Muslime in Australien

Zwischen Bikini, Bombe und Burka

Von Andreas Stummer · 13.01.2015
Das Grauen und seine Fortsetzung: Mitte Dezember der Anschlag von Sydney, bei dem nach 16-stündiger Geiselnahme zwei Menschen sterben, am vergangenen Mittwoch der Anschlag von Paris, bei dem 17 Menschen sterben. Was verbindet diese Dramen in Paris und Sydney?
Es häufen sich die Anschläge mit dschihadistischer Begründung, bei denen die Grenze zwischen Terrorismus und Amoklauf zu verschwimmen scheint. Als ein Exiliraner mit Sympathien für die Terrormiliz Islamischer Staat am 15. Dezember in Sydney ein Café überfiel und 17 Geiseln stundenlang festsetzte, hielt ganz Australien den Atem an.
Die Polizei stürmte das Gebäude. Zwei Geiseln und der Täter kamen ums Leben. Jeder war überrascht – vor allem die australischen Sicherheitsbehörden. Sie haben seit langer Zeit ein Auge auf extreme Muslime in Australien.
Für Mike ist es wieder das alte Lied. Der Straßenmusikant und sein aufgeklappter Gitarrenkoffer gehörten zu Sydneys Martin Place wie die unterirdische S-Bahnhaltestelle oder der Springbrunnen vor der Zentralbank. Bis zum Morgen des 16. Dezembers, bis zur Geiselnahme im Lindt-Café.
Mike stand direkt gegenüber als er von der Polizei evakuiert wurde, auf seinem Stammplatz vor den gläsernen Channel-7-Fernsehstudios. 24 Stunden wartete er hinter der Polizeiabsperrung bis er wieder zurückkonnte. Mike dachte im Traum nicht daran, woanders hinzugehen, die City ist sein Zuhause.
Lieferanten liefern und Touristen bummeln wieder, die Restaurants sind voll, Banker mit Schlips und Capuccinos in Pappbechern lästern in der Mittagssonne über die Börsenkurse. "Der Martin Place ist wieder da", steht im Schaufenster einer Blumenhandlung.
Nach der Geiselnahme war der Platz im Stadtzentrum zwei Wochen lang das schwere Herz Sydneys, Trauer- und Gedenkstätte. Mehr als 100.000 Sträuße und Beileidskarten wurden dort für die beiden Todesopfer niedergelegt. Das Blumenmeer ist inzwischen weggeräumt, der Unglauben und die Anteilnahme der Sydneysider aber - die sind noch immer da.
Vicki Dean: "Die Geiselnahme war ein Schock für uns alle. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass jemals so etwas in unserer Stadt passieren könnte. Die City ist wie unser zweites Zuhause."
Adrian Biddle: "Wir stehen hinter den Angehörigen der Opfer. Ganz Australien soll sehen, dass wir in Sydney hart im Nehmen sind. Wir lassen Mitbürger, die Familienmitglieder verloren haben, nicht im Stich."
"Unten bin ich Australierin, oben Muslim"
Vicki Dean und Adrian Biddle arbeiten in der Darlehensabteilung der Westpac Bank gleich um die Ecke vom Martin Place. Auf dem Weg ins Büro gehen sie an einem mit Betonklötzen beschwerten, acht Meter hohen Holzzaun vorbei. Dahinter, abgeschirmt mit beigen, blickdichten Planen, liegt das Lindt-Café, der Schauplatz der Geiselnahme.
Immer noch bleiben Passanten am Zaun stehen, machen Fotos oder legen einzelne Blumen nieder. Silma Shelly spricht dort fast jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit ein kurzes Gebet. Die junge Frau, die wie der Geiselnehmer in den Neunzigern aus dem Iran nach Australien kam, trägt Jeans und ein Kopftuch. "Unten bin ich Australierin, oben Muslimin", meint Silma. Der Geiselnehmer hätte beides durch den Schmutz gezogen: ihren Glauben und ihre Heimat.
Silma Shelly: "This is somebody who was very sick who did this. It's not an example of Muslims in Australia and people understand that."
Als Silma erfuhr, dass der Geiselnehmer ein radikaler Islamist war befürchtete sie Vergeltungsakte gegen Muslime - Pöbeleien, Gewalt oder Schmierereien auf Moscheen. Doch nichts passierte. Muslime und Nicht-Muslime in ganz Australien standen Seite an Seite.
