Mythos Ufa

Moderation: Holger Hettinger |
Nach Ansicht von Hans Helmut Prinzler ist es für die heutige Ufa nahezu unmöglich, an die großen Erfolge der 20er und 30er Jahre anzuknüpfen. Die alte Ufa sei ein "Kulturphänomen", das angesichts der Strukturen des heutigen Medienzeitalters und der Stellung des Kinos nicht mehr funktioniere, sagte der ehemalige Chef der Deutschen Kinemathek.
Holger Hettinger Vor 90 Jahren wurde die Filmproduktionsfirma Ufa gegründet. Heute Abend ist eine große Geburtstagsfeier in den Räumen der Berliner Bertelsmann-Niederlassung, denn seit 1964 gehört die traditionsreiche Filmfirma zum Bertelsmann-Konzern. Über den Mythos Ufa und den Wandel des Unternehmens im Lauf der Zeiten und der Sehgewohnheiten, darüber sprechen wir nun mit Hans Helmut Prinzler. Er war lange Jahre Vorstand der Stiftung Deutsche Kinemathek und Direktor des Berliner Filmmuseums. Jetzt ist er im Studio von Deutschlandradio Kultur. Schönen guten Tag, Herr Prinzler.

Hans Helmut Prinzler: Guten Tag.

Hettinger Herr Prinzler, die Ufa wurde 1917, vor 90 Jahren, von der Reichsregierung, dem Kriegsministerium und der Deutschen Bank gegründet als Propagandainstrument. Ist diese Rechnung aufgegangen?

Prinzler: Na ja, im Ersten Weltkrieg natürlich nicht mehr, das war vielleicht auch ein bisschen naiv anzunehmen, dass da, wo die Waffen nicht mehr ausreichen, das Kino sozusagen hilfreich sein könnte. Aber die Idee war in der Tat, den Film, der damals noch relativ jung war, zu nutzen, um die Kriegsmüden zu Hause und auch die Soldaten an der Front ein bisschen zu bewegen. Aber die wirkliche Geschichte der Ufa beginnt eigentlich erst nach dem Ersten Weltkrieg.

Hettinger Was waren das für Filme, die so in die Gründungszeit der Ufa fielen, kennt man da heute noch was von?

Prinzler: Durchaus, also vielleicht nicht von den ganz frühen, die sind eigentlich vergessen, aber ziemlich früh ist zum Beispiel ein Film wie "Madame du Barry" von Ernst Lubitsch, und der ist aus dem Jahre 1918/19. Und insofern ist das schon sehr schnell nach dem Krieg, also nach dem Ersten Weltkrieg wurde sehr viel schneller schon auch in die Produktion übergegangen als etwa nach dem Zweiten Weltkrieg.

Hettinger Warum war das so? Konnte man sich dann verlegen von der Propaganda hin zu den eher künstlerischen Seiten des Filmgeschäfts?

Prinzler: Vielleicht hing es auch damit zusammen, dass die Schäden in Deutschland damals, und unter anderem auch die Kinos, nicht so gravierend am Boden waren wie nach dem Zweiten Weltkrieg und die Menschen natürlich wollten unterhalten werden. Und es gab auch nicht den Vorbehalt wie nach dem Zweiten Weltkrieg, dass die, die den Krieg gewonnen hatten, nun sagten, also Schluss mit allem, was jetzt gewesen ist, sondern das normale Leben ging relativ schnell wieder weiter. Und Regisseure wie Ernst Lubitsch, dann Fritz Lang und Friedrich Wilhelm Murnau – das sind sicherlich die, die noch heute am bekanntesten sind – haben dann auch schon schnell wirklich große Filme gemacht. Und das Interessante ist, dass diese Filme eben auch ins Ausland verkäuflich waren, dass sie also sozusagen auch dieser Ufa nicht nur Ehre oder Ruhm, sondern auch Geld eingebracht haben. Also gerade in dieser Zeit bis ‛23, bis zur Inflation, war das sehr erfolgreich.

Hettinger War die Ufa da in einer puren Produzentenrolle oder hat sie da was getan, um gerade dieses Auslandsgeschäft, die Verbreitung noch mal zu befördern?

