Myanmar ein Jahr nach dem Putsch

Der Widerstand lässt sich nicht brechen

22:39 Minuten
Menschen protestieren am 18. Juni 2021 in Myanmar.
Die Militärführung in Myanmar rechnete nach dem Putsch mit einem schnellen Sieg. Aber vor allem die Jugend kämpft weiterhin unnachgiebig für Demokratie im Land. © imago images/Penta Press
Von Lena Bodewein und Holger Senzel · 27.01.2022
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Am 1. Februar 2021 stürzte Myanmars Armee die demokratisch gewählte Regierung von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Den anhaltenden Widerstand gegen den Staatsstreich bekämpft die Junta mit brutaler Gewalt. Doch der Ausgang bleibt offen.
Selbstvergessen übt eine junge Frau im neongelben T-Shirt Aerobicschritte vor dem Parlamentsgebäude. Auf der gesperrten zehnspurigen Straße hinter ihr fahren gepanzerte Militärtransporter vorüber. So absurd wirkte das Video, dass viele an eine Inszenierung glaubten.
Doch Fitnesslehrerin Khing Hnin Wai entgegnete, dass sie seit elf Monaten an dieser Stelle in der Hauptstadt trainiert.

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Der Soundtrack zum Putsch. Denn auch wenn General Min Aung Hlaing die demokratisch gewählte Staatsspitze festsetzen und im ganzen Land Bewaffnete aufmarschieren ließ – so ging der Alltag für die meisten Menschen in Myanmar zunächst einmal weitgehend unverändert weiter. Kein Blut war geflossen bei der Machtübernahme durch das Militär, und der Armeechef versprach freie und faire Wahlen innerhalb eines Jahres.
Die Armee als Retterin der Demokratie – so ging die Geschichte des Min Aung Hlaing. Aung San Suu Kyi und ihre Partei – die Nationale Liga für Demokratie NLD – hätten die Wahl gestohlen, das Militär habe eingreifen müssen, um die Verfassung zu retten und das Volk vor Schlimmerem zu bewahren.

"Ein Leben in Angst"

Das Volk allerdings glaubte dem General seine Geschichte nicht. Die Menschen in Myanmar hatten sich gerade erst an die Freiheit gewöhnt, die zarten Blüten der Demokratie genossen nach einem halben Jahrhundert der Diktatur.
Die Junta hatte das einst reiche Land ausgepresst, bis es zum Armenhaus Südostasiens geworden war, hatte Oppositionelle eingesperrt und gefoltert und Proteste mit Gewehrsalven niedergemäht. Diese junge Frau – die ungenannt bleiben wollte – fasste am Tag des Putsches zusammen, was die meisten Menschen in Myanmar empfanden.
„Ich bin sehr besorgt, denn ich habe diese Dunkelheit schon einmal erlebt und ich will diese finstere Zeit nicht noch einmal durchmachen müssen. Es bedeutet, in Ungewissheit zu leben, ein Leben in Angst.“
Jeden Abend klapperten in Yangon, Mandalay oder Naypyidaw Topfdeckel und Bratpfannen. Zu Zehntausenden gingen die Menschen im ganzen Land auf die Straßen. „Do Ah Yeh“ brüllten die Demonstranten „es ist unsere Pflicht“.
Tausende Menschen laufen in der Stadt Mandalay mit Protesplakaten eine Straße entlang.
Tausende Menschen demonstrierten am 22. Februar 2021 in der Stadt Mandalay gegen den Militärputsch.© mago images/ZUMA Wire/Kaung Zaw Hein
Sie ließen sich nicht einschüchtern von waffenstarrenden Hundertschaften der Sicherheitskräfte, von Tränengas und Schlagstöcken – das ganze Land schien vereint in Wut und Widerstand, so tief saßen die Angst und der Hass gegenüber der Armee.

