Muss es gleich Libeskind sein?

Von Renée Willenbring · 06.06.2008
Auf dem Gelände der Uni Lüneburg soll ein neues Audimax errichtet werden. Architekt ist kein geringerer als Daniel Libeskind. Doch noch steht die Finanzierung nicht. Und viele Studenten fragen sich außerdem, ob das Geld für den Neubau nicht besser in die Lehre investiert werden sollte.
Frühstück in der Wohngemeinschaft von Thies Johannsen in Lüneburg. Der 23-Jährige will den Leuphana Bacchelor ablegen und hat Kulturwissenschaften im Hauptfach sowie Politikwissenschaften im Nebenfach belegt. Als Komplementärstudium hat er sich in diesem Semester Kriminologie ausgesucht. Zuvor hatte er in Kiel ein Jahr lang Rechtswissenschaften studiert. Thies Johannsen ist jetzt im zweiten Semester.

"Der Leuphana Bacchelor ist ein neues Modell von unserem Präsidium erdacht, das sehr angelehnt ist an angloamerikanische Studiensysteme. Wir haben im ersten Semester ein Studium generale. Das ist so der Hauptunterschied … Es geht darum, dass wir beispielsweise im ersten Semester ein Geschichtsmodul haben 'Wissenschaft macht Geschichte' nennt sich das. Ich habe beispielsweise ein Seminar über Nietzsche belegt und das moderne Subjekt und das ist beispielsweise auch für Wirtschaftswissenschaftler verbindlich und hat ja sonst nicht viel mit deren Studium zu tun. Legt aber 'ne Grundlage und schafft vor allem, das finde ich gut und auch lobenswert, ein Bewusstsein für den geschichtlichen Kontext ,dass man dann auch verantwortlich handeln kann."

Ganz andere Erfahrungen hat Hans Vierjahn gemacht, der nach dem Alt-Bacchelor-System studiert und sich jetzt im sechsten Semester Sozialpädagogik und Soziale Arbeit befindet. Er und seine Kommilitonen fühlen sich in der Uni links liegen gelassen, denn sie haben immer noch keine gültige Prüfungsordnung.

"Die Hauptprobleme bei uns sind halt ganz einfach, dass wir auf der einen Seite in Anführungsstrichen das Diplom im Nacken haben, wo noch Angebote für geschaffen werden müssen und auf der anderen Seite der Leuphana BA, auf dem sämtliche Aufmerksamkeit gerichtet wird, das heißt, dieses Mittelding, der Alt-BA, der ja hier als erstes angefangen wurde, fällt einfach ganz oft in den Überlegungen komplett raus, es wird gar nicht mehr darüber nachgedacht oder man kriegt hier einfach Aussagen zu hören, von wegen, ihr seid ja eh ein Auslaufmodell, bzw. ihr hättet ja die Chance gehabt, auf den Leuphana Bacchelor wechseln zu können."

Gedanken machen sich beide Studenten wegen der unruhigen Studiensituation in der alten Hansestadt. Vor allem, weil Uni-Präsident Sascha Spoun und sein Vizepräsident Holm Keller Daniel Libeskind dafür gewonnen haben, auf dem Campus ein neues Audimax zu errichten. Das Projekt des weltbekannten Architekten hat bundesweit Schlagzeilen gemacht, aber in der Stadt fragen sich viele, ob die Uni sich das überhaupt leisten kann.

Die Stadt Lüneburg sowie Kreis, Land und Bund haben große Summen locker gemacht, um den sogenannten Jahrhundertbau mitzutragen. Dennoch fehlen bislang noch zehn Millionen Euro. Der Landtag in Hannover will das Projekt aber schon im Oktober durchwinken. Jeder möchte sich schließlich mit Libeskind schmücken, nachdem Objekte des Baumeisters, wie das Jüdische Museum in Berlin oder das Nussbaum-Museum in Osnabrück für große öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt haben. Der Lüneburger Oberbürgermeister Ulrich Mägde freut sich, dass er das Audimax auch als Stadthalle nutzen kann. Schlauerweise hat er per Vertrag ausgehandelt, dass die Stadt für die Unterhaltungskosten nicht aufkommen muss.

