Nach der Ermordung des Journalisten Ján Kuciak

Zwei Morde im kalten Land

Ein schwarz-weiß Foto von Jan Kuciak und seiner Partnerin Martina Kusnirova vor zahlreichen brennenden Kerzen.
Der 27-jährige Investigativjournalist Jan Kuciak hatte zu den Verflechtung von Politik und Wirtschaft in der Slowakei recherchiert. © AP / Bundas Engler
Von Michal Hvorecky · 05.03.2018
Wenige Tage ist es her, dass der slowakische Journalist Jan Kuciak und seine Partnerin tot aufgefunden wurden. Nach dem ersten Schock folgten Rücktritte, landesweite Demonstrationen und Mahnwachen. Ein Mord, der das Land aufwühlt wie lange keine Ereignis - auch den Schriftsteller Michal Hvorecky.
Ján Kuciak ist tot. Die Umstände seines Todes waren so kalt und grausam, so kapriziös und sinnlos wie das Land, in dem ich lebe. Kuciak und seine Lebensgefährtin Martina Kušnírová wurden jeder mit nur einer Kugel getötet, er mit einem Schuss ins Herz, sie in den Kopf. Beide waren 27 Jahre jung und wollten bald heiraten. Sie lebten in Veľká Mača, nicht weit von Bratislava entfernt, zirka 80 Minuten Autofahrt von Wien.

Wendepunkt der slowakischen Gesellschaft

Wird der Tag kommen, an dem wir gezwungen sind, in dieser Tragödie einen Wendepunkt der slowakischen Gesellschaft zu sehen?
Meine Heimat könnte in die dunkle Zeit der Neunziger Jahren zurückkehren. Ich war damals um die zwanzig, als Journalisten von rechten Nationalisten verprügelt wurden, es gab auch Bombenanschläge, Drohungen und Hetze. Aber kein Kollege, kein Autor wurde so brutal ermordet.

Die Korruption ist enorm

Mein Land ist zutiefst schockiert. Im Osten Europas wurde in den vergangenen 26 Jahren kein Journalist ermordet. Die Slowakei ist eigentlich ein sicheres Land geworden. Aber die Korruption ist enorm und die größte Regierungspartei Smer-SD ist tief in einem solchen Netzwerk verstrickt.
Kuciak hat mit einem Team an einer Geschichte über den Missbrauch ostslowakischer EU-Fördermittel durch die kalabrische Ndrangheta gearbeitet. Ob die Mafia tatsächlich hinter dem Mord steckt, wissen bisher nur der Täter und die Komplizen. Aber Kuciak und seine Kollegen haben die Verbindungen der italienischen Mafia in die slowakische Regierung schon nachgewiesen.
Steuerbetrug mit gefälschten Rechnungen, fiktive biolandwirtschaftliche Betriebe, Solarenergie – es geht aber eigentlich nur um Eurogelder. Das ist besonders deshalb zum Kotzen, weil der Osten der Slowakei eine der ärmsten Regionen der Europäischen Union ist. Für die Mafiatheorie und die Ermordung durch Profikiller spricht die kaltblütige Exaktheit der Morde. Neben den Leichen hat der Täter scharfe Schusspatronen zurückgelassen, was als Warnsignal an mögliche weitere Opfer gedeutet wird. Die Macht der Verbrecherorganisationen stützt sich auf das Schweigen der Polizei und auch auf die herrschenden "Sozialdemokraten", die extrem nationalistisch und vor allem korrupt sind.

Ein Klima des Hasses

Jan Kuciak hat diesem Schweigen die Macht des Wortes entgegengestellt. Premierminister Robert Fico hat eine Million Euro für die Ergreifung der Täter ausgesetzt. Das Bargeld hat er bei einer dadaistisch anmutenden Pressekonferenz gleich auf den Tisch gestellt. So sieht der Kampf gegen Wirtschaftskriminalität in einen Gangsterfilm aus.
Fico ist mitverantwortlich, weil er seit Jahren kritische und unabhängige slowakische Journalisten als vom Ausland bezahlte Feinde des Staates verleumdet. Er nannte uns schon auch "dreckige, antislowakische Prostituierte", Idioten, Hyänen, "schleimige Schlangen". Dieses Klima des Hasses ist hier weit verbreitet. Zum Glück gibt es weiterhin viele engagierte Medienleute im Osten Europas, die versuchen, unabhängig zu arbeiten.

Bereitschaft, die Zivilgesellschaft zu schützen

Schon letzte Woche haben zahlreiche Kundgebungen stattgefunden, in Bratislava, in Prag und auch anderswo, in so vielen Städten wie seit Jahren nicht.
Ich bin beeindruckt von der verzweifelten Unmittelbarkeit, die dieses traurige Ereignis für meine Mitbürger und Mitbürgerinnen hatte. Leider versuchen viele Rechtsextreme und verleumderische Desinformationsportale sofort, den Mord als Inszenierung darzustellen.
Doch die große Bereitschaft, die Demokratie und Zivilgesellschaft zu schützen und wach zu sein, das sind in diesen traurigen eiskalten Tagen die wichtigen positiven Signale.

Michal Hvorecky, geboren 1976, lebt als freier Autor in Bratislava. Auf Deutsch erschienen drei Bücher, als jüngste Veröffentlichung der Roman "Tod auf der Donau" bei Tropen/Klett-Cotta. Hvorecky studierte Kunstgeschichte an der Universität in Nitra. 2004 wurde er als Writer in Residence für ein Semester an die University of Iowa, USA, eingeladen. In der "FAZ", "Die Welt", "Die ZEIT" oder im Wiener Stadtmagazin "Falter" sind Essays und Geschichten von ihm erschienen. Er wurde mehrfach mit Literaturpreisen ausgezeichnet und war Grenzgänger-Stipendiat der Robert-Bosch-Stiftung. Seine Bücher wurden in sechs Sprachen übersetzt.

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