Prinzler: Nein, sie war eben mehr als ein Produzent. Sie war durchaus auch Verleiher, sie hatte ein großes Studio, zunächst noch in Berlin, dann später auch in Babelsberg, und natürlich auch die Kinokette. Also der berühmte "Ufa-Palast am Zoo", an der Stelle, wo heute der "Zoo-Palast" ist, das war Teil der Ufa-Theaterkette. Also es war ein richtiger Konzern, würde man heute sagen.

Hettinger Also diese Verwertungskette, die da in allen Etappen eigentlich kontrolliert werden konnte, das hat auch beigetragen zum Erfolg dieses Unternehmens?

Prinzler: Das hat durchaus beigetragen. Und durch Fusionen mit anderen damals schon existierenden Firmen und durch eine Reihe von Leuten, die eben auch, ja vielleicht fast wie Visionäre da an der Arbeit waren – also Erich Pommer, ein wirklich weltberühmter Produzent –, das war einer der Ersten, der die Ufa eben auch ganz nach vorne gebracht hat und auch in der Stoffwahl und in den Genres auch Neues entwickelt hat. Und dazu kamen – und das war immer eine große Stärke der Ufa – dann sehr gute Techniker, wunderbare Kameraleute, Ausstattung, alles Stärken damals, und eben auch Stars, das heißt Schauspielerinnen und Schauspieler, die damals, ich denke, eine ähnliche Bedeutung, vielleicht sogar manchmal noch eine größere hatten wie heute. Henny Porten, ganz am Anfang ein Ufa-Star, die war so berühmt, die wollte man zur Reichspräsidentin machen. Und Emil Jannings, auch Namen, die heute noch bekannt sind. Das war damals doch das Kapital auch der Ufa.

Hettinger Welche Rolle spielen denn solche Klassiker wie meinetwegen der "Blaue Engel" mit Marlene Dietrich oder "Dr. Mabuse" oder "Madame du Barry" von Lubitsch, Sie haben es eben erwähnt, im Gesamt der Produktion der damaligen Tage?

Prinzler: Ein bisschen ist da noch ein Unterschied zu machen zwischen den 20er und den frühen 30er Jahren, weil der Übergang zum Tonfilm, das ist schon eine ganz entscheidende Phase in der Filmgeschichte gewesen. Und die Stummfilme – auch die bekannten wie "Der letzte Mann" oder "Faust" oder "Metropolis" gehört inzwischen zum Weltkulturerbe –, die sind dann in den 30er Jahren natürlich nicht mehr so viel gezeigt worden, weil man dann an den Tonfilm gewöhnt war und einfach dieses sozusagen schon Geschichte war. Aber die frühen Tonfilme der Ufa, also "Der Kongreß tanzt", "Die Drei von der Tankstelle", "Der blaue Engel", das sind schon Filme gewesen, die auch viele Jahrzehnte zum Repertoire gehörten.

Hettinger 1933 wurde die Ufa gleichgeschaltet im Sinn der nationalsozialistischen Propagandapolitik. Welche Auswirkungen hatte das für das Unternehmen?

Prinzler: Das hatte, sagen wir mal, in zwei Richtungen Auswirkungen: einmal ein ganz großer Verlust an Kreativität dadurch, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jüdischer Herkunft die Ufa verlassen mussten, und zwar auf ziemlich brutale Weise. Und es kam sozusagen zu einer Art von Reinigung, und das hat sich natürlich auf die Produktionen, auch auf das Kreative sehr negativ ausgewirkt. Auf der anderen Seite war das Kino damals das wichtigste Vergnügen für die Menschen, und insofern sind dann die Filme, die gedreht worden sind, auch durchaus sehr erfolgreich gewesen.

Hettinger Unterstützend aber für alle wie auch immer geartete propagandistische Ausrichtungen, oder?

Prinzler: Ja, wobei die Propagandaseite war eher die kleinere dabei. Also es ging … Goebbels hatte durchaus eine Einstellung, die Menschen sollen vor allem unterhalten werden – was ja auch zu Ablenkungen führte, also vor allem dann, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Und insofern, ganz am Anfang gab’s zwar so etwas wie "Hitlerjunge Quex" oder "Morgenrot", das waren schon relativ schlimme Propagandafilme. Aber dann wurden die Filme unpolitischer bis Anfang der 40er Jahre.

