Muslimischer Video-Blogger Aymann Ismail

Kampf gegen Vorurteile

Porträt des Videobloggers Aymann Ismail.
Auf einen Apple Pie mit Aymann Ismail: Der Videojournalist erzählt in seinen Filmen, was es heißt, als Muslim in Amerika zu leben. © Klaus Martin Höfer
Von Klaus Martin Höfer · 10.02.2019
"Wer hat Angst vor Aymann Ismail?“ Das fragt der Reporter eines amerikanischen Online-Magazins. Denn Ismail ist Muslim und trifft immer wieder auf Vorurteile, Nichtwissen und Angst. Mit seinen Sendungen möchte er über den Islam aufklären.
Die Fulton Street verläuft quer durch den New Yorker Stadtteil Brooklyn. Es ist eine belebte Einkaufsstraße mit Restaurants, Fast-Food-Läden, kleinen Geschäften. An der Kreuzung zur Bedford Avenue steht eine Moschee. Um die Ecke werden Koffer verkauft, ein Haus weiter bietet eine Bäckerei Törtchen und anderes Gebäck an.

Die Botschaft des Bohnentörtchens

Mit einem Tretroller bahnt sich Aymann Ismail den Weg durch den dichten Straßenverkehr. In der Bäckerei begrüßt er den Besitzer, Idris Conry.
Ismail: "So good to see you again. How's business? How's Everything?"
Aymann Ismail ist Mitte 30, Sohn ägyptischer Einwanderer. Er arbeitet als Videojournalist für das linksliberale Internet-Magazin Slate. Vor einiger Zeit hat er hier in der Bäckerei ein Video gedreht. Es ging um muslimische Identität, und zwar kurioserweise am Beispiel eines Bohnen-Törtchens.
Ismail: "Wir genießen gerade ein Bohnentörtchen hier in Abus Bäckerei. Ich habe eine Folge über die Geschichte des Islams in Amerika gedreht. Dabei dienten uns die Bohnentörtchen als Aufhänger, denn sie sind Zeugnisse dieser Geschichte."
Historiker sagen, die Törtchen seien für die schwarzen Muslime in den USA so etwas wie der traditionelle "Apple Pie" für die weißen Amerikaner, also etwas typisch Amerikanisches.

Beim Reden über Muslime fehlen die Nuancen

Muslimische Identität in den USA, das ist Aymann Ismails großes Thema, journalistisch und persönlich. Die Initialzündung für diese Beschäftigung war der Irak-Krieg. Aymann Ismail schaute die Nachrichten, in denen es immer wieder auch um den Islam ging. Er selbst fand sich in der Berichterstattung nicht wieder.
Ismail: "Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass meine Identität in den Nachrichten sehr lange eine sehr große Rolle spielen würde, und dass Journalisten in den USA üblicherweise nicht die Fähigkeiten besitzen, über die komplizierten Nuancen zu sprechen, wenn es darum geht, was es bedeutet, ein Muslim in Amerika oder in der Welt zu sein.
Ich habe mich dann dafür entschieden, mich nicht auf andere Journalisten zu verlassen, sondern selbst Journalist zu werden, um meine eigene Geschichte zu erzählen und auch solche, die bedeutsam sind für meine kulturelle und religiöse Identität."

Angst vor Radikalisierung oder Terrorismus

Ismail: "Üblicherweise geht es darum, alle die Gründe offen zu legen, warum ich denke oder annehme, dass Menschen Angst vor Muslimen haben. Die Art und Weise, wie wir uns anziehen, es kann um Radikalisierung gehen, oder um die Angst vor dem IS und hausgemachtem Terrorismus hier in den USA. Es geht um Angst vor Homophobie, wie man sie im Nahen Osten findet. Ich liste also alle Gründe auf, warum Menschen Angst vor mir haben könnten."
Für die einzelnen Videos sucht er den persönlichen Kontakt mit Muslimen und mit Leuten, die Muslime kritisieren. Dafür reist er quer durchs Land auf der Suche nach Menschen und Begebenheiten – und verpackt seine Fragen und die Antworten seiner Gesprächspartner in kurzweilige Videos.
Ismail: "Mein Name is Aymann Ismail. Als Muslim aufzuwachsen bedeutet, damit aufzuwachsen, dass Menschen einen fürchten. Daher reise ich durch das Land, um herauszufinden, ob es wirklich einen Grund gibt, vor amerikanischen Muslimen Angst zu haben."