Myanmar versinkt im blutigen Bürgerkrieg

General Min Aung Hlaing – der wohl von einem leichten Durchmarsch seiner hochgerüsteten Streitkräfte ausgegangen war – hatte sich verzockt mit seiner Demokratie-Rettungsinszenierung. Er ließ die Maske fallen und reagierte mit altbekannten Mitteln.
Als die erste Demonstrantin durch eine Polizeikugel ums Leben kam, löste das weltweites Entsetzen aus. Inzwischen sind etwa 1500 Menschen erschossen oder zu Tode geprügelt worden, doch die Welt scheint sich an das blutige Regime gewöhnt zu haben.
Tag für Tag morden die Soldaten oder schleppen Oppositionelle in Gefängniszellen, knapp 12.000 bisher, viele werden gefoltert, manche bis zum Tode. Aber Schlagzeilen machen nur noch besonders grausame Gemetzel – etwa wenn die Armee ganze Dörfer mit Kanonen dem Erdboden gleichmacht oder Menschen bei lebendigem Leibe verbrennt. Aus dem friedlichen Widerstand ist vielerorts bewaffneter Kampf geworden – Myanmar versinkt ein Jahr nach dem Putsch in einem blutigen Bürgerkrieg.

Aung San Suu Kyi wird wohl nie wieder frei sein

Aung San Suu Kyi und Staatspräsident Win Myint wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Auf die Friedensnobelpreisträgerin kommen weitere Anklagen wegen Geheimnisverrat, Korruption und Aufwiegelung zu – die 76-Jährige wird in ihrem Leben die Freiheit wohl nie wiedersehen. Andere führende Persönlichkeiten ihrer Partei, der NLD, sind zum Tode verurteilt worden. Doch der Widerstand lässt sich nicht brechen.
Während einer Protestveranstaltung im Mai 2021 in London wird ein Plakat mit dem Foto von Aung San Suu Kyi in die Höhe gehalten.
Ikone der Demokratiebewegung: Aung San Suu Kyi ist in Haft. Andere Regierungsmitglieder wurden zum Tode verurteilt.© imago images/ZUMA Wire/Tayfun Salci
Die Töpfe klappern immer noch. Bis heute stehen die Menschen in den Städten Myanmars auf Balkonen und an Fenstern und scheppern mit Kochgeschirr. Dazu rufen sie „Fort mit dem Bösen“, eine Tradition mit der Übel und schlechtes Karma vertrieben werden sollen.
Von der Straße aus feuern Soldaten oft willkürlich in Wohnungen; ihre Geschosse schlagen in Wände und Möbel und manchmal töten und verletzen sie auch – aber einschüchtern tun sie nicht. „Frohes neues Jahr“ kontern Anwohner in Yangon einmal höhnisch die scharfen Schüsse.

"Die Diktatur wird stürzen"

Ärztinnen, Krankenschwestern und Pfleger waren die Ersten, die sich in der Bewegung des zivilen Widerstandes organisierten – dem Civil Defense Movement CDM. Viele von ihnen legten die Arbeit nieder und trugen auf Schutzanzügen die Botschaft: „Die Diktatur wird stürzen“ oder „Rettet Myanmar – wir wollen unsere gewählte Regierung".
"Nach dem Putsch entschieden die meisten Ärztinnen und Ärzte, dass sie nicht unter dem Militär arbeiten können. Sie hatten Angst, dass das Land sich zurückdreht, und so begannen sie den zivilen Widerstand. Es waren die Ärztinnen und Ärzte von Myanmar."
Das erzählt Hla; die junge Frau heißt eigentlich anders. Sie hat im Gesundheitswesen gearbeitet – bis sie wie viele andere Kolleginnen und Kollegen beschloss, sich dem zivilen Widerstand anzuschließen und ihre Arbeit niederzulegen. Auch Lehrpersonal von Schulen und Universitäten machte mit, Werftarbeiterinnen und Werftarbeiter, Zugpersonal, quer durch die Gesellschaft ging und geht der Streik.
"Als der Putsch geschah, da hatte ich das Gefühl, dass in mir etwas verloren geht. Dann haben meine Vorgesetzten sich dem zivilen Widerstand angeschlossen und ich habe meine Entscheidung getroffen: Ich will dazu beitragen, dass die Demokratie zurückkehrt, dass Myanmar sich zum Guten verändert."

