Muss denn Liebe Sünde sein?

Von Uwe Bork · 15.09.2009
Vielleicht wird man sich die Namen Mary Glasspool und John Kirkley merken müssen. Dabei haben beide nichts wirklich Außergewöhnliches an sich. Selbst, dass Ms. Glasspool sich als lesbisch geoutet hat und Mr. Kirkley offen seine Liebe zum eigenen Geschlecht lebt, dürfte zumindest hierzulande keine Nachricht mehr wert sein.
Was sie dennoch besonders macht: Die beiden Homosexuellen wurden von der amerikanischen Episkopalkirche jüngst für die Wahl ins Bischofsamt vorgeschlagen. Und seitdem scheint die weltweite Christenheit vom Wunsch ihres Herrn, dass alle eins seien, weiter entfernt denn je: Das Votum der liberalen Episkopalen könnte demnächst zur Spaltung der Anglikanischen Kirche führen, der sie angehören.

Auch in deutschen Landeskirchen und Diözesen schlägt der Streit um biblisch erlaubten oder verbotenen Sex hohe Wellen. Während vor dem einen Altar gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften gesegnet werden, betet man im anderen Kirchenschiff lieber für die Heilung der Schwulen und Lesben von ihrer lasterhaften Krankheit.

Nach Ansicht der zumindest nach eigener Auffassung besonders bibeltreuen Christen regiert der hohe Herr im Himmel bis in die irdischen Betten hinein. Sein Wort ist klar und unerbittlich: "Wenn ein Mann mit einem anderen Mann geschlechtlich verkehrt, haben sich beide auf abscheuliche Weise vergangen. Sie müssen getötet werden." Das dritte Buch Mose kennt da kein Pardon.

Auch der Apostel Paulus geriert sich als Hardliner. In seinem um das Jahr 54 geschriebenen Brief an die Korinther findet sich jene Passage, mit der er nur zu gern zum Kronzeugen für die biblische Verdammung gleichgeschlechtlicher Verhältnisse gemacht wird. Zornig legt er darin gegen Homosexuelle los, die er mit Verbrechern und Missetätern gleichsetzt und denen er jede Chance abspricht, einmal ins Himmelreich zu kommen: "Täuscht euch nicht: Weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch Strichjungen, keine Knabenschänder, Diebe, Habgierige, Trinker, Lästerer oder Räuber werden in Gottes neue Welt gelangen!"

Basta! Gegenüber dieser paulinischen Prophezeiung erscheint jede Relativierung unmöglich. Ein abwiegelndes "Er wird es schon nicht so gemeint haben!" verbietet sich angesichts der Heftigkeit des Bannfluchs von selbst. Entweder man versteht ihn und die ganze Bibel als einen quasi neben der Geschichte stehenden Text - oder man begreift die Paulus-Position aus ihrer Zeit und Kultur heraus.

In der Tat: Nähmen gläubige Christen die Bibel heute nicht nur ernst, sondern wörtlich, könnten strenge Familienväter unter Berufung auf das zweite Buch Mose ihre aufsässigen Töchter immer noch in die Sklaverei verkaufen. Unserer Textilindustrie ginge es schlecht, erlässt doch das fünfte Buch Mose nicht nur einen Bann gegen alle Mischgewebe: "Du darfst keine Kleider tragen, deren Stoff aus Wolle und Leinen gemischt ist!", sondern verfügt auch ein weitgehendes Verbot von Jeans: "Eine Frau darf keine Männerkleidung tragen!"

Im Ernst: Nur wer die Bibel nicht wörtlich versteht, versteht sie richtig. Auch in der Frage der Homosexualität kommt es darauf an, sie als Produkt einer stets ganz konkreten historischen Situation zu erfassen. Auf dieser Basis ist sie dann auszulegen und sind ihre Inhalte zu diskutieren. Dieser Diskurs mag manchmal schmerzhaft sein, er ist unverzichtbar. Unterbleibt er, führt der Weg der Kirchen nicht zum Heil, sondern direkt in einen fatalen Fundamentalismus.

Bliebe zum Abschluss nur noch die klassische Frage des Theologen Martin Niemöller: "Was würde Jesus dazu sagen?"

Vermutlich würde er zur Toleranz gegenüber Schwulen und Lesben aufrufen, denn in keinem der vier Evangelien äußert er sich überhaupt zu diesem Thema. Und das kann eigentlich nur bedeuten: Entweder gab es keine Homosexuellen in Israel – eine eher unwahrscheinliche Annahme – oder für Jesus war das Thema Homosexualität schlicht nicht wichtig genug, um sich darüber auszulassen.

Vielleicht gäbe es ja auch für die Kirchen heute viel wichtigere Probleme als ausgerechnet die Frage, wer denn mit wem wann und wo ins Bett geht.

Uwe Bork, Journalist, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Sozialwissenschaften. Nach dem Studium arbeitete Bork zunächst als freier Journalist für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und ARD-Anstalten. Seit 1998 leitet er die Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des Südwestrundfunks in Stuttgart. Für seine Arbeiten wurde er unter anderem mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Bork ist außerdem Autor mehrerer Bücher.