Halbwissen und Hörensagen

Immer wieder erfährt er dabei, dass seine Gesprächspartner Vorstellungen über den Islam und über Muslime haben, bei denen sie etwas gelesen, gesehen oder gehört haben, aber nie direkt mit Muslimen in Kontakt standen. Und dass er sich dann dafür rechtfertigen muss. Zum Beispiel bei der Landesversammlung der Republikanischen Partei.
Ismail: "Jemand machte mich als Muslim aus, ohne vorher mit mir gesprochen zu haben, und er fing sofort an, mich zu meinen Vorstellungen zu befragen. Dabei projizierte er seine schlimmsten Ängste über den Islam auf mich. Die Unterhaltung begann und endete damit, dass er sagte: ‚Euer Prophet ist ein Pädophiler.‘ Sie wissen schon, das sind Anschuldigungen, die Muslime üblicherweise nicht glauben, aber auf die sie ständig reagieren müssen."
Aymann Ismails Eltern kamen unabhängig voneinander aus Ägypten in die USA, lernen sich dort kennen, heirateten und zogen drei Kinder groß. Es sei ein konservatives Elternhaus gewesen, sagt Aymann Ismail, das ihn geprägt habe. Bei seinen Reportagen wird es auch schon mal sehr persönlich, besonders dann, wenn er in der eigenen Familie recherchiert.

Meinungsvielfalt in der eigenen Familie

"Wenn ich die verschiedenen Perspektiven zu Ehe und zur Rolle von Mann und Frau verstehen will, dann muss ich mich gar nicht außerhalb meiner Familie bewegen. Ich habe meine eigene Frau interviewt, meinen Bruder und seine Frau, meine Mutter und meinen Vater. Jeder hatte seine eigenen Vorstellungen, welche Rolle der Mann als Muslim und die Frau im Islam haben. Wir lesen alle dieselben Texte, aber wir interpretieren sie unterschiedlich. Und das spiegelt sich in unseren Ehen, unseren Persönlichkeiten."
Diese Vielfalt im Islam, die Vielfalt innerhalb einer islamischen Familie – es sind diese Nuancen, die er woanders vermisst. Aymann Ismail wirkt sehr idealistisch und überzeugt, dass mehr Wissen über den Islam, darüber, wie Muslime leben, und auch mehr Kommunikation Ängste abbaut und zu mehr Toleranz führt.
In der Bäckerei von Idris Conry kaufen viele Muslime ein, schließlich liegt eine Moschee direkt um die Ecke. Doch es ist multikulturell, das Publikum ist gemischt. Idris' Sohn Muhammad kann nicht nachvollziehen, dass jemanden vor Muslimen Angst hat.

Weder Sündenbock noch Opfer

"Angst? Vor mir? Ich wüsste nicht warum. Sehen Sie, in Amerika ist der Muslim gerade der große böse Junge. Wir sind der Sündenbock für alles."
Sündenbock oder Opfer sein, das will Aymann Ismail nicht. Dafür ist er viel zu selbstbewusst, sieht sich nicht aus Außenseiter, sondern mittendrin in der US-amerikanischen Gesellschaft.
Ismail: "In meinen Videos versuche ich nicht, die amerikanische Identität oder die muslimischen Identität zu hinterfragen. Ich versuche, Hoffnung und Fehler in beiden zu finden."
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