Die Häscher der Junta sind überall

Hla steht auf einer Fahndungsliste der Junta. Sie hat sich lange bei Freunden versteckt, nachdem die Polizei in ihrem Elternhaus aufgetaucht war. Doch nachdem alle Haushalte immer strenger kontrolliert wurden, konnte sie auch dort nicht länger bleiben und suchte Zuflucht in einem buddhistischen Kloster. Inzwischen ist sie über die Grenze nach Thailand geflohen, denn die Häscher der Junta sind überall. Trotzdem glaubt Hla nicht, dass ihr Land noch einmal dauerhaft in eine Diktatur zurückkehrt.
In Yangon wird im Februar 2021 nach Protesten gegen den Militärputsch ein Mann von der Polizei abgeführt.
Wie hier in der Stadt Yangon geht die Militärjunta vehement gegen Demonstrierende vor. © imago images/ZUMA Wire/Theint Mon Soe
"Denn die Jugend führt den Widerstand an. Sie sind in der Demokratie groß geworden, sie sind gar nicht in der Lage, in einer Diktatur zu leben. Sie kämpfen entschlossen und wir werden nicht zurückgehen, wir werden gewinnen! "
Die Jugend. Generation Z. Sie ist die Hoffnung vieler, auch älterer Widerständler. „You fucked with the wrong generation“ heißt der Spruch, der auf Post-its, an Häuserwänden oder im Internet überall zu finden ist.

Widerstand mit Flashmobs bei Facebook

Eine Kampfansage der jungen Generation, die in der Popkultur der sozialen Medien zu Hause ist. Die sich über Facebook zu Flashmobs verabredet.
Wie aus dem Nichts tauchen Hunderte, Tausende junger Leute plötzlich in den Innenstädten auf, schwingen Transparente, brüllen ihre Parolen – und sind verschwunden, bevor die ersten Mannschaftstransporter der Armee anrollen.  
Kabar Ma Kyi Bu– ist DAS Lied der Revolution nach der Melodie von "Dust in the wind". Kabar Ma Kyi Bu – "Wir werden nie vergessen", es erinnert an die Pro-Demokratie-Proteste von 1988, die blutig niedergeschlagen wurden. Tausende – meist Mönche und Studenten – von der Armee erschossen.
Doch anders als damals lässt sich das Land heute nicht mehr abschotten – auch wenn die Militärregierung sämtliche unabhängigen Medien verboten hat. Mehr als hundert Journalisten wurden seit dem Putsch festgenommen, ein Fotoreporter starb kürzlich im Militärgewahrsam. Meistens kommen die Polizisten im Dunkeln. Und manchmal lassen die Opfer die Welt Zeuge ihrer Verhaftung sein.
Nur Schemen sind auf dem nächtlichen Video zu sehen, eine ängstliche Stimme zu hören.
“Keine Gewalt – Ich sagte, doch, dass ich komme”, ruft der Reporter des lokalen Senders DVB, als Polizisten die Haustür einschlagen. Glas splittert, Schüsse fallen.
„Nicht schießen!“, ruft der Journalist, und wieder kracht es. „Ich bin getroffen“, schreit der junge Mann. „Hilfe, ich bin getroffen!“ Wieder Schüsse. “Hilfe!”, schreit er. “Hilfe! Schlagt die Töpfe, schlagt die Töpfe.“
Und dann beginnen sie überall in der Nachbarschaft mit Topfdeckeln zu klappern als Zeichen des Protestes und als Warnsignal. „Achtung, sie kommen.“

