Mythologische Aufladung
Populärwissenschaftlich aufbereitete historische Filme und Schriften erfreuen sich seit geraumer Zeit reger Nachfrage. Es besteht offensichtlich ein weit verbreitetes Interesse an Geschichte. Trotz aller durchaus berechtigten Kritik an Guido Knopp und seinen Kollegen hat die mediale Aufbereitung der Vergangenheit in den letzten Jahren mit dazu beigetragen, einige Defizite im historischen Wissen vor allem junger Menschen zu kompensieren, denn Studien haben immer wieder belegt, wie wenig Jugendliche über den Nationalsozialismus oder über das geteilte Deutschland, speziell die DDR, wissen.
Angesichts dessen ist es verwunderlich, dass das bayerische Finanzministerium, das über die Urheberrechte von NS-Schriften verfügt, die Beschlagnahmung von Nachdrucken veranlasst hat, die im Rahmen des Medienprojekts "Zeitungszeugen" verbreitet werden.
Mit diesem schon in anderen Ländern erprobten Modell sollen über ein Jahr verteilt wöchentlich Nachdrucke von Zeitungen, Flugblättern u.ä. aus der NS-Zeit, eingebettet in einen vierseitigen Mantel von wissenschaftlichen Erklärungen und Einordnungen, an den Kiosken verkauft werden. Durch solide Kommentierungen und Erklärungen von seriösen Wissenschaftlern soll ein unreflektiertes Nachplappern nazistischer Parolen verhindert werden. Dabei handelt es sich nicht nur um nationalsozialistische Zeitungen, sondern auch bürgerliche, sozialdemokratische oder kommunistische Blätter werden ebenso nachgedruckt. Die damalige Realität wird aus verschiedenen Blickwinkeln authentisch dargestellt. Dies gibt dem Leser die Möglichkeit, die Argumentationen und Konfrontationen nachzuempfinden. Gleichzeitig verdeutlicht das Lesen der NS-Blätter, wie sich rassistische Hetzartikel mit banalen Schilderungen des Alltags verbinden. Neben Texten über Volksfeste und Tanzveranstaltungen, Kleinanzeigen und Sportberichten finden sich unerträgliche Polemiken gegen Andersdenkende und Ausgegrenzte.
Die von der bayerischen Staatsregierung und dem Zentralrat der Juden geäußerten Befürchtungen, durch den Nachdruck von NS-Blättern könnten Neonazis Auftrieb erhalten, sind unbegründet, wie ein kurzer Blick auf die einschlägigen Internetseiten offenbart. Hartgesottene Neonazis verfügen längst über entsprechendes Propagandamaterial und Hetzschriften. Andere historisch interessierte Leser erhalten dagegen die Chance, die mitunter auch verführerische Propaganda dieser Massenmörder zu durchschauen und zu erkennen, dass auch die sozialen Erfolge des NS-Staates Voraussetzung und Folge ihrer verbrecherischen Handlungen waren.
Die aus wissenschaftlicher Sicht nicht gerechtfertigte Vorgehensweise der bayerischen Staatsregierung verdankt sich offenbar der Angst, dass Bayern, wie mehrfach schon in unseriösen Studien zum Rechtsextremismus geschehen, in eine rechtsradikale Ecke gestellt wird. Das unsägliche Gerede vom Rechtsextremismus aus der Mitte der Gesellschaft trägt offenbar Früchte.
Das Verbot des "Zeitungszeugen" dürfte eher zu einer Mystifizierung der NS-Zeit als zu einer Eindämmung neonazistischen Gedankenguts beitragen. Tabuisierung schützt nicht vor rassistischer Hetze, sondern verhindert Erkenntnismöglichkeiten.
Generell gilt, dass solide kommentierte Dokumente mehr über geschichtliche Epochen aussagen als mit volkspädagogischem Gestus vorgetragene Belehrungen. 60 Jahre nach der Etablierung demokratischer Verhältnisse können wir zudem dem mündigen Bürger zutrauen, angemessen mit Originaldokumenten aus einer schrecklichen Zeit umzugehen. Die bayerische Staatsregierung sollte ihre Haltung überdenken, auf eine stärker quellenbezogene Kommentierung drängen und dem demokratischen Selbstbewusstsein ihrer Zeitgenossen vertrauen.