Hettinger Hans Helmut Prinzler, Sie haben es eben skizziert, nach dem Zweiten Weltkrieg war die Zerstörung in Deutschland so enorm, dass von einer florierenden Kinoszene keine Rede mehr sein konnte, und man hatte auch die Gewalt der Macht der Bilder ein bisschen entdeckt und sich gesagt, nie wieder, das Unternehmen doch zerschlagen. Was war der Funke, der die Ufa über die Zeit gerettet hat bis zur Neuformation?

Prinzler: Man muss es so sehen, es wurde ja nach dem Zweiten Weltkrieg erst langsam wieder produziert. Die Firmen mussten Lizenzen bekommen. Es wurde sehr geprüft, wer das sozusagen verdiente. Im Ostteil wurde dann die DEFA gegründet, also schon 1946, also relativ früh. Und eigentlich gingen alle davon aus, dass die Ufa und alles, was da gewesen ist, liquidiert würde. Und in den Westzonen waren eigentlich auch die westlichen Alliierten der Meinung, mit der Ufa muss Schluss sein. Und das zog sich aber sehr lange hin, hatte ja auch sehr viele juristische Schwierigkeiten. Dann gab es ein sogenanntes "Lex UFI", das ist jetzt juristisch zu kompliziert, um es hier zu erzählen, die wurde aber dann nicht umgesetzt. Dann wurde die Bundesrepublik gegründet, und es zog sich bis fast in die Mitte der 50er Jahre hin, bis es dann mit sozusagen neuem Geld und neuem Elan gelang, dann an der alten Ufa ein bisschen anzuknüpfen und eben auch die Rechte, den Kinobestand wieder zu aktivieren. Und da war aber – das ist sozusagen das Tragische dann – da war aber der große Lauf des westdeutschen Nachkriegsfilms der 50er Jahre eigentlich schon im Abklingen.

Hettinger Und jetzt zum Jubiläum "90 Jahre Ufa" kommt ein Bildband heraus, und Sie schreiben im Vorwort, "die neue Ufa hat Schwierigkeiten, zu einem eigenen Mythos zu finden". Warum?

Prinzler: Ich denke, natürlich, dieser alte Ufa-Mythos mit allen Sonnen- und Schattenseiten oder mit allem Positiven und auch Negativen, das ist einfach auch als geschichtliches Phänomen und als Kulturphänomen eine Marke, die heute, auch weil die ganze Produktion, der ganze Vertrieb alles völlig anders verläuft und auch das Alleinstellungsmerkmal des Kinos überhaupt nicht mehr funktioniert. Vieles hat auch damit zu tun, dass die Menschen einfach auch, was Fernsehen, Film angeht, ich sag’s mal, vergesslicher sind. Es wird weniger sozusagen gespeichert an Erinnerung. Es gibt ganz selten – und natürlich, gut, ein paar amerikanische und vielleicht auch deutsche Filme, die hinterlassen eine Spur. Aber diese Spur ist deutlich geringer, flacher, als es bei großen Filmen der 20er, 30er und auch bei manchen der 50er Jahre ist. Man erinnert sich weniger an das, was man gesehen hat. Und ich denke, das ist ganz generell für Fernsehen und Kino ein Phänomen, das ist jetzt ganz unabhängig von der Ufa.

Hettinger Ist das nicht auch eine Frage, wie man sich auf dem Markt positioniert? Die Ufa stellt heute vorwiegend Unterhaltungsware fürs Fernsehen her – das ist ja auch eine unternehmerische Entscheidung. Ich sage, ich tu mich in dem Markt um, weil er mir, was weiß ich, wirtschaftlich herausfordernder erscheint?

Prinzler: Ja, das ist die eine Seite. Die andere Seite, die Ufa hat ja nun Töchterfirmen wie unter anderem auch Teamworks, die für sogenannten Event Movies zuständig sind. Die drehen dann den großen Dresden-Film oder "Die Luftbrücke", also schon Ereignisse, die wenigstens ein paar Monate im Gedächtnis bleiben, während Serien wie "Gute Zeiten, schlechte Zeiten", die finden einfach statt. Und bestimmte Shows, die vergisst man ganz schnell, weil sie einfach schon Alltag sind. Und da denke ich, ist dann die ganze Mythenbildung dieser Ufa sehr viel schwieriger als die der alten.

Hettinger Vielen Dank Hans Helmut Prinzler. Er war lange Vorstand der Stiftung Deutsche Kinemathek und Direktor des Berliner Filmmuseums. Heute feiert die Filmproduktionsfirma Ufa ihren 90. Geburtstag.