Mystisches Danzig
Die preisgekrönte junge Autorin Sabrina Janesch hat nach dem gefeierten Debüt "Katzenberge" ihren zweiten Roman vorgelegt: wieder führt sie in deutsch-polnische Verstrickungen, in ein Danzig voll magisch-mystischem Realismus.
Wie man die eigene Familiengeschichte elegant, spannend, gekonnt zu Literatur werden lässt, hat Sabrina Janesch in ihrem Debüt bewiesen. In "Katzenberge" lässt sie eine junge Deutsche auf der Suche nach der Geschichte ihrer polnischen Verwandtschaft und der Flüchtlingsbiografie ihres Großvaters nach Galizien reisen. Für ihren ersten Roman bekam die Hildesheim-Absolventin, Jahrgang 1985, drei Literaturpreise, hatte vorab bereits diverse Stipendien, war erste Stadtschreiberin in Danzig und war zum Bachmann-Wettbewerb nach Klagenfurt eingeladen. Eine Erfolgsgeschichte mit einem trefflichen Roman als Motor. Was kann nach solch einem furiosen Debüt kommen?
Das verflixte zweite Buch. Das zunächst geografisch auf bereits eingeschlagenen Wegen bleibt. Wieder lässt die Autorin eine junge Deutsche eine Suchbewegung ausführen, lässt sie auf der Fährte ihrer familiären Wurzeln in den Osten reisen - diesmal allerdings zieht es sie an die Küste, an eine "Stadt am Meer", unschwer als Danzig zu erkennen. Das perfekte Habitat einer deutsch-polnischen Verwicklung, war die Stadt doch über Jahrhunderte kultureller Schmelztiegel, war vornehmlich deutschsprachig und musste nach 1945 eine schockartige Transfusion erfahren: als Danzig Polen zugesprochen wurde, tauschte sich die deutsche Bevölkerung aus. Aus dem vorwiegend deutschen Danzig wurde innerhalb weniger Monate das vorwiegend polnische Gdànsk.
In dieses noch heute an jeder Straßenecke zu erkennende gewaltige deutsch-polnische Palimpsest reist die Protagonistin Kinga Mischa, die nach dem Tod ihres Vaters überraschend eine Wohnung in jener Stadt geerbt hat. Die Myszas, die sie dort vorfindet und ihre skurrilen Mieter sind alles andere als begeistert von der unverhofften Verwandten. Die zudem noch ein "Problemchen" mitbringt: mittels eines Bernsteins aus dem Familienbesitz, in den eine kleine Spinne eingeschlossen ist, vermag sie anderer Menschen Erinnerungen zu lesen.
Kinga wird von diesem Kopfkino ohne Vorwarnung überwältigt, weiß es aber schließlich in einem magischen Salon und in einem Pfandleihbüro in bare Münze umzuwandeln. Der wunderliche Bernstein ist nicht die einzige mystische Komponente in den Roman: auch die aufgebotene Personage - ein elfenartiges Medium namens Renia, ein traumatisierter Irakkrieg-Teilnehmer, ein litauischer Kunstbetrüger, die verhutzelte Betreiberin des magischen Kabinetts - ist einigermaßen jenseitig. Kingas einjähriger Aufenthalt in Danzig entfaltet sich zu einem magisch durchsetzten Krimi, an dessen Ende zwei der Personen buchstäblich von der Stadt vertilgt werden.
Die Stadt: sie ist denn auch die Protagonistin des Romans, dieses sinnliche und doppelgesichtige Danzig/Gdànsk, zwischen Langgasse und ehemaliger Lenin-Werft, pittoresk rekonstruierter Rechtstadt und verfallenden Vorstädten. Der ebenso schillernden wie blätternden Aura wird sich mal aus der Sicht der Protagonisten, mal aus der Vogelperspektive, mal aus der Sicht der im Bernstein eingeschlossenen Spinne genähert. Ein erzählerisch geschickt aufgestellter Vexierspiegel, der Historie, Alltag, Befindlichkeiten der Stadtbewohner einfängt: Die Spuren historischer Verwitterung mischen sich mit urban-bukolischen Alltagsbeobachtungen; ein Danzig wird erlebbar, wie es zuletzt Günter Grass aus deutschsprachiger Sicht beschrieben hat.