Soziale Medien werden immer wichtiger

Seitdem haben wir wochenlang nichts von dem Kollegen gehört, niemand wusste, wo er festgehalten wird, sagt sein Chef U Than Win Htut, Nachrichtendirektor von DVB. Die Lizenz hat das Militär dem Sender entzogen; auch andere Medien dürfen nicht mehr senden oder drucken. Umso wichtiger seien soziale Medien für die Verbreitung von Informationen geworden, meint U Than Win Hut:
 „Natürlich ist es gefährlich. Trotzdem lassen sich die meisten Journalisten nicht einschüchtern. Wir machen weiter als Untergrund-Journalisten, wie wir das schon mal getan haben. Die meisten von uns sind wirklich fest entschlossen, diesen Kampf für die Meinungsfreiheit und die Demokratie fortzusetzen.“
Und so ist jetzt jeder Bürger Berichterstatter – die Protestler von heute filmen Schüsse auf friedliche Demonstranten mit ihren Smartphones und stellen sie ins Netz, damit die ganze Welt von dem Unrecht und der Unterdrückung in Myanmar erfährt.

Zeitweise schaltet die Junta das Internet ab

Soldaten schießen einen Telekommunikationsmast in Trümmer. Zeitweise schaltet die Junta auch das Internet ab, um die Kommunikation des Widerstandes zu unterbinden. Doch die meisten jungen Leute haben sich längst Telefonkarten aus dem Nachbarland Thailand besorgt.
Die alten Männer der Junta werden uns nicht zum Schweigen bringen, sagt Dampa, der eigentlich anders heißt. Auch er ist aus Myanmar geflohen, bleibt aber mit seinen Mitstreitern in Kontakt.
"Was der wichtigste Unterschied ist zwischen dem Widerstand im 21. Jahrhundert, zwischen unserer Generation Z und der Generation des Aufstands von 1988: dass wir Jugendlichen alle mit neuen Technologien umgehen können und dass wir Informationen auf verschiedenen Plattformen teilen können. Wir haben verstanden, wie wichtig es ist, dass diese Informationen die internationale Gemeinschaft erreichen."
"Es ist auch anders als 1988, weil das Militär damals den Informationsfluss nach außen gestoppt hat. Kaum etwas drang aus dem Land heraus über die grausamen Geschehnisse, wie unschuldige Menschen bei den Protesten getötet wurden. Es ist also ganz anders."

Die Hand recken zum Dreifingergruß

Und immer recken die Protestierenden die Hand zum Dreifingergruß, wie die Demonstranten im Nachbarland Thailand, wie die Widerstandskämpfer in der Hollywood-Produktion „Die Tribute von Panem“. Hollywood in Südostasien: Was auf der großen Leinwand von einer dystopischen Fiktion erzählte, ist hier als Zitat auf den heißen, staubigen Straßen von Yangon oder Mandalay Wirklichkeit geworden.
"Wir haben ganz verschiedene Formen des Protestes. Am Anfang haben wir lautstark auf der Straße demonstriert, aber als das Militär immer brutaler wurde, mussten wir andere Taktiken nutzen. Einen stummen Streik. Oder einen Blumenstreik."
Ein junger Mann zeigt drei Finger des Protests  in der Stadt Lashio im Februar 2021.
„You fucked with the wrong generation“: Dreifingergeste bei einem Protest in der Stadt Lashio.© imago images / ZUMA / Mine Smine
„Was tut ihr hier?“, ruft ein Mann in Tarnfleckuniform den jungen Männern auf der Waldlichtung zu. „Wir kämpfen für unsere Heimat“, rufen sie im Chor, dann marschieren sie los. Soldaten der People‘s Defence Force PDF, der sogenannten Volksverteidigungsstreitkräfte. Weil friedlicher Protest gegen die Sturmgewehre der Armee wenig ausrichtet, greifen immer mehr junge Männer aus dem zivilen Widerstand zur Waffe.

