Muslime in Deutschland - bitte kein “Generalverdacht“

Von Klaus Bölling |
Der dem Deutschlandradio Kultur und dem Deutschlandfunk geneigte Hörer hat im Stau der Hauptstadt versehentlich die falsche Taste gedrückt und vernimmt jetzt in einem liebevoll dem Multikulti-Ideal verpflichteten Sender eine weibliche Stimme. Hoch emotional beklagt dort eine junge Frau mit "Migrationshintergrund", so heißt es doch politisch korrekt, dass die Muslime in Deutschland immer wieder unter "Generalverdacht" gestellt werden.
Ich höre zu, wenige Tage nach der Festnahme von drei Männern im Sauerland, die mutmaßlich einen in der Konsequenz womöglich fürchterlichen Sprengstoffanschlag geplant haben. Man spürt, die Frau meint ernst, was sie da ins Mikrofon sagt, in großer Erregung. "Generalverdacht" - das ist kein schönes Wort, es ist ein aggressives Wort‚ und wenn man es zerlegt, ist es zunächst ein unbewiesener‚ sehr allgemeiner Verdacht, der immer wieder auch völlig schuldlose Menschen treffen kann.

Zwei der Verdächtigen sind junge Männer, die zum Islam konvertierten, wohlgemerkt ohne "Migrationshintergrund". Und prompt redet ein Politiker davon, nun müsse ein "Konvertiten-Register" angelegt werden. Das hat der Politiker aber gar nicht gesagt. Ein Redakteur, ob nur schusselig oder mutwillig, hat es ihm angehängt. Erledigt! Der Abgeordnete Wolfgang Bosbach ist kein Rassist. Er hat nur darauf hingewiesen, dass solche Konvertiten, die bereits als Sympathisanten der "Gotteskrieger" aufgefallen sind, die womöglich auch schon diskrete Helfersdienste geleistet haben, von den Sicherheitsbehörden schärfer ins Visier genommen werden müssten. Das ist doch selbstverständlich. Wir sind kein Nachtwächterstaat.

Die junge Frau, die ihre Glaubensgemeinschaft diskriminiert meint, hat etwas Richtiges beobachtet. Viele und immer mehr Deutsche sorgen sich, dass Schreckenstaten, begangen von islamistischen Fundamentalisten wie in Madrid oder London auch hierzulande verübt werden könnten. Deshalb sind sie nicht hysterisch. Sie wissen, dass es zur Integration einiger Millionen dem Koran anhängenden Mitbürger eine Alternative ja nicht gibt. Mitbürger? Das sollen sie werden und manche sind es schon. Andere, es gibt deren aber noch viele, sind, wie die Phrase heißt, noch nicht in unserer Gesellschaft "angekommen". Sie tragen einen deutschen Pass in der Tasche, sie haben, wie Müller und Meier, alle Rechte, die das Grundgesetz ihnen garantiert. Wie steht es aber mit den Pflichten?

Brigitte Zypries, die Justizministerin, hat die vielen islamischen Verbände gemahnt, an der Abwehr oder an der Aufklärung von Aktivitäten der sogenannten "Heiligen Krieger" mitzuwirken. Frau Zypries möchte den Muslimen plausibel machen, dass die Zusammenarbeit mit den für den Schutz aller Bürger in deren eigenem Interesse ist. Diese Einsicht, so berichten die für unsere Sicherheit zuständigen Behörden, ist sehr gering, eher bei null. Wir haben es mit dem Phänomen der "schweigenden Mehrheit" zu tun. Die ehrbaren und gesetzestreuen Muslime wollen mit dem Terror nichts zu tun haben. Aber auch nicht mit der Polizei, die doch auch zu ihrem Schutz da ist.

Glaubensbrüder, die unsere Gesetze missachten, will man nicht denunzieren, auch aus Angst vor Repressalien. Denunziation? Das ist abwegig. Es geht um eine staatsbürgerliche Pflicht. Wenn sich Muslime jetzt gegen einen "Generalverdacht" wehren, dann müssen ihre Funktionäre nicht bloß verbal dem fatalen Irrtum entgegentreten, dass ein guter Muslim nicht mit dem Staat der "Ungläubigen" kooperieren darf. Sonst kann es nicht verwundern, wenn die Mehrheitsgesellschaft die Muslime in Bausch und Bogen unter den "Generalverdacht" eines "Schweigekartells" stellt.

Geschwiegen, ein trauriges Beispiel, hat die muslimische Gemeinschaft zu den Anfeindungen der deutsch-türkischen Rechtsanwältin Seyran Ates, die mutig ihre Stimme gegen reaktionäre, frauenfeindliche Islamisten erhoben hat. Es ist grotesk, dass die Juristin, wie man hört, heute noch durch die Polizei vor anonymen Fanatikern geschützt werden muss, von denen einer Frau Ates vor 20 Jahren umzubringen versuchte. Die Juristin will demnächst ein Buch mit dem Titel "Der Muitikulti-Irrtum" veröffentlichen. Haben die Muslime überhaupt gehört, was die Justizministerin gesagt hat? Ungewiss. Und, sollten sie Frau Zypries gehört haben, werden sie auch auf sie hören? Zweifel sind geboten.


Klaus Bölling, geboren 1928 in Potsdam, arbeitete für Presse und Fernsehen, war unter anderem NDR-Chefredakteur, Moderator des "Weltspiegel", USA-Korrespondent und Intendant von Radio Bremen. 1974 wurde er unter Helmut Schmidt zum Chef des Bundespresseamts berufen, 1981 übernahm er die Leitung der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen "Die letzten 30 Tage des Kanzlers Helmut Schmidt", "Die fernen Nachbarn - Erfahrungen in der DDR" und "Bonn von außen betrachtet".