Sabrina Janesch erweist sich als Seismografin der Sinneseindrücke und als elegante Zeitenverschränkerin. Und doch hätte man sich mehr Durcherzähltes in diesem Roman gewünscht, in dem die Verweise manchmal allzu sehr purzeln. Ein Roman voller Fundstücke, in der Meeresstadt gesammelter literarischer Bernstein: Viel bleibt schön anzusehendes Geschmeide, löst sich allzu schnell in Duft und Rauch auf. Der geschärfte Blick auf einen kleineren Preziosenbestand hätte gereicht. So sehr "Ambra" bezirzt, so sehr hätte man sich gewünscht, dass die Autorin sich die eine oder andere Volte für ihre hoffentlich noch zahlreichen folgenden Bücher aufgehoben hätte.
Katrin Schumacher
Sabrina Janesch: "Ambra"
Aufbau Verlag, Berlin 2012
372 Seiten, 22,99 Euro
Das verflixte zweite Buch. Das zunächst geografisch auf bereits eingeschlagenen Wegen bleibt. Wieder lässt die Autorin eine junge Deutsche eine Suchbewegung ausführen, lässt sie auf der Fährte ihrer familiären Wurzeln in den Osten reisen - diesmal allerdings zieht es sie an die Küste, an eine "Stadt am Meer", unschwer als Danzig zu erkennen. Das perfekte Habitat einer deutsch-polnischen Verwicklung, war die Stadt doch über Jahrhunderte kultureller Schmelztiegel, war vornehmlich deutschsprachig und musste nach 1945 eine schockartige Transfusion erfahren: als Danzig Polen zugesprochen wurde, tauschte sich die deutsche Bevölkerung aus. Aus dem vorwiegend deutschen Danzig wurde innerhalb weniger Monate das vorwiegend polnische Gdànsk.
In dieses noch heute an jeder Straßenecke zu erkennende gewaltige deutsch-polnische Palimpsest reist die Protagonistin Kinga Mischa, die nach dem Tod ihres Vaters überraschend eine Wohnung in jener Stadt geerbt hat. Die Myszas, die sie dort vorfindet und ihre skurrilen Mieter sind alles andere als begeistert von der unverhofften Verwandten. Die zudem noch ein "Problemchen" mitbringt: mittels eines Bernsteins aus dem Familienbesitz, in den eine kleine Spinne eingeschlossen ist, vermag sie anderer Menschen Erinnerungen zu lesen.
Kinga wird von diesem Kopfkino ohne Vorwarnung überwältigt, weiß es aber schließlich in einem magischen Salon und in einem Pfandleihbüro in bare Münze umzuwandeln. Der wunderliche Bernstein ist nicht die einzige mystische Komponente in den Roman: auch die aufgebotene Personage - ein elfenartiges Medium namens Renia, ein traumatisierter Irakkrieg-Teilnehmer, ein litauischer Kunstbetrüger, die verhutzelte Betreiberin des magischen Kabinetts - ist einigermaßen jenseitig. Kingas einjähriger Aufenthalt in Danzig entfaltet sich zu einem magisch durchsetzten Krimi, an dessen Ende zwei der Personen buchstäblich von der Stadt vertilgt werden.
Die Stadt: sie ist denn auch die Protagonistin des Romans, dieses sinnliche und doppelgesichtige Danzig/Gdànsk, zwischen Langgasse und ehemaliger Lenin-Werft, pittoresk rekonstruierter Rechtstadt und verfallenden Vorstädten. Der ebenso schillernden wie blätternden Aura wird sich mal aus der Sicht der Protagonisten, mal aus der Vogelperspektive, mal aus der Sicht der im Bernstein eingeschlossenen Spinne genähert. Ein erzählerisch geschickt aufgestellter Vexierspiegel, der Historie, Alltag, Befindlichkeiten der Stadtbewohner einfängt: Die Spuren historischer Verwitterung mischen sich mit urban-bukolischen Alltagsbeobachtungen; ein Danzig wird erlebbar, wie es zuletzt Günter Grass aus deutschsprachiger Sicht beschrieben hat.
Sabrina Janesch erweist sich als Seismografin der Sinneseindrücke und als elegante Zeitenverschränkerin. Und doch hätte man sich mehr Durcherzähltes in diesem Roman gewünscht, in dem die Verweise manchmal allzu sehr purzeln. Ein Roman voller Fundstücke, in der Meeresstadt gesammelter literarischer Bernstein: Viel bleibt schön anzusehendes Geschmeide, löst sich allzu schnell in Duft und Rauch auf. Der geschärfte Blick auf einen kleineren Preziosenbestand hätte gereicht. So sehr "Ambra" bezirzt, so sehr hätte man sich gewünscht, dass die Autorin sich die eine oder andere Volte für ihre hoffentlich noch zahlreichen folgenden Bücher aufgehoben hätte.
Katrin Schumacher
Sabrina Janesch: "Ambra"
Aufbau Verlag, Berlin 2012
372 Seiten, 22,99 Euro