Nach der Wahl ist vor der Wahl

Von Stephan Detjen, Hauptstadtstudio |
Über Nacht hat sich der Aggregatszustand der Politik verändert. Deutschland befindet sich seit heute im Bundestagswahlkampf. Der Herbst 2013 ist ab jetzt der Fixpunkt, auf den alles hinstrebt, was sich bis dahin in Berlin bewegt. Euro-Rettung, Krippenausbau, Betreuungsgeld, Vorratsdatenspeicherung – es gibt kein Thema mehr, das seit heute nicht im Zeichen der großen Wahlschlacht des kommenden Jahres stünde.
Bei der SPD wurden heute bereits erste Planungen für den Bundestagswahlkampf präsentiert. Bei der CDU schlossen sich die Reihen hinter der Kanzlerin, die als monolithische Führungsfigur unangefochten, aber auch alternativlos an der Spitze ihrer Partei steht. Das unterscheidet die CDU an diesem Tag von fast allen anderen Parteien. Bei den Linken spitzte sich heute der Machtkampf um den Vorsitz noch einmal dramatisch zu. Die Partei muss sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass erstens ihre Ausdehnungsstrategie in den Westen der Republik bis auf weiteres gescheitert ist und es ihr zweitens als einziger Linkspartei Europas partout nicht gelingen will, politischen Profit aus der Krise des Kapitalismus zu schlagen.

Auch bei der FDP hat die Wiederauferstehung der Liberalen aus den Umfragelöchern der vergangenen Monate noch nicht zu einer Festigung des Vorsitzenden Philip Rösler beigetragen. Auf den Tag genau fünf Monate nach seinem Rücktritt als Generalsekretär ist heute Röslers einstiger Widersacher Lindner als Messias des politischen Liberalismus in die Berliner Parteizentrale zurückgekehrt.

Vor diesem Hintergrund hat sich der Handlungsrahmen für die Politik Angela Merkels durch das gestrige Wahlergebnis nicht so wesentlich verändert, wie es auf den ersten Blick scheinen mochte. Die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat bleiben gleich, weil es Norbert Röttgen nicht gelungen war, eine Wechselstimmung gegen die rot-grüne Landesregierung und ihre Defizitpolitik zu erzeugen. Hannelore Kraft auf der anderen Seite hat sich in NRW dank ihrer persönlichen Ausstrahlungskraft, nicht aber als Gegenpol zum Spar- und Konsolidierungskurs Merkels durchgesetzt.

Der Druck zur Kurskorrektur auf europäischer Ebene kommt nach wie vor allein aus Paris. Nicht von Hannelore Kraft, sondern von Francois Hollande erwartet sich die SPD deshalb Hilfe bei der Positionsbestimmung vor den entscheidenden Verhandlungen über den Euro-Rettungsfonds ESM und den Fiskalpakt. Hollande kommt morgen zum Antrittsbesuch ins Kanzleramt. Die triumphale Siegerin des gestrigen Abends ist schon heute wieder nach Düsseldorf zurückgekehrt, nachdem sie sich ihre Gratulationen und Nelkensträuße im Berliner Willy-Brandt-Haus abgeholt hatte. Nach wie vor wird es das männlich besetzte Kandidatentrio sein, das morgen in einem gemeinsamen Auftritt vor dem Besuch des französischen Präsidenten in Berlin die Positionen der SPD markieren will. Es könnte ein ungewollter Nebeneffekt des Wahlerfolges sein, dass Gabriel, Steinmeier und Steinbrück dabei im wahrsten Sinne des Wortes so kraftlos wirken wie zuvor.


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