Nach der SoundBetter-Übernahme

Spotify stellt die Musikindustrie infrage

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Eine Sachaufnahme zeigt ein Mobiltelefon mit der Spotify-App und moderen Bluetooth-Kopfhörern.
Matt Dryhurst meint: Künstler und Künstlerinnen von Major-Labels werden von Spotify klar bevorzugt. © unsplash / Patrik Michalicka
Matt Dryhurst im Gespräch mit Vivian Perkovic · 28.10.2019
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Der Musikstreamingdienst Spotify hat die Konsumgewohnheiten für Musik verändert. Nun will das schwedische Unternehmen die Produktionsstrukturen umkrempeln, meint der Musiker Matt Dryhurst im Gespräch. Ein Vorgeschmack sei der Kauf von SoundBetter.
Vivian Perkovic: Der Musikstreaming-Riese Spotify hat SoundBetter, eine Plattform für Musikproduktion gekauft. Musikerinnen und Musikern wird nun in einer Mail von Spotify in Aussicht gestellt, ihre Musik könnte häufiger bei Spotify gespielt werden, wenn sie durch SoundBetter bearbeitet wurde. Dort sind nicht nur Musiker, sondern auch Produzenten und Tontechniker registriert und bieten ihre Dienste an.
In der vergangenen Woche hat die Musikerin Zola Jesus diese Mail auf Twitter verbreitet und dazu geschrieben: "Spotify möchte, dass ich sie bezahle, damit sie meine Musik für mich machen und ich dann häufiger auf Spotify gespielt werde."
Ob dies der Versuch Spotifys ist, Künstler zu erpressen, habe ich den Musiker Matt Dryhurst gefragt. Dryhurst macht nicht nur Musik, er entwickelt auch Software für Rechtedurchsetzung im Netz und hält Vorlesungen zu Musiktechnologie und -ideologie. Stimmen Sie Zola Jesus zu, dass Spotify den Dienst zur Erpressung der Kunstschaffenden nutzt?
Matt Dryhurst: Was ziemlich klar ist: Mit dem Kauf von SoundBetter versucht sich Spotify in einen zweiseitigen Marktplatz zu verwandeln. Das bedeutet, dass sie Zahlungen sowohl von den HörerInnen, als auch von den UrheberInnen erhalten. Zu einem gewissen Maß ist das jetzt schon der Fall, weil Spotify Leute dazu bringen will, Werbung für ihre Musik zu schalten. Es gab diese Woche auch schon die Meldung, dass Spotify Plattenfirmen dazu auffordert, für ihre Musik zu werben, um besser platziert zu werden. Spotify fängt also an, Kunstschaffende als Kunden anzusehen. Da hat wohl jemand gemerkt, dass es mehr Leute auf Spotify gibt, die Geld für die "Promotion" ihrer Kunst ausgeben würden, als Leute, die dafür zahlen wollen, sich online Musik anzuhören.

Spotify will Plattenfirmen verdrängen

Perkovic: Ich würde gerne gleich nochmal darüber sprechen. Zunächst noch mal zu SoundBetter: Wie bewerten Sie diesen Service? Ist das tatsächlich etwas, was Künstlerinnen und Künstlern hilft, Produzenten und Tontechniker auf der ganze Welt zu finden, die ihre Songs bearbeiten und mit denen sie Ideen austauschen können? Oder ist es eher so, dass die Künstlerinnen und Künstler, die ohnehin nur gering am Gewinn von Spotify beteiligt sind, dass die noch mehr ausgepresst werden?
Dryhurst: Es ist in erster Linie ein Service! Solche Services existieren schon sehr lange - wenn du zum Beispiel ein Songwriter bist und du jemanden brauchst, der deine Songs aufnimmt. Aber ich glaube, dass Spotify mit diesem Service die Plattenfirmen verdrängen will. Denn normalerweise wäre es ja die Aufgabe der Labels, Künstlerinnen und Künstler mit Produzentinnen und Produzenten zu vernetzen. Aber in der Ära von Spotify, in der die traditionellen Labels ums Überleben kämpfen, könnte SoundBetter diese attraktive Funktion übernehmen.
Perkovic: Jetzt haben Sie schon auf diesen Wandel hingedeutet, den Spotify da gerade mit seiner Unternehmenspolitik vollzieht. Es sieht so aus, als ob Spotify sich auf sein Kerngeschäft als Musikabspielstation nicht mehr verlässt. Dies ist doch aber ziemlich erfolgreich. Wieso versucht Spotify, von diesem "neutralem Plattformdasein" mehr zu einem kapitalbestimmten Marketinginstrument zu werden?
Dryhurst: Für mich war das schon von Anfang an klar. Meine Band und ich stehen beim Label "4AD" unter Vertrag, einer wirklich geschichtsträchtigen Plattenfirma. Seit den Anfängen von Spotify spielt 4AD nur eine minimale Rolle im Spotify-Universum. Aus gutem Grund, denn die Leute sollen von den Labels weg, hin zur Plattform geleitet werden. Spotify will sich von der Abhängigkeit von Label- und Pressestrukturen wegbewegen.
Künstler und Künstlerinnen von Major-Labels werden klar bevorzugt. Denn wenn die großen Labels ihre Kataloge entfernen würden, wäre Spotify auf einmal viel unattraktiver. Durch den Kauf von SoundBetter signalisiert Spotify den großen Plattenfirmen, dass es durchaus die Macht hat, ein neues musikalisches Ökosystem zu erschaffen. Der Subtext ist also ganz klar politisch: Man will den Majors nahelegen, Spotify gewogen zu bleiben.