Silma Shelly: "Dieser Mann war kein islamischer Geistlicher, er war ein selbsternannter Scharlatan, der nie in unseren Moscheen gesprochen hat. Was er getan hat, das hat er nicht im Namen unserer Prediger, unseres Glaubens oder der muslimischen Gemeinde getan. Und ich bin froh, dass die überwältigende Mehrheit der Australier das genauso sieht."
Am Tag nach der Geiselnahme konnte sich die ganze Welt davon, buchstäblich, ein Bild machen. Vor laufenden Fernsehkameras legte ein Muslimin in ihrer Burka am Martin Place Blumen nieder – von Kopf bis Fuß verhüllt. Hunderte Passanten applaudierten.
Nur Monate zuvor hatte man in Australien offen darüber diskutiert das Tragen der Burka im ganzen Land zu verbieten. In den Medien wird ein neuer Zusammenhalt gefeiert, aber nur 20 Autominuten von Sydneys Innenstadt entfernt ist, vor allem für junge Muslime, Harmonie weiter ein Fremdwort.
Unterwegs in Bankstown in Sydneys Westen. In "Klein-Mekka", wie die Anwohner das Viertel nennen, denn nirgendwo in Australien leben mehr Muslime. "Englisch ist hier eine Fremdsprache", brummt Khaled Alassadi in seinen Vollbart und zeigt aus dem Autofenster: Auf die Moschee, die Läden mit arabischen Schriftzeichen und Fußgänger in Kopftüchern und Kaftan.
Khaled ist 24 und arbeitslos, wie jeder vierte Muslim in Bankstown lebt er von Sozialhilfe. Und obwohl er in Australien geboren ist fühlt sich Khaled als Fremder in seinem eigenen Land.
Khaled Alassadi: "Jeder spricht darüber, warum wir Muslime uns in Australien nicht genauso in die übrige Gesellschaft einfügen wie andere Einwanderergruppen. Diese Leute haben keine Ahnung. Wir werden uns nie integrieren. Meine Treue gehört, wie die jeden guten Muslims, in erster Linie dem Islam."
Khaled ist kein Einzelfall. Australiens gut 400.000 Muslime sind eine junge Gemeinde. Mehr als die Hälfte ist unter 25 Jahre alt, im Land geboren und auch hier aufgewachsen. Trotzdem fühlen sich viele der Jugendlichen als Außenseiter, als ob sie zwischen Baum und Rinde sässen. Ihre Eltern sorgen dafür, dass sie die Moschee und Koran-Schulen besuchen.
Nach der Geiselnahme in einem Café in Sydney: Australiens Premierminister Tony Abbott und seine Frau Margaret legen Blumen nieder
Nach der Geiselnahme legten Premierminister Tony Abbott und seine Frau Margaret Blumen nieder © AFP / Peter Parks
Sie wohnen - wie in Bankstown - isoliert in Vierteln mit überwiegend muslimischer Bevölkerung. Ethnische Gangs werden die Ersatzfamilien der Frustrierten, Gewalt und Kleinkriminalität sind oft die ersten Schritte auf dem Weg in den Extremismus. Angestachelt von radikalen Haßpredigern.
Rede Prediger: "Even if a single bomb went off in this country, even if a thousand bombs went off in this country. All that proves is that the Muslims are angry and they have every reason to be angry ..."
Kundgebung vor dem "Al-Risallah"-Buchladen von Bankstown. Drinnen liegen die Hetz-DVDs radikal-muslimischer Gruppen, draußen protestieren etwa 50 Muslime gegen die verschärften Anti-Terrorgesetze der australischen Regierung.
Dagegen, dass es künftig Haftstrafen für jeden gibt, der extremes Gedankengut verbreitet, mit einer Terrororganisation sympathisiert oder versucht sich einer anzuschließen. Es gab Razzien und Festnahmen, die letzten nur Tage nach der Geiselnahme von Sydney. "Premier Tony Abbott", rufen die Demonstranten, hätte es nur auf Muslime abgesehen.
Etwas abseits der Kundgebung steht ein Mann mit kurzgeschorenem grauem Haar, gutgeschnittenem Anzug und einem tadellosen Ruf. Dr. Jamal Rifi gilt als die Stimme der Vernunft unter Australiens Muslimen. Er kam 1984 aus dem Libanon nach Sydney.
Seitdem bemüht sich der 66-Jährige darum Muslime, Anders- und Nichtgläubige näher zusammenzubringen. Doch mit mehr als 100 australischen Muslimen, die für die Terrormiliz Islamischer Staat in Syrien und im Irak kämpfen, ist Dr. Rifi's Job nur noch schwerer geworden.
