Nach innen geweinte Tränen
Wir wissen doch, es gibt Tränen, die nach innen geweint werden. Solche Tränen können Ausdruck ungekünstelter Traurigkeit sein, das Gegenteil darum von Krokodilstränen. Bis sich die Traurigkeit irgendwann in der saloppen Redensart Luft macht: "Es ist nur noch zum Weinen".
So hörte man dieser Tage allzeit treue Sozialdemokraten klagen. "Ach, der Kurt." Wer fast ein halbes Jahrhundert in der Partei des August Bebel und des verwegenen Ferdinand Lassalle beheimatet ist und jetzt nach der Befindlichkeit seiner ihm irgendwie ans Herz gewachsenen Partei fragt, den überfällt die große Tristesse.
Sprechen wir von einem Freund, einem aufrechten Genossen in der Stadt Dortmund, früher einmal Jungsozialist, im fortgeschrittenen Alter in die Mitte seiner Partei gerückt. Er vergoldet die Vergangenheit nicht, aber er weiß sich genau zu erinnern, dass es zuzeiten des grundsoliden Erich Ollenhauer, des mit Charisma begnadeten Willy Brandt und, gerade noch in der Ära von Hans-Jochen Vogel, so etwas wie ein "Wir-Gefühl" in der SPD gegeben hat. Gemeint war nicht bloß verbal beschworene, sondern gelebte Solidarität.
Intrigen, nun ja, die gab es auch damals. Nur war da ein spürbarer emotionaler Zusammenhalt Und der war stark. Mag es auch etwas sentimental klingen, was mein Dortmunder Ortsvereinsvorsitzender sagt: "Die Partei hatte eine Seele".
Wenn man einer Partei überhaupt eine Seele zutraut, wo ist sie geblieben? Die großen Männer im sogenannten "Triumvirat" waren sehr unterschiedliche, eigentlich gegensätzliche Charaktere und auch von höchst unterschiedlichem Temperament - Willy Brandt, Herbert Wehner und Helmut Schmidt. Die drei hielten zusammen. Das gemeinsame, das sie einende Motiv: Wir wollen regieren. Sie wussten, was viel später Franz Müntefering auf die schlichte Formal gebracht hat: "Opposition ist Mist", eine entschiedene Absage an solche Genossen, denen eine heimliche Sehnsucht nach einer unbefleckten sozialdemokratischen Politik, allerdings auf den Oppositionsbänken, nachgesagt wurde.
Jetzt ist ein hässlicher Witz, früher nur auf die Machtkämpfe innerhalb der CDU bezogen, auf die deutsche Sozialdemokratie anwendbar, die Steigerung des Wortes Feind: "Böser Feind, Todfeind, Parteifreund". Auch heute geht es, aber nicht entscheidend, um den Konflikt zwischen dem linken und dem rechten Flügel. Diese Spannung gab es immer schon. Sie ist einer Programmpartei wie der SPD gleichsam immanent. Heute geht es um eine Person. Gegen diese Person wird, fast ungeniert, gemobbt. Schlimmer noch als gegen Rudolf Scharping. Ein Landesminister der SPD unterstellt seinem Parteivorsitzenden sinngemäß, dieser sei zeitweilig nicht ganz bei Trost. So was nennt man Rufmord.
Kurt Beck ist nun einmal kein Brandt oder ein Vogel und schon gar nicht ist er ein Lafontaine, dem Egomanen mit dem Talent eines Menschenverführers. Ein aufrechter Sozialdemokrat ist Beck allemal und ein Linker ist er niemals gewesen. Nur dass ihn am Vorabend seines Parteitages in Hamburg, in "aufgelockerter Stimmung", wie man so sagt, die guten Geister im Stich ließen. Eine Öffnung zur Partei der Linken wollte er auf einmal nicht mehr kategorisch ausschließen.
Das Verrückte ist, dass Beck genau weiß, dass seine Partei aus dem Tiefkeller in das wärmende Licht einer Regierungspartei nur zurückkehren wird, wenn sie mit Angela Merkel erfolgreich um die Wähler der Mitte streitet. In der nicht eisern festgelegten Mitte aber, die einst Willy Brandt und nachher Gerhard Schröder ins Kanzleramt verholfen hat, wabert Misstrauen. Es wabert in Becks eigener Partei. "Der kann es nicht", so wird allenthalben geflüstert. Die Angst grassiert, dass der "alten Tante" SPD mit Kurt Beck im Herbst 2009 ein Höllensturz droht.
Wenn nun die eigene Partei heute schon in ihrem Vorsitzenden den Typ des Verlierers zu erkennen meint, wen wundert es da noch, dass früher der SPD geneigte Wähler das ganz ähnlich sehen. Ein Genosse, hoch oben in der Berliner Partei-Hierarchie, wollte meinen Dortmunder Freund trösten. "Diese Partei hat viele Krisen überlebt, sie geht nicht unter", beruhigte der ranghohe Funktionär. "Ja", sagte der Ortsvereinsvorsitzende im westwestfälischen Kernland der deutschen Soziademokratie, "das glaube auch ich. Aber, wie der Franz gesagt hat, Opposition ist Mist".