Der AStA der Uni Lüneburg lehnt den geplanten 60 Millionen Euro teuren Neubau entschieden ab. Die Uni habe noch nicht einmal genug Geld für die Lehre, kritisiert AStA-Sprecher Björn Glüsen:

"Auf der anderen Seite ist die Universität Lüneburg die am schlechtesten finanzierte öffentliche Hochschule in Niedersachsen, was unter anderem dazu führt, dass 20 Professuren unbesetzt sind. Ich glaube, dass die Universitätsleitung nicht zuerst ihre Hausaufgaben macht, und sich um die qualitative Hochwertigkeit von Forschung und Lehre bemüht, sondern mit einem Zentralgebäude des Herrn Libeskind einen Leuchtturm schafft, der erst mal einfach ein Leuchtturm ist, aber keinen Einfluss auf Wissenschaftlichkeit der Universität Lüneburg hat."
Hört man sich an der Uni um, wer denn politisch in die Haftung genommen werden könnte, sollte sich die Hochschule mit dem Millionenprojekt verheben, bekommt man nur hinter vorgehaltener Hand Auskunft. Da ist zu hören, dass die Hochschule ja eine Stiftungsuni sei mit einem eigenen Stiftungsrat, der auch über die gesamten finanziellen Angelegenheiten entscheide. Das Land Niedersachsen stelle zwar nach wie vor die finanziellen Mittel und übe die Rechtsaufsicht aus, habe sich aber ansonsten aus der Verantwortung verabschiedet. Der Stiftungsrat, der mit Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Gesellschaft besetzt ist, sei zuletzt vor einem Jahr zusammengekommen. Derzeit gebe es sogar nur eine kommissarische Leitung dieses obersten Kontrollgremiums. Unter dem Strich bedeute das, dass das Präsidium viele Freiheiten habe. Immer mehr kritische Köpfe halten diese Verteilung der Verantwortlichkeiten an der Stiftungsuni Lüneburg für einen Konstruktionsfehler gerade im Hinblick auf den millionenschweren Libeskind-Bau.

Bei der Vollversammlung der Universität herrscht großer Andrang, obwohl das Präsidium für Freitagnachmittag um 16 Uhr eingeladen hat. Schließlich gibt es reichlich Informationsbedarf, was das Libeskind-Projekt angeht. Vizepräsident Holm Keller und Daniel (Däniel) Libeskind kennen sich schon lange persönlich und haben auch geschäftlich miteinander zu tun. Libeskind hat seit einem Jahr eine nebenberufliche Professur für Architekturplanung an der Uni, obwohl Architektur als Studiengang gar nicht angeboten wird. Keller begrüßt seinen Freund herzlich.

#'"Ich würde jetzt Daniel bitten, uns eine kurze Übersicht des Projektes aus Sicht eines der interessantesten Künstler unserer Zeit zu geben, auf den wir sehr stolz sind ihn in Niedersachsen und Lüneburg zu haben."

"Es ist eine Ehre einen architektonischen Beitrag für eine Universität zu leisten, was könnte heutzutage wichtiger als eine Universität sein. Die Planung dieses Gebäudes ist ein Beispiel für demokratische Architektur, weil in vielen Gesprächen unterschiedliche Meinungen eingeflossen sind. Als Professor an dieser Hochschule finde ich es reizvoll, dass nicht nur Architekten und Experten zur Planung beigetragen haben, sondern auch Studierende, die tolle Ideen hatten und die diesen Vorschlag für die Hochschule mit entwickelt haben."

Mit Unterstützung eines Lüneburger Sponsors waren Studierende der Universität nach New York geflogen, um zusammen mit dem Architekten den zum Teil 38 Meter hohen Neubau auf ihrem Campus zu planen. Das Gebäude mit einer Glas- und Zinkfassade soll klimaneutral sein und mit bizarren Zacken einen unvergleichlichen Blickfang bieten. 1200 Menschen haben in dem Audimax Platz, daneben gibt es Arbeitsräume für Studierende sowie Forschungsplätze. Präsident Spoun verteidigt den geplanten Neubau und erklärt, warum die Uni das große Gebäude braucht:

"Die Frage, welche Universitäten in Niedersachsen 2018 und fortfolgende betrieben werden, wird sich daran entscheiden, welche Universitäten ein interessantes Forschungsprofil haben. Das heißt, die wichtigste Aufgabe der nächsten Jahre ist, über Forschungsaktivitäten die Universität abzusichern."

