Muttersöhnchen wider Willen

Von Sarah Zerback · 03.07.2013
Er hat zwei Jobs, aber er verdient noch nicht einmal so viel, dass er von zu Hause ausziehen könnte. Paolo ist einer der vielen jungen Italiener, die unter der Krise leiden. Und er bangt um seine Zukunft.
Salami, Funghi und noch ein Stück mit Mozzarella: Paolo Ferrito nimmt seinen Pizzakarton und setzt sich vor dem Trevi-Brunnen auf eine Stufe im Schatten. Um ihn herum fotografieren sich Touristen gegenseitig und suchen im Stadtplan Roms schon nach der nächsten Sehenswürdigkeit.

Paolo nimmt das Gewimmel nicht wahr. Er stürzt sich hungrig auf sein Abendessen. Zehn Stunden hat er hinter sich, in der Personalabteilung eines Versicherungsunternehmens. Knapp 900 Euro Netto verdient der 30-Jährige - trotz Hochschulabschluss in Politikwissenschaft. Und selbst für diese Stelle musste er lange suchen.

"Also, wenn wir über bezahlte Arbeit sprechen, dann lange, über ein Jahr. Wenn wir aber über unbezahlte Arbeit sprechen, tja, die unbezahlte Arbeit findet man schon..."

Unbezahlte Praktika gibt es zuhauf - im Gegensatz zu festen Stellen. Paolo hat einen Zeitvertrag. Der endet im Dezember. Grübeln, das liegt ihm nicht.

"Es ist wichtig, jetzt eine Arbeit zu haben und nicht zu viel an die Zukunft zu denken. Man weiß ja sowieso nie, was wird!"

Paolo sieht müde aus, streicht sich immer wieder nervös über die kurz rasierten Haare. Er legt sich kurz in die Sonne, atmet durch. Dann muss er weiter.

Der Feierabend endet, bevor er richtig angefangen hat. Nicht weit vom Trevi-Brunnen im Teatro Satiri, einem der ältesten Theater Roms. Paolo grüßt, zieht sich schnell ein blaues Hemd mit dem Emblem des Theater über und steht schon am Eingang des Theatersaals.

Vier Mal die Woche reißt er Karten ab, 25 Euro bekommt er pro Schicht. Die kann er gut gebrauchen. Er beklagt sich nicht.

"Leider ist es in Italien im Moment sehr schwierig und gerade deshalb, ist es doch auch ein Privileg, zwei Jobs zu haben!"

Immerhin ist ein Drittel der italienischen Jugend arbeitslos. Paolos Arbeitstag hingegen, endet nach 15 Stunden: Um 23 Uhr fällt der Vorhang im Theater.

Am nächsten Tag, einem Feiertag, macht Paolo sich auf den Weg und besichtigt mit einem Freund eine Wohnung. Die beiden wohnen noch Zuhause - wie etwa zwei Drittel der 18- bis 34-jährigen Italiener.

"Wenn man in einer großen Stadt wie Rom lebt, ist es nicht einfach, sich eine Eigenständigkeit aufzubauen, besonders für junge Menschen. Du bist auf jeden Fall auf die finanzielle Unterstützung deiner Eltern angewiesen..."

50 Quadratmeter für 900 Euro Miete - kalt
Die Wohnung liegt eine Viertelstunde vom Zentrum entfernt. Zwei Zimmer, komplett möbliert, die Fenster sind vergittert, der Blick fällt auf einen dunklen Innenhof.

50 Quadratmeter für 900 Euro Miete, kalt. Hinzu kommen etwa 200 Euro Nebenkosten. In Rom normal. Für Berufseinsteiger wie Paolo aber zu viel. Seine Eltern um einen Mietzuschuss zu bitten, kommt für ihn nicht in Frage.

"Es kostet eine riesige Überwindung, Zuhause auszuziehen, obwohl deine Eltern in derselben Stadt wohnen. Man bittet die Eltern nicht um Geld, wenn es sich vermeiden lässt..."

Die Vermieterin dreht sich um, schließt die Fensterläden. Paolo und sein Freund blicken sich an, rollen mit den Augen. Wieder nichts.

Zuhause steht Paolos Mutter am Herd und rührt in einer Kichererbsensuppe - eine sardische Spezialität. Anfang der Neunziger Jahre ist Familie Ferrito aus Sardinien in die Hauptstadt gezogen. Der Vater Zeitsoldat, die Mutter Krankenschwester, obwohl noch keine 60, sind beide bereits in Rente - üblich in Italien und Teil des Problems. Viel leisten konnte sich die Familie nie.

"Es ist keine wirklich große Wohnung. Deshalb habe ich auch kein eigenes Zimmer, sondern schlafe im Wohnzimmer auf dem Sofa."

Die Zweizimmerwohnung ist rustikal eingerichtet: viel dunkles Holz, viel Spitze, in jedem Raum hängt ein Kreuz. Frauen bringt er nie mit nach Hause. Seit fünf Jahren ist Paolo schon Single.

"Ich bin sehr selten zu Hause. Und in der wenigen Zeit, die ich zu Hause bin, da kann ich nicht das machen, was ich will (lacht). Natürlich, mit meinen Eltern zu leben heißt, dass meine Freiheit manchmal in Konflikt steht, mit der Rücksichtnahme auf sie, okay?"

Paolo sieht seiner Mutter sehr ähnlich: Kleine, schmale Statur, grosse, dunkle Augen, die immer eine Spur zu traurig aussehen. Wenn die Mutter an Paolos Zukunft denkt, kräuseln sich Sorgenfalten auf ihrer Stirn.

"Mir würde es schon gefallen, wenn er in dieser Phase seines Lebens, eine Familie planen könnte, eine Ehe, vielleicht sogar Kinder - natürlich hätte ich gerne Enkelkinder. Eben all das, was wir früher gemacht haben. Aber das ist unter diesen Umständen unmöglich. Und das ist meine große Sorge..."

Am Nachmittag kommen seine Cousins zum Fußballgucken. Gemeinsam sitzen sie auf dem Sofa, das nachts zu Paolos Schlafplatz wird. Mit ihnen spricht er über alles: seine Zukunftsängste, Hoffnungen und Träume.

"In dieser Hinsicht bin ich konservativ: Für mich reicht es, eine Familie zu haben, zu reisen, eine Partnerin zu finden. Ich habe da keine Ansprüche...."

Sein Team wird an diesem Abend 1:0 gewinnen. Doch das Tor kurz vor Schluss bekommt Paolo nicht mehr mit - denn er muss los, um Acht beginnt seine Schicht im Theater.