Mystiker des Körperkults
Von Jürgen Kalwa · 06.02.2011
Der Super Bowl ist mehr als nur eine Sportveranstaltung. Er ist eine der erfolgreichsten Inszenierungen der Welt, die allein in den USA mehr als 100 Millionen Menschen am Fernsehen verfolgen. Für Theatermacher vom Broadway ein Anlass, sich mit dem Milieu und einem seiner Überväter zu beschäftigen. Das Stück über den berühmten Football-Trainer Vince Lombardi ist ein Publikumserfolg.
Er war ein abgebrochener Jurastudent, der mit 26 als Lehrer an einer High School landete. Dort unterrichtete er Latein, Chemie und Physik. Erst mit 41 fand er seine wahre Berufung. Da übernahm Vince Lombardi eine Position als Assistenztrainer eines New Yorker Profi-Football-Klubs.
Dies war das Sprungbrett für den großen Karriereschritt vier Jahre danach zum Cheftrainer der Green Bay Packers. In dieser Position wurde er wenig später so etwas wie der Chefideologe einer schlichten Weltsicht. Die des autoritären Denkens – als Teamgeist verbrämt – wie es im Volkssport American Football verankert ist.
Das Anforderungsprofil, das seine Spieler erfüllen mussten, so sagte Lombardi mal in einem Interview, bestehe aus nur drei Dingen: Familiensinn, Religiösität und Einsatzbereitschaft:
""There is three things as far as I am concerned. One is the man’s family and is religion and number three must be the Packer football team.”"
Football ist ein Spiel voller Gewalt und militärtaktischer Disziplin. Seine wichtigsten Figuren sind nicht die Gladiatoren auf dem Platz, sondern die Trainer am Rand. Feldherrn und Marionettenspieler. Mystiker und Poeten eines erbarmungslosen Körperkults.
In dieser Rolle brillierte Vince Lombardi wie kein anderer. Denn seine Packers gewannen eine Meisterschaft nach der anderen. Es machte ihm nichts aus, dass er wie ein Despot wirkte, der eine einzige Obsession pflegte. Das gab ihm eine Aura: Für ein paar Jahre war er so etwas wie der Pädagoge der Nation. Seine aufpeitschenden Sprüche, mit denen er seine Spieler zugleich einschüchterte und antrieb, wurden Aphorismen des amerikanischen Alltags. Der berühmteste: "Gewinnen ist nicht alles, es ist ein und alles.” Kaltschnäuzig und zynisch herrschte er verletzte Spieler an: "Niemand hat jemals wirklich Schmerzen. Schmerzen hat man nur im Kopf.”
""I think I am in a tough business. And I think there is only one way to coach that business and that’s to be as hard as the business is.”"
Ein harter Mann in einem harten Geschäft, dessen Organisatoren sich auf eine einfache Weise bei ihm bedankten. Sie gaben dem Pokal, den die siegreiche Mannschaft beim Super Bowl erhält, nach seinem Tod 1970 den Namen Vince Lombardi Trophy.
Vierzig Jahre nach diesem Tod lebt der Trainer als Legende weiter. Ganz aktuell zum Beispiel in einem Theaterstück, das seit Oktober am Broadway in New York läuft. Es heißt einfach nur "Lombardi”. Das reicht. Denn schon beim Blick auf das Plakat, auf den Schattenriss eines Mannes mit kurzkrempigem Hut, weiß man, um wen (und was) es geht. Um diese Figur auf die Bühne zu bringen, brauchte der stämmige Hauptdarsteller Dan Lauria denn auch nicht viele Requisiten. Nur eine dickrandige Brille, eine mit schwarzer Farbe vorgetäuschte Zahnlücke und diesen deftigen New Yorker Akzent:
""We’re only here because we wanna win and when we lose we’re gone. Therefore we have to win.”"
"Wir sind nur hier, weil wir gewinnen wollen. Wenn wir verlieren, sind wir weg vom Fenster. Also müssen wir gewinnen.”
Gewinnen - das war von Anfang an natürlich auch das Ziel von Eric Simonson, dem Autor des Stückes, der vor fünf Jahren einen Oskar für den Dokumentarfilm "A Note of Triumph” erhielt. Die Rechnung scheint aufgegangen. Die Produktion ist ein Publikumserfolg.
