Auf der Berlinale: "Mutzenbacher"

Sexuelle Fantasien von Männern - damals und heute

12:50 Minuten
Egon Schiele (1890-1918): "Weibliches Liebespaar", 1915. Graphische Sammlung Albertina, Wien.
Freizügiges Wien: Egon Schiele malte 1915 ein "weibliches Liebespaar". © picture alliance / akg-images
Ruth Beckermann im Gespräch mit Massimo Maio · 15.02.2022
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"Josefine Mutzenbacher", 1906 erschienen, ist ein Klassiker der pornografischen Literatur. Die Filmemacherin Ruth Beckermann hat viele Männer nacheinander auf eine Couch gesetzt. Dort haben sie aus dem Roman vorgelesen und über ihre eigenen Fantasien gesprochen.
Wie haben sich Sexfantasien von Männern in den vergangenen hundert Jahren entwickelt? Ziemlich große Frage, aber die österreichische Filmemacherin Ruth Beckermann hat ein spannendes Setting entwickelt, um vielleicht ein paar Antworten herauszukitzeln. Sie setzte ganz normale Männer, die sie per Anzeige gesucht hatte, auf eine Casting-Couch und konfrontierte sie mit pornografischer Literatur. Nämlich mit dem berühmten Roman „Josefine Mutzenbacher – Die Geschichte einer Wienerischen Dirne“, anonym verfasst und 1906 erschienen.
Die Männer auf der Couch sprechen in dem Film „Mutzenbacher“, der auf der Berlinale gezeigt wird, über das Buch und lesen daraus Textstellen vor: sehr explizit, ziemlich vulgär, der Roman war jahrzehntelang verboten.

Beengte Verhältnisse und Promiskuität

„Dieses Buch ist ein Klassiker“, sagt Ruth Beckermann. Es sei es nicht nur pornografische Literatur, „sondern auch eine soziologische Beschreibung der Zeit, als Wien um die Jahrhundertwende zur Großstadt wurde“.
Damals gab es Mietskasernen und „Bettgeher“, Männer, die nachts als Kellner oder sonst irgendwo arbeiteten und tagsüber ein Bett in einer fremden Wohnung gemietet hatten. „Es waren ziemlich beengte Verhältnisse, eine ziemlich promiskuitive Gesellschaft wird da geschildert.“
Die Filmregisseurin Ruth Beckermann
An Sex denken? Warum nicht? Ruth Beckermann präsentiert ihren Film "Mutzenbacher" bei der Berlinale 2022.© picture alliance / Geisler-Fotopress
Sie habe das Buch sehr früh entdeckt, erzählt Beckermann, „wie so ziemlich alle Freundinnen und Freunde meiner Generation“: "Es gibt Wiener Lieder, die Texte daraus benutzen, Helmut Qualtinger hat eine Fortsetzung gemacht.“ Das Buch sei zumeist bekannt, auch wenn viele jüngere Menschen es nicht gelesen hätten.
„Da dieses Buch ziemlich sicher von einem Mann geschrieben wurde und eine Männerfantasie ist - dass Frauen dauernd wollen und vor allem an Sex denken - hat es mich interessiert, Männer von heute mit diesem Text zu konfrontieren“, berichtet die Filmemacherin.
Deswegen gab sie eine Annonce auf. 105 vollkommen verschiedene Männer meldeten sich, 75 von ihnen habe sie dann auf die Couch eingeladen, „in so eine Art Casting-Situation“. Das Zufallsprinzip habe sie gereizt, sagt Beckermann, „nicht zu wissen, wer da kommt“.

Offenheit auf der Couch

Die Vorstellung von „toxischer Männlichkeit“ hat Beckermann dabei eigenen Angaben zufolge nicht geleitet. Es sei ein Feldversuch gewesen, sie habe die Arbeit an dem Film mit Neugierde und ohne jede These begonnen:

Ich finde es nichts Schlechtes, wenn man an Sex denkt. Im Gegenteil, ich wollte mir anhören, was Männer dazu zu sagen haben. Es wird oft gesagt, dass Männer nicht über sich reden. Ich habe festgestellt, das stimmt gar nicht, sie sind sehr offen.

Nonchalante Auskünfte über Sex

Was die Männer dann erzählten, sei sehr vielfältig gewesen, findet die Filmemacherin: "Jeder Mann war überraschend, das war das Spannende an dem Projekt.“ Bei der Auswahl und Montage der Szenen schafften es letztlich 35 Männer in den Film. Es habe welche gegeben, die den Text gleich weggelegt hätten, weil er ihnen unangenehm war, "und andere, die ganz nonchalant von sich selber erzählen. Es sollte ein möglichst breites Porträt der heutigen Männern werden.“
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