Nach dem "arabischen Frühling": Welche Chance hat die Demokratie?

Moderation: Dieter Kassel · 01.10.2011
Bis zu den Revolutionen in Tunesien und Ägypten galt die arabische Region als mehr oder minder demokratieresistent. Mit dem Aufruhr kam ein Dominoeffekt in Gang, dessen Folgen bis heute andauern: Regierungsgegner protestierten im Jemen, Jordanien, Libyen, Bahrain und Syrien; die Massenproteste führten zum Sturz und zur Flucht autokratischer Herrscher wie des tunesischen Machthabers Ben Ali und des ägyptischen Präsidenten Mubarak.
In Libyen hält der Bürgerkrieg an, nach 42 Jahren wurde Muammar al-Ghaddafi gestürzt. Dies alles vollzieht sich in einer – auch für Experten – atemberaubenden Geschwindigkeit. Und längst ist nicht entschieden, in welche Richtung sich die einzelnen Länder und die Region entwickeln werden, welche Kräfte die Oberhand gewinnen, und welche Chance eine wie auch immer ausgestaltete Demokratisierung haben kann.

Wie sieht die Zukunft der Region aus? In welchen Ländern sind Chancen für einen friedlichen Übergang, wo Probleme?In wie weit können und sollten sich westliche Ländern einmischen?Welche Chance hat die Demokratie in der Region?

Diese Fragen beschäftigen auch Ronald Meinardus. Der Politologe und Journalist leitet das Regionalbüro Mittelmeerländer der Friedrich Naumann Stiftung in Kairo und erlebt die Umbrüche hautnah mit.

"Wir haben die Situation, dass wir mit einem Tsunami, ja einem Heuschreckenschwarm von neuen Akteuren konfrontiert sind."

Zwar wurden für den 28. November die ersten demokratische Wahlen angesetzt, aber alles verlaufe sehr chaotisch. Aktuell stünden circa 50 Parteien zur Wahl, und täglich kämen neue hinzu, von Trotzkisten bis Salafisten sei alles dabei.

"Neulich hat ein Kollege gesagt, ´Wir haben nur eine halbe Revolution, wir haben auch einen Militärputsch`. Und das ist, glaube ich, eine richtige Aussage, weil viel zu viele Dinge passieren, die mit nichts an eine Demokratie erinnern. Es gibt Militärübergriffe, der Ausnahmezustand wurde verlängert."

Auch Oliver Schlumberger verfolgt die Nachrichten aus der Region mit Spannung. Der Professor für die Politik des Vorderen Orients und Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Tübingen wurde wie viele Wissenschaftler von der Rasanz der Ereignisse überrascht, nicht allerdings von den Umbrüchen selbst. Die Anzeichen seien bekannt gewesen: Eine eklatante Arbeitslosigkeit, besonders bei der jungen Bevölkerung, ein Absinken des Entwicklungsniveaus – und dies trotz der hohen Einkünfte aus Bodenschätzen wie Erdöl. Gleichzeitig wurde von den Autokraten ein Patronagesystem finanziert, um die eigene Herrschaft zu stabilisieren. Auch dem Westen liest er die Leviten:

"Die Politiker taten ihr Bestmögliches, um autokratische Regime zu stützen."

In keinem der betroffenen Länder sei derzeit klar, wohin die Reise gehe.

"Nach dem arabischen Frühling: Welche Chance hat die Demokratie?"
Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit Oliver Schlumberger und Ronald Meinardus. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Informationen im Internet:
Über Prof. Dr. Oliver Schlumberger

Über Dr. Ronald Meinardus und die Friedrich Naumann Stiftung