Muslimisch inspirierte Farmen

Spiritueller Ökolandbau in Spanien

09:17 Minuten
Von einem Dach aus geht der Blick über grün bewaldete Hügel.
Grüne Hügel: Von der Terrasse aus reicht der Blick weit über die Ländereien der Farm Azahara. © Deutschlandradio / Julia Ley
Von Julia Ley · 27.02.2022
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Jahrhundertelang stand der Süden Spaniens unter muslimischer Herrschaft. Das revolutionierte nicht nur die Architektur, sondern auch die Landwirtschaft. Muslimische Umweltschützer wollen diese Tradition jetzt wiederbeleben.
Al-Andalus: Der arabische Begriff für das über sieben Jahrhunderte muslimisch regierte Südspanien ist zu einem Synonym für die intellektuelle und künstlerische Blütezeit des Islam geworden. Architektonische Hochleistungen wie die Alhambra in Granada oder die Mezquita-Catedral in Córdoba erinnern noch heute an diese Periode relativer religiöser Toleranz.
Was viele jedoch nicht wissen, ist, dass diese Hochzeit nicht nur herausragende Künstler, Bauherren und Philosophen hervorbrachte, – sondern auch die Landwirtschaft der iberischen Halbinsel revolutionierte.

Mehr als Eichelbrot und Wurzeln

"Wir sprechen heute über Filaha, das ist ein arabisches Wort für Landwirtschaft", erzählt Hazim Azghari. "Und wir sind an einem ziemlich besonderen Ort, um über Filaha im 21. Jahrhundert zu sprechen. Wir sind in Spanien, genauer gesagt: in Andalusien – und zwar in den Bergen der Alpujarras oder al-Busharat."
Blick von einem Aussichtspunkt in Granada aus auf die Alhambra.
Rote Festung: Die mittelalterliche Stadtburg Alhambra in Granada ist ein Zeugnis der islamischen Blütezeit in Andalusien.© Deutschlandradio / Julia Ley
Es ist ein warmer Herbsttag, an dem Hazim Azghari eine Gruppe von knapp zehn Interessierten quer über die Ländereien von Azahara führt. Azahara, das ist eine muslimische Öko-Farm, eine Stunde südöstlich von Granada gelegen. Azghari ist Doktorand und lebt eigentlich im englischen Oxford, wo er dazu forscht, wie die Muslime in al-Andalus Landwirtschaft betrieben, darüber gedacht, geschrieben und gesprochen haben. Er verbringt die Sommerwochen vor Ort in Andalusien, um Feldforschung zu betreiben. Und um gelegentlich Vorträge zu halten.
"Wir sprechen über Filaha nicht als 'muslimische' Landwirtschaft, sondern eher als muslimisch-inspirierte Landwirtschaft", erklärt Azghari. "Es als muslimische Landwirtschaft zu bezeichnen, würde etwas weit führen."
Man wisse wenig darüber, wie sich die christlichen Westgoten ernährten, die damals auf der iberischen Halbinsel lebten, sagt Azghari. Aber wahrscheinlich war es eine einfache Diät: Sie sammelten Eicheln, machten Mehl für Brot daraus und fütterten ihre Schweine damit. Neben dem Fleisch gab es Kräuter und Wurzelgemüse.*

Wassertanks für kleine Ländereien

Das änderte sich allmählich, als die muslimischen Araber die Halbinsel eroberten. Aus dem Nahen Osten brachten sie mit, was sie von Persern und Römern dort übernommen hatten: exotische Pflanzen und Obstsorten, Ackerbautechniken und Bewässerungssysteme. Und sie entwickelten die Systeme weiter, die sie vor Ort vorfanden.
"Die Römer hatten schon sehr ausgeklügelte Wasserleitungen und acequias entwickelt", sagt Hazim Asghari. "Aber die waren eher für die großen Ländereien gedacht, für Großgrundbesitzer, Menschen, die sich Wasserrechte leisten konnten. Der Großteil der Bevölkerung hatte keinen Zugang dazu."
Eine vierköpfige Gruppe steht auf einem von Bäumen umgebenen Platz und hört einem Vortragenden in traditionell muslimischer Kleidung zu.
Wiederentdeckung traditioneller Landwirtschaft: Hazim Azghari führt eine Gruppe über die Farm von Azahara.© Deutschlandradio / Julia Ley
Wie groß der Einfluss der muslimischen Araber auf die Landwirtschaft der iberischen Halbinsel war, zeigt sich bis heute in der Sprache. Viele der spanischen Bezeichnungen für die Bestandteile von Bewässerungssystemen gehen auf das Arabische zurück. Das spanische Wort für Wasserleitung etwa, acequia, kommt vom Arabischen as-sāqiya.
Unser Tourguide führt uns auf eine Anhöhe. Darauf befindet sich ein großer runder Wassertank aus Stein. Das Becken erinnert ein bisschen an einen Swimmingpool. Die Andalusier nennen diese Wassertanks bis heute tatsächlich alberca – von Arabisch al-birkeh, zu Deutsch: Wasserbecken.

