Nach dem WM-Aus

"Fußballer sind eine Projektionsfläche"

Deutschland in der Kasan-Arena. Mesut Özil aus Deutschland geht über den Platz.
Spieler müssten sich nicht politisch positionieren, findet Frederic Valin in der Debatte über Mesut Özil. © dpa-Bildfunk / Ina Fassbender
Frederic Valin im Gespräch mit Vladimir Balzer und Axel Rahmlow · 28.06.2018
Ist das deutsche Fußball-Desaster ein Spiegelbild des multikulturellen Zusammenlebens in der Gesellschaft? Der Berliner Autor Frederic Valin sieht Parallelen zur französischen Mannschaft, die die WM 1998 als Gastgeber gewann und dann in eine Krise stürzte.
Bei der Fußball-Nationalmannschaft geht es nicht nur um Sport und um Fußball. Es geht auch um nationale Identität, wie zum Beispiel die Debatte um die Bilder von Mesut Özil und İlkay Gündoğan gemeinsam mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zeigte. Die Stimmung im Land ist seit der Flüchtlingssituation 2015 eine andere als nach dem WM-"Sommermärchen" 2006.
Der Berliner Autor Frederic Valin hat deutsche und französische Wurzeln. Er hat über die französische Nationalmannschaft das Buch "Zidane schweigt" geschrieben. Darin geht es auch um das Scheitern des Nationalismus in Frankreich und den Aufstieg des Front National.
Der Berliner Autor Frederic Valin zu Gast bei Deutschlandfunk Kultur. 
Frederic Valin: "Der Erfolg schiebt die Schärfe der Diskussion nur auf."© Deutschlandradio / Cornelia Sachse

Vom Erfolg in die Krise

Erleben wir eine ähnliche Debatte in Deutschland wie damals bei der französischen Nationalmannschaft, die für ein multikulturelles Frankreich stand – und dann eine sportliche Krise durchmachte?
Frederic Valin: "Es gibt Parallelen. Dass man versucht, die Nationalmannschaften ethnisch zu überladen im Sinne der Multikulturalität. Die Angriffe von rechts, die gab es in Frankreich auch. Zidane hat sich nie groß geäußert. Er war kein großer Sprecher. Das gilt für Mesut Özil ja ähnlich. Allerdings war Zidane für die französische Mannschaft deutlich prägender als Özil."
Zinédine Zidane versammele viele Identitäten in sich, erklärt Valin:
"Aus einem Vorort in Marseille kommend, algerische Wurzeln. Er ging dann nach Italien und hat seinen Kindern italienische Namen gegeben, was zu großen Diskussionen in den jeweiligen Ländern auch führte und ist dann Weltstar geworden bei Real Madrid."

Botschafter oder Fußballer

Als Frankreich 1998 Weltmeister wurde, habe der französische Außenminister vorgeschlagen, Zidane zum Weltbotschafter Frankreichs zu machen, weil keiner besser das Frankreich der Moderne darstellen könne.
Als die französische Nationalmannschaft nicht mehr erfolgreich war – ein Tiefpunkt war ihr Streik bei der WM in Südafrika 2010 - sei ihre multikulturelle Zusammensetzung kritischer beäugt worden, so Valin.
Sollten sich Fußballer, die im Nationalteam sind, politisch positionieren und hätte Özil nach der Begegnung mit Erdogan ein Interview geben müssen?
"Von den Spielern muss man das nicht verlangen, aber vom Verband muss man das verlangen. Die Spieler sind Projektionsflächen. Verantwortliche sollten sich stärker positionieren, als das jetzt Herr Grindel getan hat."
(cosa)
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