Training für den Kampf gegen die Armee

Gemeinsam mit Milizen der ethnischen Minderheiten trainieren sie für den Kampf gegen die Armee. Oft mit Waffen aus dem Zweiten Weltkrieg oder selbst gebastelten Handgranaten – drei Patronen darf jeder Rekrut beim Schießtraining abfeuern, denn Munition ist knapp. PDF-Kämpfer überfallen Armeeposten oder Munitionstransporter, verwickeln reguläre Truppenteile in blutige Gefechte – ihr Untergrundradio vermeldet stolz die Zahl der getöteten Soldaten:
Zweimal täglich sendet Radio NUG auf Mittelwelle, warnt vor Armeeangriffen oder gibt Tipps, um Internetsperrungen zu umgehen. Fordert Soldaten zum Überlaufen auf, bietet Regierungsmitarbeitern Führungsposten, falls sie sich dem Widerstand anschließen. NUG – National Unity Government – Regierung der Nationalen Einheit. Minister und Abgeordnete der früher demokratisch gewählten Volksvertretung, die nach dem Putsch vor der Armee geflohen sind, und nun von einem versteckten Ort aus den Widerstand gegen die Junta koordinieren.
„Nationale Einheit“ – das bezieht auch die ethnischen Minderheiten mit ein. 135 leben vor allem in den Grenzregionen des Landes – Kachin, Chin, Karen, Shan, Hmong – und sie alle unterhalten bewaffnete Guerilla-Truppen. Früher kochten sie alle ihr eigenes Süppchen, inzwischen haben sie ihre Konflikte beigelegt und kämpfen gemeinsam gegen die Armee.  

Soldaten feuern auf friedliche Demonstranten

Tatmadaw heißen die Streitkräfte in Myanmar, und sie pflegen bis heute einen regelrechten Mythos. Die Tatmadaw hat dem Land die Unabhängigkeit gebracht. Die Tatmadaw garantiert die nationale Einheit in dem von ethnischen Konflikten zerrissenen Land, und die Tatmadaw reicht dem Volk die Hand, um die Demokratie zu schützen. Das sagte General Min Aung Hlaing allen Ernstes, während seine Soldaten auf den Straßen Myanmars auf friedliche Demonstranten feuerten.
Die Tatmadaw ist ein Staat im Staat. Mit eigenen Schulen und Krankenhäusern, abgeschottet von der Bevölkerung. Eine Armee, die noch nie gegen eine Bedrohung von außen, sondern immer nur den Feind im Inneren gekämpft hat, das eigene Volk also. Fast die gesamte Wirtschaft, Handelsunternehmen, Fabriken, Banken, liegt in den Händen des Militärs. Das macht – etwa im Jadehandel – die hohen Offiziere zu Millionären, während die einfachen Soldaten schlecht behandelt und schlecht bezahlt werden.
Und immer mehr Soldaten desertieren, seit die Gewalt eskaliert, erzählt Thinzar Shunlei Yi von People‘s Soldiers, einer Organisation, die geflohene Soldaten unterstützt.

Wachsende Zahl von Desertionen

Wir haben bisher 8000 Menschen in ganz Myanmar geholfen, sie haben sich der Revolution angeschlossen. Das scheint wenig, aber es ist die höchste Zahl in der Geschichte Myanmars, dass so viele Soldaten die militärischen Anlagen mit ihren strengen Auflagen verlassen haben.
"Sie wollen nicht ihr eigenes Volk töten. Und: Sie finden es auch nicht richtig, dass das Militär Ausreden als Grund für den Putsch benutzt hat. Wie beispielsweise den Wahlbetrug von Aung San Suu Kyis Partei NLD – daran glauben sie nicht."
Soldaten dürfen die Kasernen inzwischen nur noch gruppenweise verlassen, auch behält die Armee teilweise den Sold der Männer ein, denn ohne Geld ist es schwierig, zu fliehen. Das zeigt, dass die wachsende Zahl von Desertionen als ernsthaftes Problem gesehen wird.
Auch wenn viele immer noch Angst hätten zu fliehen, weil sie die Rache der Armee an ihrer Familie fürchteten – glaubt Nyi Thuta, selbst früher Captain in der Armee und Mitbegründer von „People‘s Soldiers“. Seine Organisation hilft den Soldaten dabei, zu desertieren, ohne sich und ihre Familien zu gefährden. Viele Deserteure schließen sich dem bewaffneten Widerstand an, andere möchten keine Waffe mehr in die Hand nehmen und einfach nur untertauchen.