Rifi: "Ich bin der Erste, der zugibt, dass es extremistische Elemente unter Australiens Muslimen gibt, die eine Bedrohung sind. Gleichzeitig gibt es aber auch rassistische Elemente in unserer Gesellschaft, die deshalb ihren Haß und ihre Vorurteile gegen alle Muslime richten. Sollten wir diesen beiden Gruppen je erlauben die Diskussion zu bestimmen, dann ist Australien verloren."
Dr. Rifi nimmt Australiens drakonische Anti-Terrorgesetze in Schutz. Die Behörden bräuchten Mittel und Wege, um gegen radikale Prediger vorgehen zu können.
Das Problem wären nicht die Geistlichen in australischen Moscheen, nicht die Koran-Schulen und auch nicht der Einfluß muslimischer Jugendzentren. Die größte Bedrohung durch die IS-Terrormiliz sei das Internet: Prediger Google und Imam YouTube.
IS-Propaganda-Video: "And to the leaders, to Obama, to Tony Abbott, I say these weapons that we have, these soldiers, they will not stop fighting until we put the black flag on top of the White House ..."
Das Video, das Dr. Rifi auf seinem iPad abspielt ist erschreckend. Es ist pure IS-Propaganda, ein Aufruf zu den Waffen, eine Drohung an den Westen, an US-Präsident Barack Obama und Australiens Premier Tony Abbott.
IS-Propaganda-Video: "We will not stop and we will keep fighting, we will fight you and we will defeat you ..."
"Australische Regierung muss begreifen, dass sie uns in Ruhe lassen soll"
Was aber noch erschreckender ist: Der milchgesichtige, rot-blonde IS-Kämpfer mit Arafat-Kopftuch, der mit einer Kalashnikov in der Hand direkt in die Kamera spricht, heißt Abdullah Elmir, ist 17 Jahre alt und kommt aus Bankstown.
Letztes Jahr von Zuhause ausgerissen ging er von Sydney über Malaysia und die Türkei nach Syrien. Dr. Rifi fürchtet, dass es ihm andere, ähnlich junge australische Muslime nachmachen könnten.
Rifi: "Die IS-Barbaren zielen mit ihren Rekrutierungskampagnen auf unsere jungen Leute und mißbrauchen dabei unsere friedliebende Religion als politisches Instrument. Wenn irgendjemand unseren Teenagern in den Kopf setzt hier in Australien Anschläge zu verüben, dann ist es nicht die Anti-Terrorgesetzgebung der Regierung, sondern die Propaganda des Islamischen Staates."
Zurück vor dem Al-Risallah-Buchladen in Bankstown. Die Reden sind vorbei, es wird marschiert. Dr. Rifi zeigt auf einen der Demonstranten, Junaid Farrall, einen schmächtigen 18-Jährigen, der – wie die anderen - mit geballter, erhobener Faust Pa-rolen ruft. Junaid trägt ein Schild auf dem steht: "Keine australischen Bomben auf IS - unsere Geduld hat Grenzen". Auf die Frage, was er damit meine, kommt eine Drohung: Dass bald etwas in Australien passieren könnte sollte die Regierung nicht die Luftangriffe auf IS-Stellungen im Irak und in Syrien einstellen.
Junaid Farral: "Die australische Regierung muss begreifen, dass sie uns Muslime in Ruhe lassen soll. Jedes Gesetz, jede politische Entscheidung wird sonst nach hinten losgehen. Denn wir Muslime fühlen uns von den Behörden verfolgt."
Nach der Geiselnahme von Sydney halten 85 Prozent der Australier einheimische Isla-misten für eine größere Bedrohung als Terroristen aus dem Ausland. Vor allem als Folge der Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan gibt es in Australien eine wach-sende, militante Islamistenszene, die vom Geheimdienst auf Schritt und Tritt beobachtet wird.
Doch die 16 Stunden Terror im Lindt-Café haben das multikulturelle Australien wachgerüttelt. "Toleranz allein ist nicht genug", glaubt der muslimische Sozialarbeiter Abbas Aly. Alle Australier müssten einander besser verstehen und besser kennen lernen. "Und wir Muslime", sagt Abbas, "sollten dabei den Anfang machen."
Abbas Aly: "Wir sind keine Terroristen, sondern ganz gewöhnliche Familienmenschen. Wir haben Kinder und wir kümmern uns um unsere Nachbarn. Ich bin Australier und ich bin ein Muslim. Und ich bin sehr stolz darauf beides zu sein."
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