“Mystische Brutalität“

"Nachtgestalten" stellt das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin ins Zentrum der neuen Spielzeit. Die ultimative Nacht, nämlich jene des ewigen Verhängnisses, die Apokalypse des Todes, steht gleich am Beginn.
In seinem "Requiem" schwelgt Giuseppe Verdi geradezu in der Ausmalung ewiger Verdammnis. Zur Kirche hatte er ein durchaus zwiespältiges Verhältnis. So nimmt es nicht wunder dass Verdi sein Requiem ursprünglich für eine Gedenkfeier zum ersten Todestag des Dichters Alessandro Manzoni komponierte, der mit seinem Roman "I promessi sposi" zum italienischen Nationaldichter avanciert war und wie Verdi sich für die Einigung Italiens eingesetzt hatte.

Verdis Requiem ist wohl das erste große Requiem, das eindeutig nicht mehr für die Kirche, sondern für den Konzertsaal komponiert wurde. Der Adressat ist nicht mehr die gläubige Seele, sondern der aufgeklärte Kunstfreund, der liturgische Zweck tritt zurück hinter die rein musikalische Wirkung. Eine Wirkung, die sich nicht zuletzt explizit theatralischen, opernhaften Mitteln verdankt. Eine der besten Opern Verdis hat man das Requiem immer wieder genannt, von Hans von Bülow bis Bernard Shaw reicht die Ahnengalerie dieses Zitats. Und trotzdem zieht dieses Werk seine emotionale Intensität, der sich auch heute noch kein Zuhörer entziehen kann, aus dem Humus abendländischen Glaubens.

Verdi steht damit nicht allein. "Mystische Brutalität fehlt in den Requien weder bei Berlioz noch bei Verdi", so sagte der Philosoph Ernst Bloch, und fügte sogleich eine bemerkenswerte Differenzierung an: "Bei Berlioz geht sie auf in den Posaunen der apokalyptischen Reiter; bei Verdi in den Sprengschlägen, den bodenlos stürzenden Schreien des ‚Dies irae’." Das "Dies irae" ist denn auch der dramatische Höhepunkt des Werks. In Verdis Vertonung wird die "Sequenz" der Totenliturgie zu einem Schreckensbild aller Höllenqualen und ewiger Verdammnis.

Die Aufführung von Giuseppe Verdis "Requiem" durch das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin unter James Conlon ist das erste Konzert der Reihe über musikalische "Nachtgestalten". Ein markanter Beginn, der die Fallhöhe des Themas unmissverständlich markiert, das die schwärzeste aller Nächte, die Nacht des Todes, ins Zentrum rückt – bevor die weiteren Konzerte dieses thematischen Schwerpunkts auch andere Aspekte der Nacht beleuchten.


Live aus der Philharmonie Berlin

Giuseppe Verdi
»Messa da Requiem«
für vier Soli, gemischten Chor und Orchester

Juliana Di Giacomo, Sopran
Marina Prudenskaja, Mezzosopran
Franco Farina, Tenor
Vitalij Kowaljow, Bass
Rundfunkchor Berlin
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Leitung: James Conlon

nach Konzertende ca. 21:40 Uhr Nachrichten