Die menschliche Würde bewahren

In einer wöchentlichen Talkshow von People’s Soldiers, die die Aktivistin Shunlei moderiert, sprechen ehemalige Soldaten über ihren Weg aus der Armee:
"Einer der Soldaten sagte, er weiß nicht, ob die NLD hundert Prozent perfekt ist, aber er ist sich sehr sicher, dass das Militär schlecht ist. Er selbst hat bei Wahlen Menschen zwingen müssen, für eine bestimmte Partei zu stimmen, nichts war frei oder fair im Militär. Und als das Militär den Putsch mit Wahlbetrug begründete, fühlte er sich verraten. Als ob nichts wahr sei, für das er gedient hat.
Er wollte nichts mehr mit dieser Einrichtung zu tun haben. Den meisten, die über ihre Desertion sprechen, geht es um ihre Würde. Ihre menschliche Würde, die sie bewahren wollen."
„Myanmar ist ein weltweites Thema“, steht auf einem Plakat während einer Demonstration im September in London.
„Myanmar ist ein weltweites Thema“, steht auf einem Plakat während einer Demonstration im September in London. © imago images/ZUMA Wire/Vuk Valcic
Shunlei selbst ist als Tochter eines hochrangigen Militärs aufgewachsen, sie weiß, wie strikt und verschworen das Tatmadaw ist. Sie will eine Brücke bauen zwischen beiden Seiten.

"Wir werden es schaffen"

Früher habe es einen Stolz gegeben, Soldat zu sein, junge Leute hätten sich angezogen gefühlt von der Uniform. Heute wollen sie die Uniform ausziehen.
"Im Zentrum dieser Revolution steht nicht irgendeine Regierung, kein Militär und keine bewaffnete Gruppe – sondern die Menschen selbst. Darum geht es in dieser Revolution. Es geht darum, das Richtige zu tun, nicht irgendeiner Illusion oder irgendeinem Plan, den das Militär vorgibt.
Zum ersten Mal in unserer Geschichte entwerfen wir selbst den Plan für unsere Zukunft. Das wird Zeit brauchen, aber wir sind geduldig, wir sind ehrgeizig, und wir sind mutig. Wir werden es schaffen."
Wie der Krieg der Armee gegen das eigene Volk ausgehen wird, ist unmöglich vorauszusagen. Tatsächlich waren kurz nach dem Putsch alle Experten davon überzeugt, dass die hochgerüstete Tatmadaw den Widerstand innerhalb weniger Wochen blutig niederschlagen würde. 

Myanmar könnte zum Syrien Südostasiens werden

Doch nach einem Jahr hat die Militärjunta nicht einmal ansatzweise die Kontrolle über das Land errungen. Streiks und Boykotte von militäreigenen Unternehmen legen die Wirtschaft lahm, die Infrastruktur liegt am Boden, weil Lehrer, Ärztinnen und Fluglotsen sich verweigern. Doch je erbitterter der Widerstand wird, desto skrupelloser und brutaler schlägt das Militär zu. Der blutige Bürgerkrieg könnte endlos, Myanmar zu einem Libanon oder Syrien Südostasiens werden.
Viel wird darauf ankommen, wie die internationale Gemeinschaft mit Myanmar umgeht. Wirtschaftssanktionen könnten viel bewegen. Die Energie-Riesen Chevron und Total etwa ziehen sich gerade aus Myanmar zurück. Wenn der Armee das Geld ausgeht – dann wird sie diesen Kampf gegen das Volk verlieren.

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