Ein "Docudrama”, wie die Zeitung "USA Today" nach der Premiere im Oktober schrieb – "vorhersehbar und verdaulich”. Leider beschäftigt sich das Schauspiel nur wenig mit den inneren Befindlichkeiten des Menschen Lombardi, in dem ein Vulkan gebrodelt haben muss. Statt dessen geht es einmal mehr um sein Rollenspiel als Trainer, Stratege und Phrasendrescher. Mit anderen Worten: eine vertane Chance. So besteht die eigentliche Leistung des Bühnenwerks vor allem darin, die proletarisch geprägte Footballkundschaft an den Broadway zu locken.
Das Timing für die Produktion hätte übrigens nicht besser sein können. Denn die Packers von heute genügen zum ersten Mal seit langem wieder Lombardis Ansprüchen. Sie sind erfolgreich und haben beste Chancen, heute Nacht den Super Bowl gegen die Pittsburgh Steelers zu gewinnen.
In den Übertragungen vom Super Bowl erfährt man nur wenig darüber, auf welch vielfältige Weise sich in den USA immer wieder Sport und der klassische Kulturbetrieb begegnen. Dabei waren und sind dies höchst anregende und unterhaltsame Experimente. Selbst dann, wenn sie gar nicht erst versuchen, die sperrige kultische Dimension von Sport einer gebührenden kritischen Aufarbeitung zu unterziehen, sondern eher die Legendenbildung vorantreiben. Kinofilme über das Leben und Leiden von Baseball-Profis wie Babe Ruth oder Lou Gehrig oder ironische Komödien voller Sympathien für ihre Charaktere wie "Bull Durham” oder "Slap Shot” wollen ihre Zuschauer vor allem unterhalten. Die Anregung zum Nachdenken verstehen sie nicht als ihre Aufgabe.
Trotzdem nimmt immer mal wieder jemand die Folie des Sports und arbeitet sie konsequent in ein Stück Literatur ein – so wie etwa Don DeLillo in seinem Roman "Unterwelt” von 1997, in dem ein historischer Home Run als Zeitachse für das große Ganze dient – von den Katakomben des Kalten Krieges bis zu den Müllhalden der Zivilisation.
Zu den gelungenen Ergebnissen, Sportalltag und künstlerische Ambitionen zu verflechten, gehört übrigens ebenfalls eine Broadway-Produktion: das Baseball-Musical "Damn Yankees” von 1955 von Richard Adler und Jerry Ross, eine moderne Form des klassischen Fauststoffs. Es wurde auch in der Film-Version 1958 ein Erfolg. Ein Hollywood-Remake ist im Gespräch.
Ein Film über das Leben des Footballtrainers ist ebenfalls geplant. Niemand anderer als Robert De Niro wird ihn spielen. Der Termin für die Premiere von "Lombardi – der Film”: der nächste Super Bowl im Februar 2012.
Dies war das Sprungbrett für den großen Karriereschritt vier Jahre danach zum Cheftrainer der Green Bay Packers. In dieser Position wurde er wenig später so etwas wie der Chefideologe einer schlichten Weltsicht. Die des autoritären Denkens – als Teamgeist verbrämt – wie es im Volkssport American Football verankert ist.
Das Anforderungsprofil, das seine Spieler erfüllen mussten, so sagte Lombardi mal in einem Interview, bestehe aus nur drei Dingen: Familiensinn, Religiösität und Einsatzbereitschaft:
""There is three things as far as I am concerned. One is the man’s family and is religion and number three must be the Packer football team.”"
Football ist ein Spiel voller Gewalt und militärtaktischer Disziplin. Seine wichtigsten Figuren sind nicht die Gladiatoren auf dem Platz, sondern die Trainer am Rand. Feldherrn und Marionettenspieler. Mystiker und Poeten eines erbarmungslosen Körperkults.
In dieser Rolle brillierte Vince Lombardi wie kein anderer. Denn seine Packers gewannen eine Meisterschaft nach der anderen. Es machte ihm nichts aus, dass er wie ein Despot wirkte, der eine einzige Obsession pflegte. Das gab ihm eine Aura: Für ein paar Jahre war er so etwas wie der Pädagoge der Nation. Seine aufpeitschenden Sprüche, mit denen er seine Spieler zugleich einschüchterte und antrieb, wurden Aphorismen des amerikanischen Alltags. Der berühmteste: "Gewinnen ist nicht alles, es ist ein und alles.” Kaltschnäuzig und zynisch herrschte er verletzte Spieler an: "Niemand hat jemals wirklich Schmerzen. Schmerzen hat man nur im Kopf.”
""I think I am in a tough business. And I think there is only one way to coach that business and that’s to be as hard as the business is.”"
