Nach Ende von "Soko Chemnitz"

Wem hilft die Kunstaktion?

03.12.2018, Berlin: Die Aktivisten vom «Zentrum für Politische Schönheit», Cesy Leonard, Stefan Pelzer und Philipp Ruch, äußern sich bei einer Pressekonferenz zur Aktion «Wir haben etwas zur Aufklärung von Chemnitz beizutragen». Das «Zentrum für Politische Schönheit» hat nach eigenen Angaben 3 Millionen Bilder von über 7.000 Verdächtigen ausgewertet, um Rechtsextreme zu identifizieren. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
Die Aktivisten vom "Zentrum für Politische Schönheit" erläutern auf einer Presskonferenz die Ziele ihrer Aktion "Wir haben etwas zur Aufklärung von Chemnitz beizutragen" © Bernd von Jutrczenka/dpa
Von Bastian Brandau · 06.12.2018
Auf soko-chemnitz.de rief das "Zentrum für politische Schönheit" dazu auf, Teilnehmer rechtsextremer Aufmärsche zu enttarnen. Jetzt ging die Aktion mit einer überraschenden Wende zu Ende. In Chemnitz bleibt die Ablehnung dennoch groß.
Über die Website "Soko Chemnitz" hatten die Aktivisten des "Zentrums für politische Schönheit" dazu aufgerufen, den "Rechtsextremismus 2018 zu erfassen" und Teilnehmer der Ausschreitungen vom August in Chemnitz mit Hilfe einer Bilderkennungsdatenbank zu identifizieren und bei ihren Arbeitgebern zu melden. Für ihre Aktion hatten die Aktivisten auch ein Büro in der Innenstadt von Chemnitz angemietet.
Ein Schreibtisch, eine Sitzecke aus gebrauchten Möbeln: Beim Blick durchs Schaufenster fällt die karge Einrichtung auf. Auf dem Weg zum Weihnachtsmarkt würdigen die Passanten den vom Zentrum für Politische Schönheit angemieteten Laden keines Blickes: "Ich hab's gelesen. Aber dass das hier hing, weiß ich nicht." sagt eine Chemnitzerin. Die meisten Menschen geben an diesem Morgen zu verstehen, dass sie kein Interesse an Interviews haben.


Am Montag hatte die Polizei hier kurzen Prozess gemacht, die Tür aufgebrochen, die Fahndungsplakate des Zentrums für politische Schönheit abgehängt, ein neues Schloss eingebaut. Die Aktivisten können seitdem nicht mehr in ihr Büro. Der Eigentümer sieht die Mietvoraussetzungen verletzt, das Zentrum geht dagegen juristisch vor. Sachsens Innenminister Roland Wöller, CDU, hatte am Dienstag den Polizeieinsatz so erklärt:

"Weil im Rahmen der Gefahrenabwehr sozusagen ja im Netz schon angekündigt worden ist, gegen diese Vereinigung ja so möchte ich es mal bezeichnen, vorzugehen. Insofern wurden ja auch sozusagen die Fahndungsplakate entfernt. Die Bewertung muss dann die Staatsanwaltschaft und die Gerichte vornehmen. Sie wissen es wird geprüft, ob es Kunstfreiheit ist oder nicht, Kunsturheberrecht verletzt wird oder nicht und dann natürlich auch die Frage von Beleidigungstatbeständen, Antragsdelikte…"

Schnell wurde bei Twitter gespottet: Immerhin dieses Mal sei die sächsische Polizei schnell gewesen. Das Zentrum wirft der Polizei vor, den Laden nicht geschützt zu haben.
Blick in den Laden, den die Aktivisten für ihre Aktion "Wir haben etwas zur Aufklärung von Chemnitz beizutragen" in Chemnitz angemietet hatten.
Das Geschäft zur Aktion "Wir haben etwas zur Aufklärung von Chemnitz beizutragen" in Chemnitz (Foto: Bastian Brandau)© Bastian Brandau

Eine Falle für die Rechtsextremen

Der Laden bleibt geschlossen, die Aktivisten in Berlin – weil deren Sicherheit nicht gewährleistet sei. Gestern löschte das Zentrum die Steckbriefe auf der Website, erklärte, das Ganze sei eine Art Falle gewesen. Gestellt, um von Rechtsextremen Daten abzufischen. Eine Wendung, die in Chemnitz kaum jemand mitbekommen hat. Die Aktion bleibt als Online-Pranger in Erinnerung.

