Mythos Kleopatra

Von Volkhard App · 26.10.2006
Ein neues und sogar wahres Bild von Königin Kleopatra will eine Schau im Hamburger "Bucerius Kunstforum" vermitteln. Die Ausstellung hat dennoch zunächst einmal teil am Mythos um die legendären Pharaonin. Zudem scheint der Sinn der ganzen Unternehmung fraglich.
An Liz Taylor kommt keiner vorbei. Auch nicht an den anderen massenmedialen Inszenierungen der legendären Pharaonin, die sich in unseren Köpfen festgesetzt haben. "Ein mieser Charakter, aber sie hat eine hübsche Nase", so urteilte der Gallier Miraculix über die keifende Kleopatra. Auch auf der Theaterbühne – bei Shakespeare, Shaw und anderen - ist sie zu Hause. Und beschäftigte sensible Lyriker: "Mannhaft kämpfte sie mit den Waffen der Frau", so dichtete Durs Grünbein über die "ägyptische Lady".

Und so sehr diese Schau im "Bucerius Kunstforum" ein neues und sogar wahres Bild von dieser schillernden Frau vermitteln will, so hat sie doch zunächst einmal teil an diesem Mythos. Ortrud Westheider, die künstlerische Leiterin des Ausstellungshauses:

"Kleopatra war Machtpolitikerin mit dem Status einer Pharaonin. Sie war Königin in drei Kulturen, unterhielt eine Liebesbeziehung zu zwei Weltherrschern, zu Cäsar und Marcus Antonius, mit denen sie auch Kinder hatte. Diese Liebesgeschichte und all die Opulenz Kleopatras, ihre Dekadenz, ihr verschwenderischer Lebenswandel haben die Phantasie nachfolgender Künstler angeregt."

Während man sich im Untergeschoß des "Kunstforums" mit dem Widerschein der Königin auf dem Theater, im Film und im Comic befasst, faszinieren zu ebener Erde erlesene Skulpturen und Gemälde aus Jahrhunderten und Jahrtausenden.

Bleich liegt sie da, mit entrücktem, leicht verschattetem Gesicht, die Schlange hat sich wie ein giftgrüner Reif um ihren Arm gewickelt, der züngelnde Kopf eine kleine Blutspur auf ihrer Brust hinterlassen. So schön wie bei Arnold Böcklin 1878 starb Kleopatra selten. Während sie auf Hans Makarts Ölbild den Blick zum Himmel gerichtet hat. Makart staffierte seine Bilder mit orientalischer Pracht aus: mit großem Gefolge und auf Verführung bedacht, reist Kleopatra Marcus Antonius entgegen, dem kommenden Liebhaber in der Nachfolge Cäsars. Und nach verlorener Schlacht wird (bei einem anderen Maler) der sterbende Geliebte zu ihr gebracht, sie ist auch hier ganz Schmerzensfrau. So ist es gewesen. Ist es so gewesen? Von mancher Zutat des unterhaltsamen Mythos müssten wir uns ohnehin trennen, ginge es allein um die Wahrheit. Kurator Bernard Andreae, der Nestor der deutschen Archäologie:

"Plutarch haben wir das meiste zu verdanken. Er war aber kein Historiker, sondern Erzähler. Von manchen seiner Anekdoten lassen wir uns heute nicht mehr so beeindrucken. Aufregender ist ohnehin die historische Wahrheit – und es steht fest, dass diese Frau wirklich die Weltgeschichte mitbestimmt hat."

Der Wahrheit ist Bernard Andreae allemal auf der Spur und hat in diesen Tagen für heftige Debatten unter Kollegen gesorgt. Dabei geht es um die "Venus von Esquilin", eine berühmte Marmor-Skulptur aus dem 1. Jahrhundert, ein Blickfang gleich im Entree. Der Archäologe Andreae sieht in diesem Ebenbild einer unbekleideten Frau nicht die stilisierte Göttin, sondern es handelt es sich seiner Meinung nach um Kleopatra, um die Kopie einer Skulptur, die Cäsar einst in dem von ihm gestifteten Tempel aufstellen ließ, wodurch er seine Geliebte zur Verärgerung vieler Römer religiös überhöhte. Diese "Venus" sei nie und nimmer Kleopatra, entgegen nun andere Experten. Bernard Andreae:

"Es geht darum, ob Kleopatra als Geliebte Cäsars nackt abgebildet werden konnte. Das wird von anderen bestritten, und diese Kollegen haben recht.Mit dieser Skulptur aber wird sie dargestellt als Mitbewohnerin des Tempels der Venus, und von einer solchen wurde die pure, natürliche Schönheit erwartet."

Mit dieser "Venus"-Skulptur und bereits bekannten Porträtköpfen will Andreae vor allem dem Aussehen Kleopatras auf die Spur kommen. Ist es denn so wichtig, darüber genau Bescheid zu wissen?

"Eine solche Anschauung muß man haben, auch wegen der widersprüchlichen Aussagen in der Antike. Die Wirklichkeit ist bei Kleopatra ja spannender als jeder Mythos."

Auch wer wissen will, wie Marcus Antonius aussah, kommt in Hamburg der Wahrheit näher: bei einem 40 vor Christus entstandenen Kopf. Es ist tatsächlich eine wunderbare Auswahl von Exponaten: Da ist ein Kalksteinrelief mit dem Sohn Kleopatras und Cäsars, der den Göttern ein Opfer bringt, eine großartige "Kleopatra"–Kreidezeichnung von Michelangelo ist dabei - und dass ein Mosaik, das ein phantasievoll ausgeschmücktes Ägypten mit Pygmäen, Krokodilen und anderen Monstern vor Augen führt, überhaupt auf Reisen geschickt wurde, grenzt an ein kleines Wunder.

Aber es muss immer wieder nach dem Sinn der ganzen Unternehmung gefragt werden. Allein schon, dass ein solcher Kult die Menschen heute noch beschäftigt, rechtfertige eine solche Ausstellung, sagen die Akteure vor Ort. Dabei stand Kleopatra immerhin für ein politisches System, dass den Demokraten der Moderne zutiefst suspekt sein müsste:

"Dann müssten wir uns ja von 90 Prozent der Geschichte distanzieren. Das glaube ich nicht. Wir lernen daraus."

Diese Frau und diese Schau werden die Gemüter weiterhin beschäftigen – und sie tun es bereits: Kleopatra ist erneut ein Thema in Radio- und Fernsehprogrammen, und es rauscht im boulevardesken Blätterwald. Viel Trubel um die freizügige Dame mit dem angeblich miesen Charakter und der hübschen Nase.


Service:
Die Ausstellung "Kleopatra und die Cäsaren" ist bis zum 4. Februar 2007 im Bucerius Kunst Forum in Hamburg zu sehen.