Ein harter Mann in einem harten Geschäft, dessen Organisatoren sich auf eine einfache Weise bei ihm bedankten. Sie gaben dem Pokal, den die siegreiche Mannschaft beim Super Bowl erhält, nach seinem Tod 1970 den Namen Vince Lombardi Trophy.
Vierzig Jahre nach diesem Tod lebt der Trainer als Legende weiter. Ganz aktuell zum Beispiel in einem Theaterstück, das seit Oktober am Broadway in New York läuft. Es heißt einfach nur "Lombardi”. Das reicht. Denn schon beim Blick auf das Plakat, auf den Schattenriss eines Mannes mit kurzkrempigem Hut, weiß man, um wen (und was) es geht. Um diese Figur auf die Bühne zu bringen, brauchte der stämmige Hauptdarsteller Dan Lauria denn auch nicht viele Requisiten. Nur eine dickrandige Brille, eine mit schwarzer Farbe vorgetäuschte Zahnlücke und diesen deftigen New Yorker Akzent:
""We’re only here because we wanna win and when we lose we’re gone. Therefore we have to win.”"
"Wir sind nur hier, weil wir gewinnen wollen. Wenn wir verlieren, sind wir weg vom Fenster. Also müssen wir gewinnen.”
Gewinnen - das war von Anfang an natürlich auch das Ziel von Eric Simonson, dem Autor des Stückes, der vor fünf Jahren einen Oskar für den Dokumentarfilm "A Note of Triumph” erhielt. Die Rechnung scheint aufgegangen. Die Produktion ist ein Publikumserfolg.
Ein "Docudrama”, wie die Zeitung "USA Today" nach der Premiere im Oktober schrieb – "vorhersehbar und verdaulich”. Leider beschäftigt sich das Schauspiel nur wenig mit den inneren Befindlichkeiten des Menschen Lombardi, in dem ein Vulkan gebrodelt haben muss. Statt dessen geht es einmal mehr um sein Rollenspiel als Trainer, Stratege und Phrasendrescher. Mit anderen Worten: eine vertane Chance. So besteht die eigentliche Leistung des Bühnenwerks vor allem darin, die proletarisch geprägte Footballkundschaft an den Broadway zu locken.
Das Timing für die Produktion hätte übrigens nicht besser sein können. Denn die Packers von heute genügen zum ersten Mal seit langem wieder Lombardis Ansprüchen. Sie sind erfolgreich und haben beste Chancen, heute Nacht den Super Bowl gegen die Pittsburgh Steelers zu gewinnen.
In den Übertragungen vom Super Bowl erfährt man nur wenig darüber, auf welch vielfältige Weise sich in den USA immer wieder Sport und der klassische Kulturbetrieb begegnen. Dabei waren und sind dies höchst anregende und unterhaltsame Experimente. Selbst dann, wenn sie gar nicht erst versuchen, die sperrige kultische Dimension von Sport einer gebührenden kritischen Aufarbeitung zu unterziehen, sondern eher die Legendenbildung vorantreiben. Kinofilme über das Leben und Leiden von Baseball-Profis wie Babe Ruth oder Lou Gehrig oder ironische Komödien voller Sympathien für ihre Charaktere wie "Bull Durham” oder "Slap Shot” wollen ihre Zuschauer vor allem unterhalten. Die Anregung zum Nachdenken verstehen sie nicht als ihre Aufgabe.
Trotzdem nimmt immer mal wieder jemand die Folie des Sports und arbeitet sie konsequent in ein Stück Literatur ein – so wie etwa Don DeLillo in seinem Roman "Unterwelt” von 1997, in dem ein historischer Home Run als Zeitachse für das große Ganze dient – von den Katakomben des Kalten Krieges bis zu den Müllhalden der Zivilisation.
Zu den gelungenen Ergebnissen, Sportalltag und künstlerische Ambitionen zu verflechten, gehört übrigens ebenfalls eine Broadway-Produktion: das Baseball-Musical "Damn Yankees” von 1955 von Richard Adler und Jerry Ross, eine moderne Form des klassischen Fauststoffs. Es wurde auch in der Film-Version 1958 ein Erfolg. Ein Hollywood-Remake ist im Gespräch.
Ein Film über das Leben des Footballtrainers ist ebenfalls geplant. Niemand anderer als Robert De Niro wird ihn spielen. Der Termin für die Premiere von "Lombardi – der Film”: der nächste Super Bowl im Februar 2012.