MySpace auf Chinesisch

Von Markus Rimmele · 06.11.2008
Seit gut einem Jahr betreibt das Online-Sozialnetzwerk MySpace einen Ableger in China. Doch die US-Marke tut sich schwer. Die starken chinesischen Anbieter, die Zensur und die mangelnde Akzeptanz für ausländische Anbieter machen dem Unternehmen zu schaffen.
Ein kurzes Video. Xiong Rulin sitzt auf einem Stuhl und stellt sich vor, seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Das Videofenster ist unten links platziert. Oben rechts ist der Musikplayer. Der fängt an, Xiongs aktuellen Hit zu spielen, sobald man auf die Seite kommt.

Xiong Rulin ist Popsänger, sogar ein bisschen Popstar. Er hat einen chinesischen TV-Songwettbewerb gewonnen. Seither kennt man ihn in China. Was noch fehlt, ist der große Durchbruch. Was nicht fehlt, ist das Profil auf MySpace.

"Wenn ich eine neue Aufnahme fertig habe, stelle ich die auf meine Seite. Meine Fans können sie dann anhören und Kommentare schreiben. Außerdem schreibe ich einmal pro Woche auf meinem Blog bei MySpace. Wie ich mich so fühle oder wie es mir hinter der Bühne geht."

Musik ist ein wichtiger Pfeiler des Sozialnetzwerks MySpace auf der ganzen Welt. Unbekannte Sänger und Gruppen können sich präsentieren, für die bekannten ist es ein gutes Mittel zur Fan-Pflege. Auch bei MySpace China mit Sitz in Peking. Überhaupt sieht die Seite dem Vorbild aus den USA sehr ähnlich.

Nutzer stellen Fotos, Videos und Musik auf ihr Profil, schreiben Blogs, hinterlassen Kommentare. Es gibt Diskussionsforen und Gruppen, die nach Interessen sortiert sind. Das alles ist bekannt. Allein: in China scheint die Marke nicht richtig zu funktionieren. Seit gut einem Jahr ist MySpace nun am Markt. Und sitzt zwischen allen Stühlen. Noch im Sommer schwärmte der Chef von MySpace China, Luo Chuan, von der angeblich glänzenden Entwicklung der Seite.

"In den vergangenen sechs Monaten wuchs unsere Besucherzahl um 138 Prozent, hat sich also mehr als verdoppelt. Und der Verkehr auf der Webseite hat sich vervierfacht."

Sprach’s und verdrückte sich. Luo Chuan hat seinen Job vor kurzem gekündigt. Die Webseite scheint in ernsten Schwierigkeiten zu stecken.
Auf den MySpace-Profilen geht das Leben weiter, seit Luos Weggang aber hüllt sich das Unternehmen in Schweigen. Ein paar Informationen sickern nach draußen. Luo wollte die chinesische Version offensichtlich sehr unabhängig vom amerikanischen Vorbild führen, abgestimmt auf den chinesischen Markt. Kurz vor seiner Kündigung sagte er:

"Wir konnten viel von den Amerikanern lernen. Aber das Problem ist: MySpace ist keine Marke, die hier akzeptiert ist. Deshalb haben wir auch einen eigenen chinesischen Namen, der so viel heißt wie 'Freunde zusammenbringen'. Es geht darum, die Marke neu zu erschaffen."

MySpace China gehört zu großen Teilen der News Corporation von Rupert Murdoch. Der gehört auch MySpace in Amerika. Die Marke neu zu erschaffen ist daher schwierig. Das Mutterhaus will ein einheitliches Erscheinungsbild weltweit. Murdochs Frau Wendi, eine Chinesin, sitzt im Vorstand bei MySpace China, zuständig für die Unternehmensstrategie. Luo Chuan konnte sich mit seinem Ziel, MySpace ein chinesischeres Gesicht zu geben, abgesehen vom neuen Namen wohl nicht durchsetzen. In China geht es im Internet nicht so sehr um individuelle Selbstdarstellung – das MySpace-Prinzip. Beliebt sind hingegen elektronische Pinnwände, auf denen zum Teil Tausende User miteinander chatten und diskutieren.

"Bei MySpace trifft sich die obere Gesellschaftsschicht. Da kann ich interessantere Freunde treffen. Bei den anderen Netzwerken sind nur durchschnittliche Leute. Bei MySpace kann ich Unternehmer treffen oder Künstler. Das kann mir in meiner Karriere helfen."

Die 30-jährige Li Qingqing ist eine Muster-Userin für MySpace China.
Sie arbeitet in Peking als Softwareentwicklerin im Mobilfunkbereich. Die Zielgruppe von MySpace in China sind die young professionals, gut verdienende Großstädter, noch jung, aber aus dem Gröbsten raus – und mit verheißungsvoller Zukunft. Doch der chinesische Internet-Markt mit seinen 250 Millionen Nutzern ist hart umkämpft. Es dominieren chinesische Firmen. Amazon, eBay und Yahoo kommen gegen die einheimische Konkurrenz nicht an. Das liegt auch an der Zensur.

"Was ich auf meinem Profil so schreibe, ist nicht kontrovers. Ich hatte noch nie Probleme oder Beschränkungen."

Sagt Dan Dan. Kein Wunder. Er schreibt unverfängliche Restaurantkritiken aus Peking. Würde er anfangen, politisch heikle Themen aufzugreifen, wäre sein Profil wohl ziemlich schnell gesperrt, vermutet Jeremy Goldkorn. Der Südafrikaner betreibt in Peking einen englischsprachigen Blog und kennt das chinesische Internet bestens. Derzeit ist er in Südafrika.

"Jede Content-Webseite muss in China Selbstzensur betreiben. Da kommt niemand drum herum. Die Firmen brauchen Leute, die die Inhalte überwachen. Für MySpace muss das sehr aufwändig sein, weil die Nutzer ständig Inhalte hoch laden. Die löschen ganz bestimmt Sachen, wenn da einer über den Dalai Lama schreibt oder tibetische Unabhängigkeit. Aber das ist Standard in China."

Wie viele von den 100 Mitarbeitern bei MySpace China sich um die Zensur kümmern, ist ein Geheimnis. Klar ist aber, dass die Zensur ein Minenfeld für die Webseiten ist, denn sie sind verantwortlich für die Inhalte. Die lokalen, chinesischen Seiten haben meist die besseren politischen Kontakte, kennen das System und können Probleme umschiffen. Firmen wie MySpace, die aus dem Ausland kommen, sind hier im Nachteil, müssen mehr Aufwand betreiben.
Fehlender Stallgeruch, scharfe lokale Konkurrenz und das strenge Zensursystem. Westliche Konzerne tun sich schwer auf Chinas gigantischem Internetmarkt. MySpace scheint da keine Ausnahme zu sein – trotz einiger Vorzeige-Nutzer wie Xiong Rulin.