Was die Studierenden an diesem Nachmittag am meisten interessiert, ist, ob sich ihr Vizepräsident Keller über seine freundschaftlichen Kontakte zu Libeskind hinaus auch geschäftliche Vorteile verschafft hat. Keller trat als Geschäftsführer einer Firma in Sachsen-Anhalt auf, die Fertighäuser vermarkten will, die ebenfalls von Libeskind entworfen sind. Gleichzeitig kommt ein möglicher Geschäftspartner dieser Firma als Sponsor für das Audimax in Frage. Das löste eine Reihe von Irritationen aus und führte letztlich zu Rücktritten im Stiftungsrat. Keller weist jede Vorteilsnahme zurück:

"Ich war einer derjenigen, der in diese Firma investiert hat und als diese noch auf dem Papier bestand, war ich Geschäftsführer, bin ich längst nicht mehr, das ist normal, wenn man eine Firma startet. Längst und unabhängig von all diesem Aufstand ist diese Sache abgeschlossen. Im schlimmsten Fall bin ich damit ein Unterstützer der Universität. Aber wenn eine Firma, bei der ich privat etwas kaufe, der Universität etwas schenkt, dann ist das das Gegenteil von Vorteilsnahme. So, damit hätte ich es jetzt gerne belassen. Gibt’s sonst noch Fragen?"

Matthias Fabian, der als studentischer Vertreter im Senat sitzt, will von Vizepräsident Keller wissen, warum die Hochschule denn überhaupt den Libeskind-Bau braucht, wo doch viele Hörsäle und andere Gebäude auf dem Campus nicht ausgelastet seien und man auch billiger bauen könne.

"Ja, ich habe noch mal eine letzte Frage. Diese Veranstaltung war ja bis 19 Uhr angesetzt, so dass ich denke, es noch nicht zu spät ist, diese zu stellen. Und zwar wurde eben das Raumprogramm erwähnt, das vom Ministerium genehmigt worden ist. Und ich wüsste gerne, was die Grundlage davon ist. Also ich kann mir auch gut vorstellen, dass wir einen gewissen Raumbedarf haben, aber wie ist der ermittelt worden, wann, wer ist befragt worden, wie kommt das zustande?"

"Also das klären wir heute nicht mehr, da war unter anderem auch der Asta und Stupa dran beteiligt, lieben Dank. Tschüss."

Kritische Fragen, so scheint es, sind an der Uni Lüneburg unerwünscht. Einige wollen sich den Mund aber dennoch nicht verbieten lassen. Dazu gehört auch der Tourismuswissenschaftler Karlheinz Wöhler. Der 64-jährige geschäftsführende Direktor des Instituts für Freizeitforschung, Spiel und Bewegungserziehung nimmt kein Blatt vor den Mund.

"Wie zum Beispiel beim Libeskind, das sind ja Fakten, dass wir keine Raumplanung haben, dass kein Architekturwettbewerb stattfand, dass dafür der verehrte Kollege Libeskind eingeworben wurde, dass er das dann macht. Das sind ja Fakten. Fakten wird man ja doch noch sagen können."

Auf dem Weg zum Präsidentenbüro kommt man an Protestplakaten der Studierenden vorbei.
"Vorsicht undemokratischer Sektor! Demokratie, Gesellschaft, Verantwortung wird outgesourct", ist da zu lesen oder "Armut kommt, Sozialpädagogik geht", heißt es in Anspielung an die neuesten Pläne des Präsidiums, Fachbereiche zu schließen oder auslaufen zu lassen, um damit Geld für neue Schwerpunkte zu haben. Die Studierenden stoßen sich daran, dass zig Millionen für den Libeskind-Bau ausgegeben werden sollen, bei ihrer Ausbildung aber gespart wird. Präsident Spoun wertet den Protest als Zeichen, dass es engagierte junge Menschen an der Universität gebe, wie er sagt.