Der 1949 in Lübeck geborene Klaus Schroeder leitet an der Freien Universität Berlin den Forschungsverbund SED-Staat und die Arbeitsstelle Politik und Technik und ist Professor am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin. Letzte Veröffentlichungen: "Der SED-Staat. Partei, Staat und Gesellschaft 1949-1990", Hanser-Verlag, München 1998; "Der Preis der Einheit. Eine Bilanz", Hanser-Verlag, München 2000; "Rechtsextremismus und Jugendgewalt in Deutschland. Ein Ost-West-Vergleich", Schöningh-Verlag, Paderborn 2004. "Die veränderte Republik. Deutschland nach der Wiedervereinigung", Verlag Ernst Vögel, Stamsried 2006. Soeben erschienen: "Soziales Paradies oder Stasi-Staat? Das DDR-Bild von Schülern", zus. mit Monika Deutz-Schroeder, Verlag Ernst Vögel.
Mit diesem schon in anderen Ländern erprobten Modell sollen über ein Jahr verteilt wöchentlich Nachdrucke von Zeitungen, Flugblättern u.ä. aus der NS-Zeit, eingebettet in einen vierseitigen Mantel von wissenschaftlichen Erklärungen und Einordnungen, an den Kiosken verkauft werden. Durch solide Kommentierungen und Erklärungen von seriösen Wissenschaftlern soll ein unreflektiertes Nachplappern nazistischer Parolen verhindert werden. Dabei handelt es sich nicht nur um nationalsozialistische Zeitungen, sondern auch bürgerliche, sozialdemokratische oder kommunistische Blätter werden ebenso nachgedruckt. Die damalige Realität wird aus verschiedenen Blickwinkeln authentisch dargestellt. Dies gibt dem Leser die Möglichkeit, die Argumentationen und Konfrontationen nachzuempfinden. Gleichzeitig verdeutlicht das Lesen der NS-Blätter, wie sich rassistische Hetzartikel mit banalen Schilderungen des Alltags verbinden. Neben Texten über Volksfeste und Tanzveranstaltungen, Kleinanzeigen und Sportberichten finden sich unerträgliche Polemiken gegen Andersdenkende und Ausgegrenzte.
Die von der bayerischen Staatsregierung und dem Zentralrat der Juden geäußerten Befürchtungen, durch den Nachdruck von NS-Blättern könnten Neonazis Auftrieb erhalten, sind unbegründet, wie ein kurzer Blick auf die einschlägigen Internetseiten offenbart. Hartgesottene Neonazis verfügen längst über entsprechendes Propagandamaterial und Hetzschriften. Andere historisch interessierte Leser erhalten dagegen die Chance, die mitunter auch verführerische Propaganda dieser Massenmörder zu durchschauen und zu erkennen, dass auch die sozialen Erfolge des NS-Staates Voraussetzung und Folge ihrer verbrecherischen Handlungen waren.
Die aus wissenschaftlicher Sicht nicht gerechtfertigte Vorgehensweise der bayerischen Staatsregierung verdankt sich offenbar der Angst, dass Bayern, wie mehrfach schon in unseriösen Studien zum Rechtsextremismus geschehen, in eine rechtsradikale Ecke gestellt wird. Das unsägliche Gerede vom Rechtsextremismus aus der Mitte der Gesellschaft trägt offenbar Früchte.
Das Verbot des "Zeitungszeugen" dürfte eher zu einer Mystifizierung der NS-Zeit als zu einer Eindämmung neonazistischen Gedankenguts beitragen. Tabuisierung schützt nicht vor rassistischer Hetze, sondern verhindert Erkenntnismöglichkeiten.
Generell gilt, dass solide kommentierte Dokumente mehr über geschichtliche Epochen aussagen als mit volkspädagogischem Gestus vorgetragene Belehrungen. 60 Jahre nach der Etablierung demokratischer Verhältnisse können wir zudem dem mündigen Bürger zutrauen, angemessen mit Originaldokumenten aus einer schrecklichen Zeit umzugehen. Die bayerische Staatsregierung sollte ihre Haltung überdenken, auf eine stärker quellenbezogene Kommentierung drängen und dem demokratischen Selbstbewusstsein ihrer Zeitgenossen vertrauen.
Der 1949 in Lübeck geborene Klaus Schroeder leitet an der Freien Universität Berlin den Forschungsverbund SED-Staat und die Arbeitsstelle Politik und Technik und ist Professor am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin. Letzte Veröffentlichungen: "Der SED-Staat. Partei, Staat und Gesellschaft 1949-1990", Hanser-Verlag, München 1998; "Der Preis der Einheit. Eine Bilanz", Hanser-Verlag, München 2000; "Rechtsextremismus und Jugendgewalt in Deutschland. Ein Ost-West-Vergleich", Schöningh-Verlag, Paderborn 2004. "Die veränderte Republik. Deutschland nach der Wiedervereinigung", Verlag Ernst Vögel, Stamsried 2006. Soeben erschienen: "Soziales Paradies oder Stasi-Staat? Das DDR-Bild von Schülern", zus. mit Monika Deutz-Schroeder, Verlag Ernst Vögel.