Mythos der Filmgeschichte

Der französische Regisseur Henri-Georges Clouzot wollte 1964 einen ganz besonderen Film drehen, mit Bildern, die es im Kino noch nie gegeben hatte. Aber "Inferno/L'enfer" blieb unvollendet und wurde zu einem geheimnisumwobenen Fall der Filmgeschichte. Der Etat war astronomisch, die Erwartungen enorm, die Mitwirkenden zur Geheimhaltung verpflichtet.
Nach langen Proben begann Clouzot 1964 mit den Dreharbeiten. Kunst und Kamera wollte er spektakulär vereinen, aufwendige technische Neuerungen waren geplant. Hauptdarsteller waren Romy Schneider und Serge Reggiani, das Drehbuch hatte der 56-jährige Clouzot selbst geschrieben: Ein Mann verfällt der Eifersucht, Obsession und Wahnsinn ergreifen von ihm Besitz, Wirklichkeit und Imagination sind nicht mehr zu trennen. Der Regisseur, der als Meister des Grauens gilt, wollte Bilder auf die Leinwand bringen, die den Irrsinn zeigen, das Universum der Angst, die Wahnvorstellungen im Kopf des Mannes.

Doch dann wurde Clouzot die Arbeit an diesem Film offenbar selbst zur Obsession. "L'Enfer / Inferno" wurde zu einem Mythos der Filmgeschichte. Der männliche Hauptdarsteller verfiel schwersten Depressionen, der Regisseur erlitt einen Herzinfarkt. Die Dreharbeiten wurden nach drei Wochen abgebrochen, das Projekt nie wieder aufgenommen: "Eine grandiose Katastrophe, von der die Kinoliebhaber noch heute sprechen." Die schon gedrehten Bilder wurden nie gezeigt, verschwanden im Filmarchiv. Rechtliche Unklarheiten waren dafür ebenso verantwortlich wie seltsame Vorkommnisse, die sich bis heute fortschreiben.

Der Herausgeber dieses Buches, Serge Blomberg, verdankt die Einsicht in diesen Filmschatz nicht zuletzt einem klaustrophobischen Albtraum. Der Fahrstuhl, in dem er mit der Witwe Clouzots fuhr, blieb stecken. Zu sehen sind in dem sorgfältig gemachten Band, der von den Proben und den Dreharbeiten erzählt, nun spektakuläre Bilder, die einen Eindruck davon vermitteln, wie der Film hätte aussehen sollen; und davon, wie die Mittzwanzigerin Romy Schneider sich ganz und gar in die Hände des von ihr bewunderten Regisseurs begab. Denn nicht nur der Regisseur, auch die Hauptdarstellerin wollte endlich zeigen, was sie auf der Leinwand noch nicht hatte zeigen dürfen: dass sie nämlich eine große und ernsthafte Kino-Schauspielerin sein konnte.

Besprochen von Manuela Reichart

Serge Bromberg (Hg.): Romy. Die unveröffentlichten Bilder aus "Inferno", Bilder von Henri G. Clouzot,
Texte aus dem Französischen übersetzt von Claudia Steinitz,
Schirmer/Mosel Verlag, München 2010,
160 S., 198 Abbildungen, 49 Euro