Aus Spotifys Sicht macht das Sinn

Perkovic: Mal rein hypothetisch gesprochen, wenn Spotify es tatsächlich schaffen würde, die Stellung der Major Labels oder auch der kleinen Plattenfirmen zu schwächen, wäre das dann für die Kunstschaffenden von Vorteil?
Dryhurst: Meine Position war schon immer: Egal was Spotify auch tut, irgendeinem Künstler wird es schon nutzen! Aber jene Künstler, die von Spotify profitieren, sind die, die auch Spotify etwas bringen. Wenn du beispielsweise Coverversionen am Klavier spielst, die sich Leute im Badezimmer anhören sollen, dann wird das wahrscheinlich gut für dich sein. Wenn du ein Künstler bist, der relativ regelmäßig relativ austauschbare Tracks produzieren will, dann wird dich Spotify wahrscheinlich bevorzugen.
Aber Spotify will uns auch von der bisherigen Art, Musik zu konsumieren, wegbewegen: weg vom Lokalen, hin zu einer Musik aus dem Nichts, Musik ohne Zugehörigkeit, ohne Geschichte. Wenn man jetzt einen Service anbietet, der einem Sänger oder einer Firma ermöglicht, irgendwo auf der Welt einen anonymen Produzenten zu finden, der einen Trap-Beat produzieren kann, dann macht das für Spotify natürlich Sinn. Aber für jeden, der eine tiefere Verbindung zu Musik und musikalischer Kultur hat, ist das eine schlechte Entwicklung, die sich bereits länger abgezeichnet hat.

Die gesamte Musikindustrie um den Finger gewickelt

Perkovic: Das war eine gute Erklärung! Wir haben ja alle eine ganze Weile der Globalisierung zugejubelt und von einer Welt ohne Grenzen geschwärmt. Mittlerweile scheint aber in Politik und Kultur eine Gegenbewegung eingesetzt zu haben: zurück zum Regionalen, zur "Community", zum Analogen. Trifft diese Trendwende auch auf die Art und Weise zu, wie wir Spotify mittlerweile sehen?
Dryhurst: Da stimme ich Ihnen komplett zu. Uns wurde eine große Vision verkauft, in der alle "Gatekeeper", die Kulturvermittler, die Plattenfirmen, die Internetplattformen entfernt werden. Aber ich verspreche Ihnen, in den nächsten Jahren werden wir noch darum betteln, dass diese "Gatekeeper" zurückkommen. Denn was wir jetzt haben, ist eine riesengroße Plattform, die sich niemandem gegenüber verpflichtet fühlt. Und das ist viel, viel schlechter als es die Gatekeeper davor waren. Spotify fühlt sich auch der Öffentlichkeit gegenüber nicht verpflichtet, die Logik des eigenen Handelns zu erklären. Du kannst Spotify nicht nach ihrer redaktionellen Politik befragen. Du weißt ja nicht mal, wer die Redaktion ist. Spotify hat die gesamte Musikindustrie um den Finger gewickelt.
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