Uhr marschbereit und sollen um 8 Uhr von Kanadiern mit LKWs nach Bremen transportiert werden. Einer meiner ersten Besuche gilt der Donandtstraße, wo ich die Trümmer unseres Hauses sehe.
Heinrich Klüglein kehrt zurück nach Bremen. Seine Frau lebt mit den Kindern allerdings noch bis 1948 bei der Schwiegermutter in Coburg.
Schwarzweißfoto von einer älteren Frau und einem älteren Mann.
Grete und Heinrich Klüglein Anfang der 60er Jahre in Bremen.© privat
17.03.46 an Grete:
"Wir werden froh sein dürfen, wenn wir wieder ein wenn auch sehr bescheidenes Dasein führen können."
29.08.46 an Grete:
"Ich wurde heute zur Behörde gerufen, wo mir Kircher mitteilte, dass sie vom Amerikaner in den nächsten Tagen die Anweisung bekämen, mich aus dem Schuldienst zu entlassen, vermutlich wegen der NSV-Angelegenheiten (Ich war vom Herbst 1935 bis März 36 notgedrungen Zellenwalter in der NS-Volkswohlfahrt und habe ich hauptsächlich für die Winterhilfe betätigt). Die Sache meiner Entlassung ist um so bitterer, als noch viele Leute im Amt sind, die dem Nationalsozialismus wirklich zugestimmt haben und damit viel stärker belastet sind als ich."

"Ich kann mein Leben nur noch als Vegetieren bezeichnen"

12.09.46 an Grete:
"Könntet Ihr mir Pfefferminztee zum Rauchen besorgen?"
04.10.46 an Grete:
"Eben erhalte ich durch Dr. Heins die Mitteilung, dass die Denazifizierungsangelegenheit einigermaßen geklärt sei und ich am Dienstag, 08.10. bei Schulbeginn wieder anfangen solle."
11.02.47 an Grete:
"Obgleich es mir gesundheitlich und seelenmäßig einigermaßen gut geht, kann ich mein Leben nur noch als Vegetieren bezeichnen. Ich stehe um 8 Uhr auf, bin um 9 zur Schülerspeisung im Schulgebäude und drücke mich dann bis zum Abend herum. Etwa um 19 Uhr mache ich mir mein Essen in meiner Wohnung auf dem Gas warm und lege mich hinterher gleich ins Bett."
25.09.47 an Grete:
"Die größte Frage unseres jetzigen Lebens, der Wiederaufbau unseres Hauses und unsere Wiedervereinigung, verzögert sich freilich, wird aber im nächsten Jahr hoffentlich auch ihre Lösung finden oder der Lösung wenigstens näher rücken."
09.12.47 an Grete:
"Ich werde Euch 10 oder 20 Pfund Steckrübenmehl mitbringen, aber das ist auch alles, was ich auftreiben kann ..."
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