Klaus Bölling, geboren 1928 in Potsdam, arbeitete für Presse und Fernsehen, war unter anderem NDR-Chefredakteur, Moderator des "Weltspiegel", USA-Korrespondent und Intendant von Radio Bremen. 1974 wurde er unter Helmut Schmidt zum Chef des Bundespresseamts berufen, 1981 übernahm er die Leitung der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen "Die letzten 30 Tage des Kanzlers Helmut Schmidt", "Die fernen Nachbarn - Erfahrungen in der DDR" und "Bonn von außen betrachtet".
Sprechen wir von einem Freund, einem aufrechten Genossen in der Stadt Dortmund, früher einmal Jungsozialist, im fortgeschrittenen Alter in die Mitte seiner Partei gerückt. Er vergoldet die Vergangenheit nicht, aber er weiß sich genau zu erinnern, dass es zuzeiten des grundsoliden Erich Ollenhauer, des mit Charisma begnadeten Willy Brandt und, gerade noch in der Ära von Hans-Jochen Vogel, so etwas wie ein "Wir-Gefühl" in der SPD gegeben hat. Gemeint war nicht bloß verbal beschworene, sondern gelebte Solidarität.
Intrigen, nun ja, die gab es auch damals. Nur war da ein spürbarer emotionaler Zusammenhalt Und der war stark. Mag es auch etwas sentimental klingen, was mein Dortmunder Ortsvereinsvorsitzender sagt: "Die Partei hatte eine Seele".
Wenn man einer Partei überhaupt eine Seele zutraut, wo ist sie geblieben? Die großen Männer im sogenannten "Triumvirat" waren sehr unterschiedliche, eigentlich gegensätzliche Charaktere und auch von höchst unterschiedlichem Temperament - Willy Brandt, Herbert Wehner und Helmut Schmidt. Die drei hielten zusammen. Das gemeinsame, das sie einende Motiv: Wir wollen regieren. Sie wussten, was viel später Franz Müntefering auf die schlichte Formal gebracht hat: "Opposition ist Mist", eine entschiedene Absage an solche Genossen, denen eine heimliche Sehnsucht nach einer unbefleckten sozialdemokratischen Politik, allerdings auf den Oppositionsbänken, nachgesagt wurde.
Jetzt ist ein hässlicher Witz, früher nur auf die Machtkämpfe innerhalb der CDU bezogen, auf die deutsche Sozialdemokratie anwendbar, die Steigerung des Wortes Feind: "Böser Feind, Todfeind, Parteifreund". Auch heute geht es, aber nicht entscheidend, um den Konflikt zwischen dem linken und dem rechten Flügel. Diese Spannung gab es immer schon. Sie ist einer Programmpartei wie der SPD gleichsam immanent. Heute geht es um eine Person. Gegen diese Person wird, fast ungeniert, gemobbt. Schlimmer noch als gegen Rudolf Scharping. Ein Landesminister der SPD unterstellt seinem Parteivorsitzenden sinngemäß, dieser sei zeitweilig nicht ganz bei Trost. So was nennt man Rufmord.
Kurt Beck ist nun einmal kein Brandt oder ein Vogel und schon gar nicht ist er ein Lafontaine, dem Egomanen mit dem Talent eines Menschenverführers. Ein aufrechter Sozialdemokrat ist Beck allemal und ein Linker ist er niemals gewesen. Nur dass ihn am Vorabend seines Parteitages in Hamburg, in "aufgelockerter Stimmung", wie man so sagt, die guten Geister im Stich ließen. Eine Öffnung zur Partei der Linken wollte er auf einmal nicht mehr kategorisch ausschließen.
Das Verrückte ist, dass Beck genau weiß, dass seine Partei aus dem Tiefkeller in das wärmende Licht einer Regierungspartei nur zurückkehren wird, wenn sie mit Angela Merkel erfolgreich um die Wähler der Mitte streitet. In der nicht eisern festgelegten Mitte aber, die einst Willy Brandt und nachher Gerhard Schröder ins Kanzleramt verholfen hat, wabert Misstrauen. Es wabert in Becks eigener Partei. "Der kann es nicht", so wird allenthalben geflüstert. Die Angst grassiert, dass der "alten Tante" SPD mit Kurt Beck im Herbst 2009 ein Höllensturz droht.
Wenn nun die eigene Partei heute schon in ihrem Vorsitzenden den Typ des Verlierers zu erkennen meint, wen wundert es da noch, dass früher der SPD geneigte Wähler das ganz ähnlich sehen. Ein Genosse, hoch oben in der Berliner Partei-Hierarchie, wollte meinen Dortmunder Freund trösten. "Diese Partei hat viele Krisen überlebt, sie geht nicht unter", beruhigte der ranghohe Funktionär. "Ja", sagte der Ortsvereinsvorsitzende im westwestfälischen Kernland der deutschen Soziademokratie, "das glaube auch ich. Aber, wie der Franz gesagt hat, Opposition ist Mist".
Klaus Bölling, geboren 1928 in Potsdam, arbeitete für Presse und Fernsehen, war unter anderem NDR-Chefredakteur, Moderator des "Weltspiegel", USA-Korrespondent und Intendant von Radio Bremen. 1974 wurde er unter Helmut Schmidt zum Chef des Bundespresseamts berufen, 1981 übernahm er die Leitung der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen "Die letzten 30 Tage des Kanzlers Helmut Schmidt", "Die fernen Nachbarn - Erfahrungen in der DDR" und "Bonn von außen betrachtet".

Klaus Bölling© privat