Die Germanistik-Professorin Christine Garbe ist von einer Befürworterin des Hochschulpräsidenten auch zu einer Kritikerin geworden. Vor zwei Jahren habe sie sich noch dafür eingesetzt, den Reformer Sascha Spoun an die Uni Lüneburg zu berufen. Die Neuausrichtung mit dem Leuphana Bacchelor hält sie für eine große Chance. Doch mittlerweile befürchtet die engagierte Wissenschaftlerin, dass die Uni sich mit dem Libeskind-Bau finanziell überheben und damit alle Zukunftschancen verbauen könnte.

"Es hat nicht einmal eine Senatsentscheidung gegeben in dieser Angelegenheit, es hat noch keinerlei Stiftungsratsentscheidung gegeben, aber es wird überall so getan, als sei alles längst entschieden und abgenickt. Und ich habe große Sorge, dass hier ständig Fakten geschaffen werden, die nachher nicht mehr rückgängig zu machen sind. Hier werden ganz elementar demokratische Spielregeln außer Kraft gesetzt und das beunruhigt mich extrem."

Professor Karlheinz Wöhler flüchtet sich in Zynismus, um die Zustände im Lüneburger Senat zu beschreiben.

"Dem jetzigen Präsidenten kann man nun vorwerfen, was man will. Er sucht immer wieder wie er es nennt, den Dialog. Wir sind auch angehört worden zum Leuphana-Label. Wir sind eingeladen worden, wir haben unsere Argumente vorgebracht, aber natürlich kam das Label ran, was vorher schon vorgesehen war. Solche Kommunikation haben wir sehr oft."

Präsident Spoun kann die ganze Aufregung nicht verstehen, wie er sagt. Aus seiner Sicht gibt es keine Defizite, was die Mitbestimmung in den Gremien angehe.
Natürlich sei durch die Reformschritte vieles an der Universität im Fluss. Er lege aber großen Wert auf einen Diskurs mit allen Beteiligten.

"Die gesamte Veränderung ist eine, die ja von den gesamten Gremien der Universität gemeinsam erarbeitet und getragen wurde. An vielen Punkten mit ganz großen Mehrheiten. Wir haben rund 30 Senatssitzungen in den letzten zwei Jahren gehabt und alle wesentlichen Punkte dort sind in großer Ausführlichkeit diskutiert, in der Regel zwei Lesungen und mit großen Mehrheiten beschlossen."

Weil sich auch die Studierenden vom Präsidium ausgebremst und schlecht informiert fühlen, halten sie jetzt fast täglich eine Mahnwache ab. Damit wollen sie auch ihren Protest gegen die schlechten Studienbedingungen, die drohenden Schließungen und das Festhalten an dem Prestigeprojekt des Libeskind-Baus ausdrücken.

"Die Uni Lüneburg sieht große Veränderungen vor. Aber was geschieht hier und warum geschieht es. Wir haben ein Recht darauf, alle. Wir alle haben ein Recht darauf, unsere Fragen konkret beantwortet zu bekommen."

Weil sie immer mehr Angst hätten, ob sie ihr Studium in Lüneburg noch zu Ende führen könnten und weil sie wiederholt mit ihren Fragen vertröstet würden, hätten die Studierenden nun zu härteren Maßnahmen gegriffen, sagt Daniela Steinert, die studentische Vertreterin im Senat.

"Am 11. Juni sollen bereits erste Entscheidungen fallen im Senat, das ist den Studierenden zu früh, das geht so nicht, die Studierenden sind absolut aufgebracht."

Eine bessere Lehre statt teurer Protzbauten lautet ihre Forderung. Das unterstützt auch Professorin Christine Garbe.

"Meine größte Sorge ist in der Tat der Libeskind-Bau, mein starkes Unbehagen betrifft die Art und Weise der Beteiligung an Entscheidungsprozessen im Hause und meine dritte große Sorge ist, dass die ganzen Prozesse der Neuausrichtung nicht sorgfältig und solide genug inhaltlich abgearbeitet werden. Denn alles was jetzt so euphorisch kommuniziert wird, wir haben einen großen Preis erhalten für ein tolles Konzept, das ist ja, muss man mal ganz nüchtern sehen, nur der Preis für ein Konzept und nicht Preis für die Praxis. Und im Moment gibt es noch eine sehr große Diskrepanz zwischen dem Konzept und der Praxis. Wenn es uns nicht gelingt, das in eine gute Praxis zu überführen, dann nutzt uns auch das beste Konzept nichts."