Soziale Gerechtigkeit nach Art der Stammeskultur

Die große Veränderung, die mit den Muslimen ins Land kam, sei jedoch nicht die Technologie selbst gewesen, sondern eher die soziale Revolution, die damit einherging, erklärt Azghari:
"Als die Muslime hier ankamen, wurden die Ländereien kleiner, die Menschen begannen eher kleine Stücke Land zu besitzen. Und ich denke – weil viele von ihnen nordafrikanische Wurzeln hatten und sehr von Stammesdenken geprägt waren –, dass sie deswegen auch das Wasser auf die Art und Weise verteilt haben, wie man es im Stamm gemacht hat. Es musste fair sein."
Ein Mann führt einen mit Zweigen bepackten Esel durch einen Olivenhain.
Früchte der Sonne Andalusiens: Farm-Esel Zamzam bei der Arbeit.© Deutschlandradio / Julia Ley
Wer Boden besaß, konnte also Anspruch auf Wasser anmelden, je nach Größe mehr oder weniger. Denn Wasser war eine Art öffentliches Gut. "Land konnte zu Privatbesitz erklärt werden nach islamischem Recht, aber Wasser gehört niemandem", sagt Azghari.

Unabhängig von den Launen der Natur

Das Aushandeln von Wasserrechten hatte noch einen anderen Vorteil: Die Menschen waren so weniger von den Launen der Natur abhängig, mussten nicht auf Regen warten. Und erst ihre komplexen Bewässerungssysteme erlaubten es den Muslimen, etwa Orangen und Auberginen auch in Europa anzubauen. Denn mit viel Wasser und der kräftigen spanischen Sonne ließ sich das nordafrikanische und nahöstliche Klima nachempfinden.
"Man könnte Filaha im Scherz auch als eine Methode bezeichnen, die es den orientalischen Muslimen und Nordafrikanern erlaubte, in Europa eine Landschaft nachzuempfinden, mit der sie weiter so essen konnten, wie sie es von zu Hause gewohnt waren", sagt Azghari.
Auf dem Land, über das Hazim Azghari uns führt, knüpfen Muslime noch heute an diese Tradition an: Fatima Joanna Redstone, eine britische Konvertitin, hat das Landhaus mit umliegenden Ländereien im Jahr 2018 gekauft, um hier – so steht es auf der Webseite – die "spirituelle Ökologie Andalusiens" wiederzubeleben. Für Redstone war das auch ein Weg, sich einen persönlichen Traum zu erfüllen.

Spanische Hippies und muslimische Mystiker

"Ich glaube, ich war damals gerade konvertiert", erinnert sich Redstone. "Ich wollte unbedingt Muslime um mich herum haben, und in England habe ich keine muslimische Gemeinschaft gefunden, die auf dem Land lebte. In England leben die meisten Muslime in Städten. Ich hatte mich schon davor für Permakultur interessiert, ich habe das mit großer Leidenschaft verfolgt und wollte, dass meine Kinder draußen aufwachsen, nicht drinnen im Haus."
Fündig wurde sie hier, in Órgiva, einer kleinen Stadt in der Nähe von Granada, wo sich in den vergangenen Jahrzehnten eine wilde Mischung aus spanischen Hippies und muslimischen Mystikern angesiedelt hat – darunter viele Intellektuelle, Künstler und Umweltschützer.
Auch Hazim Azghari, der ursprünglich aus Marokko stammt, gehört zu denen, die sich intensiv mit der Permakultur-Bewegung befasst haben – und nun einen Weg suchen, diese Art des nachhaltigen Landwirtschaftens, im Einklang mit der Natur, aus ihrer eigenen religiösen Tradition heraus zu leben. Allerdings: Nicht alles, was die Muslime Andalusiens praktizierten, würde heute noch als "nachhaltig" durchgehen.

Landwirtschaft mit göttlichem Auftrag

Azghari deutet mit der Hand in Richtung der Hügel, die die Farm umgeben. Überall ist der traditionelle Terrassenbau zu sehen. Auch das praktizierten schon die Muslime: Sie fällten Bäume und ebneten gerade Flächen, um auf den Hängen der Alpujarras Obst und Gemüse anbauen zu können, sagt Azgahri:
"Sie verstanden Filaha, das heißt, die Erde zu kultivieren, als etwas Gutes. Heute würden wir das wohl 'Umweltzerstörung' oder 'Abholzung' nennen, aber diese Kategorien sind sehr modern."
Die Natur als etwas Schützenswertes, das gab es damals noch nicht, sie war vor allem Wildnis, sagt Azghari, ein Ort, an dem Gefahren lauerten: "Das heißt, jede Art von Beziehung zur Umwelt war gut. Denn Menschen wurden als Sachwalter Gottes auf Erden gesehen. Das heißt, sie machen aus der Umwelt Dinge, die per definitionem gut sind – denn das ist es, was Gott von uns will. Filaha, Landwirtschaft, wurde als beste aller Tätigkeiten gelobt."

Ein Stall wird zur Öko-Moschee

Produktiv und respektvoll mit der Natur umgehen, das versuchen auch die muslimischen Öko-Aktivisten und -Aktivistinnen rund um Fatima Joanna Redstone, die jetzt in Azahara leben. Sie haben die alten Obstbäume vom Überwuchs befreit, einen Stall in eine Öko-Moschee umgebaut, Olivenhaine angelegt, alte Bewässerungssysteme repariert und die alten Landhäuser liebevoll renoviert.
Ihr Traum sei eine Gemeinschaft, in der Muslime aus der ganzen Welt verloren gegangenes Wissen wiederbeleben könnten, sagt Redstone. Und die gerade dadurch das alte Andalusien wieder aufleben lassen:
„Der Geist Andalusiens, das ist für mich Dialog: Gedankenaustausch, sich zu öffnen, offen zu sein für Ideen, dafür, Neues zu lernen.“
*Wir haben ein Nahrungsmittel korrigiert.

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