Nach der Landtagswahl in Schleswig-Holstein

Was machen die Piraten jetzt?

Torge Schmidt, Ex-Parlamentarischer Geschäftsführer der Piratenfraktion im Kieler Landtag, an Bord eines Segelbootes in Kiel.
Die Piraten-Partei musste nach der Landtagswahl in Schleswig-Holstein wieder ihre Segel setzen. Sie zogen - wie erwartet - nicht erneut in den Landtag ein. © dpa picture alliance / Carsten Rehder
Von Johannes Kulms · 13.06.2017
Gerade einmal 1,2 Prozent haben die Piraten bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein geholt. Für die bisherigen Abgeordneten bedeutet das einen Neustart ohne Parlament. Die Enttäuschung war vorhersehbar - und so mancher hat schon neue Pläne.
Die Piraten kämpfen. Um Aufmerksamkeit. Und um Unterschriften. Gleich 2000 davon muss die Partei in Schleswig-Holstein sammeln, um zur Bundestagswahl zugelassen zu werden. In der Kieler Fußgängerzone steuert an diesem Samstagnachmittag ein Rentnerpaar auf den kleinen Stand zu. Die Piraten-Kugelschreiber haben ihre Neugier geweckt. Oder sollte man besser sagen Gier?
"Dass ist so, Sie müssten das ausfüllen, und das wird dann vom Wahlprüfer geprüft, ob Sie wahlberechtigt sind in Schleswig-Holstein ... "
"Nein."
"Möchten Sie nicht? Gut, dann trotzdem viel Spaß mit den Stiften!"
Eine Überraschung war das Ausscheiden aus dem Kieler Landtag am 7. Mai nicht. Schließlich ist der frühere Hype um die Piraten auch im hohen Norden schon lange vorbei.

Patrick Breyer kann sich seine Themen nun frei aussuchen

Patrick Breyer, Ex-Fraktionsvorsitzender der Piraten-Partei im Landtag
Patrick Breyer, Ex-Fraktionsvorsitzender der Piraten-Partei im Landtag, will wieder als Richter arbeiten.© dpa picture alliance / Carsten Rehder
"Moin, hallo! Mein Name ist Patrick Breyer, ich bin von der Piraten-Partei, kennen Sie mich vielleicht?"
Auch der frisch ausgeschiedene Fraktionschef und Spitzenkandidat der Piraten sammelt Unterschriften. Patrick Breyer hat eine Frau entdeckt, die auf einer Bank sitzt. Sie entpuppt sich zwar als Nicht-Piraten-Wählerin und Grünen-nah - aber auch als Sympathisantin von Breyers Fraktion. Es sei schade, dass die sechs Abgeordneten der Piraten nicht länger dem Kieler Landtag angehörten, sagt sie.
"Es ging um die Skandale in der Polizeiarbeit zum Beispiel, auch etliche andere Sachen, ich hab' sie jetzt nicht mehr genau im Kopf. Jedenfalls Transparenz und Aufklärung und da finde ich sie wichtig in der Demokratie."
Kein Abgeordneter hat in der vergangenen Legislaturperiode so viele Initiativen ins Parlament eingebracht wie Breyer. Kein Wunder, dass er sich über neuen Freiraum freut.
"Es ist eine sehr intensive Zeit hier gewesen im Landtag und wirklich auch ein Privileg. Aber es hat natürlich auch seine Vorteile, sich seine Themen frei aussuchen und einteilen zu können."

Breyer hat Diskussion um Landeskriminalamt mit angestoßen

Der Jurist nennt als Beispiel den Kampf gegen digitale Überwachung. Oder aber eine Geschichte, die seit Wochen die Kieler Journalisten beschäftigt, und die auch er mit angestoßen hat. Es geht um das das Rockermilieu, vor allem geht es aber um die Polizei. Der Vorwurf: Das Landeskriminalamt soll entlastende Aussagen unterdrückt haben.
"Und da kann ich mich jetzt eingraben und viele Gespräche führen. Nur ich kann die Regierung nicht mehr konfrontieren und ich kann ihnen keine Fragen mehr stellen und die Daumenschrauben nicht mehr anlegen ... "
Die Abgeordneten der Piratenpartei für den schleswig-holsteinischen Landtag 2012-2017: Patrick Breyer, Uli König, Sven Krumbeck, Angelika Beer, Torge Schmidt und Wolfgang Dudda
Die Abgeordneten der Piratenpartei für den schleswig-holsteinischen Landtag 2012-2017: Patrick Breyer, Uli König, Sven Krumbeck, Angelika Beer, Torge Schmidt und Wolfgang Dudda© dpa picture alliance / Angelika Warmuth
Ab August will Breyer wieder als Richter arbeiten. Die Bundestagwahl ein paar Wochen später hat der gebürtige Frankfurter schon abgehakt, hofft aber auf Erfolge bei den Schleswig-Holsteinischen Kommunalwahlen im kommenden Jahr. Und schwört den Piraten die Treue. Auch wenn die in absehbarer Zeit wohl kaum Chancen auf den Wiedereinzug in ein Landesparlament haben - geschweige denn aufs Mitregieren:
"Das unterscheidet uns Piraten auch vielleicht doch von anderen Parteien, dass an der Macht zu sein oder mitzuregieren für uns nicht Selbstzweck ist. Sondern wir sagen, wenn wir nicht für unsere Werte einstehen können, dann machen wir lieber außerparlamentarische Arbeit."

