Nach dem Ja im Bundesrat Nein in Frankreich?

Von Sabine Adler |
Vom Bundesrat sollte heute ein Signal nach Frankreich gehen, doch ob die Franzosen sich davon beeindrucken lassen, ist die große Frage. Das Nachbarland wird zentralistisch regiert, schnell aufeinander folgende Landtagswahlen wie in Deutschland, bei denen die Regierung in Berlin wie am Sonntag zuletzt erlebt, schmerzhaft, zwischendurch schon mal bestraft werden kann, gibt es nicht.
So ergreifen die Franzosen jede Gelegenheit in der laufenden Legislaturperiode - wie jetzt beim anstehenden Referendum - Regierung und Präsident in Paris die Meinung zu geigen. Das ist das demokratische Recht der Wähler, sie handeln keineswegs illegal, auch wenn sie nicht die Frage beantworten, die ihnen eigentlich gestellt wurde. Zumindest nicht nur die.

Anders als in Deutschland, wo die Bürger ihren Volksvertretern die Abstimmung überlassen mussten, wird das Vertragswerk in Frankreich heftig diskutiert. Während man bei uns den Inhalt der rund 500 Seiten kaum kennt, streiten sich die Nachbarn erbittert über Absätze und Formulierungen.
Die Crux der Verfassung ist, dass sie an der bestehenden Realität gemessen wird. Doch die EU-Völker sollen über das Vertragswerk befinden und nicht über die Umsetzung der bisherigen Europapolitik und noch weniger über ihre nationalen Regierungen.

Nun kann man den Menschen allerdings und glücklicherweise nicht vorschreiben, was sie denken und aus welcher Stimmung heraus sie entscheiden. Man kann ihnen nicht verbieten, beim Referendum Präsident Chirac abzustrafen für seine Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.

Aber der Verfassung wird eine solche Gemengelage nicht gerecht. Denn wer sich mit dem Werk auseinandersetzt, kann nicht übersehen, dass es den Ländern keineswegs ihre Souveränität nehmen will, dass festgehalten wird an sozialer Marktwirtschaft, an gemeinsamen Werten.

Europa soll in Person des gewählten Kommissionspräsidenten und des gemeinsamen Außenministers ein Gesicht bekommen und mit einer Stimme sprechen, das Mehrheitsprinzip, nach dem künftig Entscheidungen gefällt werden, trägt der wahre Bevölkerungsgröße der Länder besser Rechnung. Die neue EU-Kommission wird kleiner, damit überschaubarer, Entscheidungen können mit mehr Transparenz gefällt werden, das EU-Parlament wird gestärkt, ohne dabei die nationalen Parlamente zu entmündigen.

Das sperrige Wort Subsidiaritätsprinzip soll verhindern, dass Europa künftig nicht mehr in überflüssiger Regelungswut bestimmen kann wie groß und krumm Bananen sein dürfen.

Kurzum: die Union kennt ihre Fehler, gelobt Besserung und bekommt dafür ein nützliches Regelwerk an die Hand.

Der französische Ex-Staatschef und Präsident des Europäischen Verfassungskonvents, Valery Giscard d’Estaing zitierte heute vor dem Bundesrat in Berlin Benjamin Franklin, den amerikanischen Verfassungskonventpräsidenten, der 1787 sagte: "Ich stimme dieser Verfassung zu, auch wenn ich nicht sicher bin, dass es die beste ist, aber ich sehe keine bessere Alternative."

Als erfahrener und mittlerweile betagter Politiker hat Giscard d’Estaing eines sehr gut gelernt: Geduld aufzubringen.
Wenn seine Landsleute am Sonntag tatsächlich nein zur Verfassung sagen, dann, so der Ex-Präsident, stimmen sie eben im nächsten Jahr noch einmal ab.

Und dann sollte man nie vergessen: Die Franzosen waren schon immer für Überraschungen gut, auch für positive.