Myriam Alter

Ein ganz eigener Stil

Myrian Alter bekam bereits sehr früh in ihrer Kindheit klassischen Klavierunterricht.
Myrian Alter bekam bereits sehr früh in ihrer Kindheit klassischen Klavierunterricht. © imago/Westend61
Von Johannes Kaiser · 09.11.2015
Die belgische Pianistin und Komponistin Myriam Alter schreibt seit vielen Jahren traumhaft schöne Melodien, was auch wieder für ihr neues Album "Crossways" gilt. Diesmal hat sie sich zum ersten Mal getraut, zumindest einen der elf Titel selbst auf dem Klavier zu spielen.
"Da ich mir meines Spiels nicht sicher war, wollte ich keine Solopianistin werden und wurde Bandleader. Das war auch notwendig, denn ich war älter als die ganzen anderen Kids. Die waren so um die 20 und wären nicht zu mir gekommen, um mich zu fragen, ob ich mit ihnen spielen wolle. Also wurde ich Bandleader. Das war für mich eine Art Training, wie eine Schule. Das machte nicht immer Spaß und war auch nicht immer einfach, aber nach einer Weile fing ich dann an, Musik zu komponieren und dadurch fühlte ich mich weitaus besser, denn damit war meine Position in der Band eine ganz andere, ich war jetzt diejenige, die die Musik mitbrachte."
Spät kam die belgische Musikerin Myriam Alter zur Musik. Mit 30 fing sie an, wieder ernsthaft Klavier zu üben und entdeckte den Jazz für sich. Mit 36 Jahren gründete sie dann ihre erste Gruppe. Noch einmal gut zwanzig Jahre vergingen, bis sie ihre erste Platte "If" 2002 veröffentlichen konnte. Die ist insofern typisch für alle ihre vier Alben, dass zwar sämtliche Stücke aus ihrer Feder stammen, sie aber nicht selbst am Klavier sitzt. Myriam Alter fehlt einfach das Selbstvertrauen in ihre pianistischen Fähigkeiten. Sie findet ihre Spieltechnik nicht ausgereift genug. Dass sie für die gerade erschienene neuste Produktion dann doch ein kurzes Solostück eingespielt hat, ist also eine Premiere.
Myriam Alters erste Platte "If" vor 13 Jahren wurde ein großer Erfolg. Das ermutigte die Komponistin, weiter Musik zu schreiben. Dazu setzt sie sich ans Klavier und spielt einfach drauf los und zwar solange, bis ihr spontan eine Musikphrase einfällt, ihr eine kleine Tonfolge gefällt. Die arbeitet sie zu einem ganzen Stück aus, nimmt das Ganze auf und schickt es an ihre Mitspieler, denn Notenschreiben, gesteht sie ein, hat sie nie gelernt.
"Ich nehme es auf und bitte dann jemanden, das Aufgenommene aufzuschreiben und daraus entwickle ich mit einem anderem Musiker die Arrangements. Dabei entscheiden wir, wer welchen Teil spielt und notieren dazu mehrere Stimmen. Ich bitte also einen Arrangeur, mir dabei zu helfen. Alle Stücke sind komplett arrangiert. Wenn ich ehrlich bin, mag ich nicht so viel Improvisation, denn das finde ich langweilig. Wie sie hören können, gibt es durchaus Improvisation. Aber ich will nicht, dass jeder Musiker in jedem Stück improvisiert. Das wäre einfach zu viel."
Diesmal half Myriam Alter der italienische Pianist Michel Bisceglia, die Musik für ihre Platte zu arrangieren. Die beiden verstanden sich sofort, auch wenn sie nicht immer einer Meinung waren.
Musterbeispiel multikultureller Einflüsse
"Die Ideen, die er vorbrachte, waren gut. Einmal hatte ich mit ihm allerdings eine Auseinandersetzung. Ich fand einen Vorschlag lächerlich, einfach unmöglich. 'Doch, das wird funktionieren', sagte er und hatte recht. Es funktionierte. Er hat bei "Back to Dance" noch eine Melodie hinzugefügt. Ich fand die eigentlich kitschig, aber das stimmte nicht. Es geht mir immer um diese Grenzlinie zwischen melodisch und kitschig. Die Musik muss melodisch, darf aber nie abgedroschen sein."
Bei zehn der elf Stücke sitzt Arrangeur Michel Bisceglia auch am Klavier. Mit dabei sind der italienische Akkordeonist Luciano Biondini sowie die belgischen Musiker Michel Massot, Tuba und Posaune, Nic Thys am Bass und Lander Gyselinck am Schlagzeuger. "Crossways", Kreuzungen, hat Myriam Alter ihre neue Platte genannt. Der Titel ist Programm.
"Für mich bedeutet das ein Zusammentreffen verschiedener Kulturen und Einflüsse, der Kulturen der Musiker aus Italien, aus den Vereinigten Staaten, aus Belgien und ich mittendrin. Das Album heißt auch so, weil ich mich selbst gar nicht als Jazzmusikerin sehe. Für mich ist das, was ich schreibe, zwischen Weltmusik und Jazz angesiedelt. Ich sehe mich nicht als Jazzkomponistin, aber ich brauche Jazzmusiker, die meine Musik spielen, weil sie diese Freiheit des Jazz kennen und ich mag es, wie sie spielen."
Einmal ganz davon abgesehen, dass der Jazz inzwischen ein weites Herz hat und viele Einflüsse umarmt, ist die Komponistin selbst ein Musterbeispiel multikultureller Einflüsse. Sie stammt aus einer jüdisch-sephardischen Familie. Ihre Mutter ist Griechin, ihr Vater kommt aus der Türkei. Das hat ihre Stücke deutlich geprägt. Sie haben die Leichtigkeit und die Fröhlichkeit mediterraner Volkslieder. Und dass sie den Tango liebt und lateinamerikanische Rhythmen, ist deutlich zu hören. Frankreichs Musette hat die Belgierin ebenfalls beeinflusst.
Aber auch der Jazz hat seine Spuren hinterlassen. Manches erinnert an Chet Bakers warme Trompetenklänge. So kreuzen sich in der Musik tatsächlich viele musikalische Wege, ohne beliebig zu wirken. Myriam Alter hat einen ganz eigenen Stil gefunden. Ob das noch Jazz ist? Eine völlig überflüssige Frage.