Wolfgang Kubicki lobte sogar ein Piraten-Mitglied

Jemand, der Patrick Breyer garantiert keine Träne nachweinen wird, ist Wolfgang Kubicki. Er sei froh, Breyers Stimme im Landtag nicht mehr hören zu müssen, hatte der Fraktionschef der FDP im Februar gesagt.
Als Kubicki als Alterspräsident vor zwei Wochen die konstitutionierende Sitzung des Landtags eröffnete war die Piraten-Fraktion verschwunden - und stattdessen mit der AfD erneut eine Partei erstmals ins Parlament eingezogen. Kubicki fand lobende Worte - nicht für Patrick Breyer, wohl aber für einen anderen Piraten. Der FDP-Fraktionschef zitierte den 27-Jährigen Abgeordneten Sven Krumbeck:
"Der Abgeordnete sagte und ich zitiere: 'Als ich in den Landtag gekommen bin, hatte ich ein viel schlechteres Bild von der Politik und von Politikern. Ich kann für mich sagen, mein Bild vom egozentrischen, selbstverliebte, volksfernen Politiker ist durch alle Leute, die hier im Landtag sitzen nachhaltig und für immer zerstört worden.'"
Am Ende sei Pirat pat zu der Erkenntnis gekommen: Im Parlament sitzen Menschen, freut sich Kubicki.
"Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, das waren für einen jungen Abgeordneten sehr bemerkenswerte Worte, die zeigen, dass man sich nicht dafür schämen muss seine vorgefassten Bilder und Vorurteile auch mal über den Haufen zu werfen und auf den andere zuzugehen. Dies möge auch in der 19. Legislaturperiode immer beherzigt werden."

Angelika Beer blickt Richtung Antifa und Flüchtlings-NGOs

Angelika Beer, von 2012 bis 2017 Abgeordnete der Piraten-Partei im Kieler Landtag
Angelika Beer will nach ihrem Ausscheiden aus dem Landtag vielleicht wieder mit der Antifa und NGOs zusammenarbeiten.© dpa picture alliance / Angelika Warmuth
In einer kleinen, etwas düsteren Küche nahe Neumünster sitzt eine zierliche Frau mit kurzen braunen Haaren und Brille, die auf eine mehr als 40 Jahre lange politische Karriere zurückblicken kann - und auf fünf Jahre als Piraten-Abgeordnete an der Kieler Förde:
"Das war 'n eigenes Abenteuer, denn ich bin nun wirklich nicht als Nerd geboren. Das Wichtigste war für mich, das war die erste Erfahrung, dass ich wirklich das erste Mal nach meinem Gewissen Politik machen konnte."
Angelika Beer hat die Grünen in den 80er Jahren mitbegründet und gehörte mehr als drei Jahrzehnte der Öko-Partei an. Von 2002 bis 2004 war Beer zusammen mit Reinhard Bütikofer Bundesvorsitzende. 2009 erklärte sie den Austritt:
"Also, 'n wesentlicher Grund nicht mehr mit den Grünen arbeiten zu können war wirklich die Entscheidung, Jugoslawien-Krieg, Afghanistan, wo wir wirklich auch von der eigenen rot-grünen Regierung belogen worden sind. Und ich hab' das nicht gleich gemerkt, habe die völkerrechtswidrige Entscheidung für Militäreinsätze im Kosovo mitgetragen. Inzwischen weiß ich, das war falsch und seitdem gab es nie irgendeinen Zwang innerhalb der Piratenfraktion zu sagen, wir müssen jetzt aber alle zusammen ... "
Als einzige weibliche Abgeordnete der Piraten-Fraktion kümmerte sich Beer im vor allem um die Themen Europa, Umwelt und Tierschutz.
"Im Nachhinein denke ich, manchmal waren wir sechs kleine Landtage, weil jeder Pirat hat gemacht, was er gern wollte. Dadurch verliert man an Profil als schlagfertige Truppe. Trotzdem ist es gut, dass sich gerade auch die jungen Kollegen sich auch vollkommen individuell politisch entwickeln konnten. Und das erstaunliche ist ja, dass wir das fünf Jahre im großen und ganzen im Konsens gemacht haben."
Die Piraten am Boden - und die politische Karriere der gerade 60 Jahre alt gewordenen Angelika Beer zu Ende? Dass sei ihr bereits 2008 nach ihrem Austritt bei den Grünen prophezeit worden sagt Beer, die sich weiter in Initiativen einsetzen will für Toleranz und gegen Rechtsextremismus.
"Ich kann es einfach nicht ertragen, dass dumpfer Populismus offiziell, jetzt sage ich mal, über die Landtagskanäle kommt. Da werden wir Paroli bieten - ich arbeite mit der Antifa zusammen. Und was sich dann daraus entwickelt, das weiß ich noch nicht. Ich kann mir auch gut wieder vorstellen, mit NGOs aus der Flüchtlingsproblematik zusammen zu arbeiten. Von da komme ich her und vielleicht lande ich da auch wieder."
Wo die Piraten herkommen ist klar. Wo sie am Ende landen werden dagegen ganz und gar nicht.
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