"Das haben wir gestern Abend diskutiert, mit der Familie, und Freunden. Und wir finden das nicht gut, dass das so gemacht wurde und das eine öffentliche Anprangerung ist." - "Finden Sie nicht gut, warum?" - "Da soll man mit den Leuten persönlich sprechen. Persönlich ist es besser als in der Öffentlichkeit und die können sich nicht verteidigen. Das ist meine Meinung."

Viele sind gegen die öffentliche Anprangerung

Eine Meinung, die die meisten bei dieser nicht-repräsentativen Straßenumfrage teilen. Wenige öffentliche Reaktionen gibt es aus Politik und Kultur in Chemnitz und in Sachsen. Die Staatskanzlei mahnte das Zentrum ab, weil die Website einen Werbeslogan des Freistaates aufgreift. Und Innenminister Wöller sagte am Dienstag:

"Naja also die Zeiten des Prangers gehören eigentlich ins Mittelalter. Wir wissen natürlich über die Möglichkeiten der sozialen Medien, dies mehr oder weniger aus der Anonymität heraus zu tun. Das trägt nicht dazu bei, den Frieden in der Gesellschaft und den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken."

Auf der Suche nach Versöhnung

Die Chemnitzer Kulturszene beobachte die Aktion eher abwartend, sagt Franz Knoppe. Er ist Veranstalter des Festivals "Aufstand der Geschichten." Mit Theater, Lesungen und Musik hat das Festival Anfang November versucht, dem rechten Narrativ entgegenzuwirken. Mit dem Besuch von Kanzlerin Merkel Mitte November seien viele froh gewesen, dass eine heiße Phase erstmal abgeschlossen gewesen sei. Franz Knoppe:

"Und das Zentrum hat jetzt dieses Fass noch einmal geöffnet. Das kann man machen. Ich glaube in der Stadt selbst ist jetzt eine andere Frage noch entscheidender, nämlich, wie kriegen wir diese Spaltung wieder geschlossen eigentlich? Da ist man sich noch nicht ganz einig in der Stadtgesellschaft: Hilft das oder hilft das nicht?"

Hier, wo man eben damit umgehen müsse, Rechtsextremen im privaten Umfeld zu begegnen. In seinem Umfeld gebe es beide Meinungen, so Knoppe: diejenigen, die die Aktion ablehnen. Einige hätten aber auch Verständnis für das harte Vorgehen gegen diejenigen, die als Teilnehmer rechtsextremer Demonstrationen schließlich selbst in die Öffentlichkeit gegangen seien.

"Tatsächlich wühlt es noch einmal etwas auf. Es macht vieles sichtbar, wo ich der Meinung bin, das war schon sichtbar. Dass wir hier ein Rechtsextremismus-Problem haben, ist vor August bekannt gewesen. Das wird jetzt auch durch diese Aktion nicht relevanter. Deswegen würde ich mich schon fragen, was wird jetzt hier durch diese Aktion nochmal sichtbarer gemacht? Ich glaube es geht eher um die Bundesdebatte, wie geht man mit Rechtsextremismus um, wie reagiert auch die Polizei und die Justiz mit ihrem Gewaltmonopol um, was sie hat? Wie setzt sie es wirklich durch? Und ich hoffe, dass sich da noch einmal ein bisschen die Debatte verschärft. Das würde Chemnitz auch helfen, denn das ist etwas, was man auf kommunaler Ebene nicht lösen kann."
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