Nach dem Konzert ist vor dem Konzert

Von Jonathan Scheiner · 19.11.2010
Als Teenager wollte Yaron Herman Basketballspieler werden, eine Knieverletzung machte das dann aber unmöglich. Stattdessen spielte der 1981 geborene Israeli fortan Klavier. Inzwischen gilt er als einer der führenden Jazz-Pianisten.
Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. So heißt es nicht nur im Fußball. Diese Binsenweisheit gilt auch für den Basketball. Und sie gilt auch für Musiker. Nach dem gerade beendeten Konzert beginnen schon die Vorbereitungen für das nächste Konzert. Davon haben die Besucher des umjubelten Auftritts von Yaron Herman bei den letzten Jüdischen Kulturtagen in Berlin einen bleibenden Eindruck erhalten.

Als sich der Glashof des Jüdischen Museums schon wieder geleert hatte, hat sich Yaron Herman noch einmal ans Klavier gesetzt und ein paar Takte vor sich hingespielt. Vielleicht waren sie ihm während der vergangenen knapp zwei Stunden durch den Kopf geschossen. Oder er wollte nur noch mal eben einige neue Melodiebögen einstudieren. Wie gesagt: Nach dem Konzert ist vor dem Konzert. Wer wüsste das nicht besser als Yaron Herman. In seiner Jugend war er auf bestem Wege, sich in die israelische Basketball-Nationalmannschaft zu spielen. Aber dann hat ihn eine schwere Knieverletzung von einer Profikarriere abgehalten.

Statt Basketballer ist Yaron Herman einer der Großen in der Jazz-Szene geworden. Sein Weg dorthin ist nicht immer gerade verlaufen. Zum ersten Mal saß er am Klavier, da war er schon 16 Jahre alt. Sein Studium am Berklee College of Music hat er dagegen schon nach drei Monaten wieder hingeschmissen. Statt in Boston ist er vor ein paar Jahren in Paris hängen geblieben. Sein aktuelles Album "Follow the White Rabbit” hat Yaron Herman mit zwei neuen Mitstreitern eingespielt: dem Bassisten Chris Tordini und dem Schlagzeuger Tommy Crane.

"Ich spiele mit Tommy seit ein paar Jahren. Letzten September habe ich eine Anfrage für eine Tour durch Kanada bekommen. Also rief ich Tommy an und fragte, ob er auch einen Bassisten kenne. Er schlug Chris Tordini vor, den er schon von eine Reihe von Projekten in New York kannte, bei dem sie Rock, Jazz und sogar Free Jazz gespielt hatten. Also spielten wir das erste Konzert in Quebec, das wir kaum abgesprochen hatten. Wir besaßen nur Rohmaterial, ein paar Standards und einige Lieder. So spielten wir einfach drauf los. Es war großartig zu sehen, wie die Musik einfach so entstand, instinktiv, natürlich. Die Leute waren sich sicher, dass wir schon seit zehn Jahren zusammen spielen, dabei standen wir erst seit einer Stunde gemeinsam auf der Bühne."

Das eben gehörte Stück heißt "Ein Gedi", benannt nach der gleichnamigen Oase zwischen der Judäischen Wüste und Totem Meer. Geschrieben hat das Lied der israelische Komponist Dov Aharoni nach einem Gedicht von Eitan Peretz.

"Man muss nicht jüdisch sein, um jüdische Songs zu spielen. Genauso wenig wie man Amerikaner sein muss, um Jazz zu spielen. Das ist ein Song, den jeder verstehen kann. Die Musik ist so kommunikativ und hat eine so starke emotionale Tiefe, dass man sie sofort begreift. Aber dennoch hat 'Ein Gedi' für mich eine ganz besondere Bedeutung. Für andere mag das nur ein schönes Lied sein. Für mich dagegen ist das ein schönes Lied, das aus meiner Kindheit kommt. Ich kenne den Ort. Ich war selbst dort. Meine Eltern wurden in Israel geboren, aber meine Familie kommt ursprünglich zur einen Hälfte aus Russland und Weißrussland, zur anderen Hälfte aus Ungarn und Tschechien."

Seine Wurzeln hat Yaron Herman nicht nur in der Popmusik und Folklore Israels, sondern auch im Jazz. Herman sagt, jedes Jahrzehnt habe große Jazzpianisten hervorgebracht, von denen er viele verehre. Aber vor allem sei er doch ein Kind seiner Zeit, das wie alle Gleichaltrigen die Hits aus dem Radio kennt. Dazu zählt zum Beispiel Sting, Björk oder Radiohead, die Yaron Herman in atemberaubender Weise interpretiert. Kein Wunder also, dass neben Stücken von Dizzy Gillespie, Naomi Shemer und Sascha Argov plötzlich auch ein Song von Kurt Cobain auftaucht, dem legendären Sänger der Punk-Band Nirvana. Yaron Herman spielt das Stück schnell wie die französische Feuerwehr.