Musizieren mit einem Genie

Von Verena Kemna · 29.06.2013
Der weltweit gefeierte Komponist Krzysztof Penderecki ist in Berlin. Im Vorfeld seines 80. Geburtstages führt er mit den Schülern des Musikgymnasiums Carl Philipp Emanuel Bach drei seiner Werke auf. Die Arbeit mit einem Komponisten - zumal einem derart bekannten - ist für die Schüler eine bereichernde Erfahrung.
In der großen Aula des Carl Philipp Emanuel Bach Gymnasiums rücken sich 20 Schülerinnen und Schüler auf roten und pinkfarbenen Stühlen zurecht. Alle Blicke richten sich auf einen alten Mann mit weißem Vollbart: Krzysztof Penderecki, 79 Jahre alt, Komponist und Legende der internationalen Avantgarde. Jahrelang hat sich das Musikgymnasium in Berlin um die Zusage des berühmten Polen bemüht. Nun ist es soweit. Die Schülerinnen und Schüler proben nach Anleitung des Meisters dessen Sinfonietta Nummer zwei. Abschied, so steht es in der aufgeschlagenen Partitur. Die Solistin an der Klarinette gibt den Ton an.

Alle, die hier Geige, Bratsche, Cello oder Kontrabass spielen, musizieren voller Leidenschaft. Die Aufnahmekriterien für das Berliner Musikgymnasium sind streng, der Unterricht durch Dozenten und Professoren der Berliner Musikhochschulen hat einen erstklassigen Ruf. Mindestens drei Stunden täglich üben, das ist selbstverständlich.

Wer den musikalischen Anforderungen nicht gerecht wird, muss die Schule verlassen. Asia Tsvetkova, 18 Jahre alt, lässt den polnischen Komponisten nicht aus den Augen. Neben ihr sitzt der gleichaltrige Rachid Mesbahi an der ersten Geige, auch er ist aufgeregt. Immer wieder unterbricht der Komponist den Fluss der Musik.

"Eins, zwei, drei, vier, das ist nicht ganz sauber, ein bisschen hoch, noch mal, ja gut! Nehmen wir zum Beispiel 22 …"

"Zu hoch, nicht so hektisch, wir sind nicht zusammen." Die Schüler setzen um, was Penderecki sagt. Der steht nicht am Pult und schwingt den Taktstock. Er sitzt gemütlich und ruhig auf einem Drehstuhl, mittendrin zwischen den Streichern. Der Kragen seines blauen Hemdes ist geöffnet, seine Hände lässt er sanft zur Musik fließen. Die Füße in den braunen Wildlederschuhen wippen im Takt. Rashid Mesbahi spielt die erste Geige, an einer schwierigen Stelle trifft er nicht auf Anhieb den richtigen Ton.

Mehr wienerisch, nicht so viel Schmalz! Penderecki lächelt dem jungen Geiger mit den dunklen Locken zu. Rashid versucht es wieder. Diesmal ist der Meister zufrieden. Nach etwa einer Stunde endet die Probe vor dem gemeinsamen Konzert.

Rashid verpackt seine Geige, setzt sich im Schulhof auf eine Bank. Die Töne der Sinfonie schwirren noch durch seinen Kopf. Ein Klangteppich, der sich erst bei genauem Zuhören erschließt. Klar, Rashid kennt sich mit Tonsatz und moderner Musik aus, trotzdem ist der avantgardistische Pole auch für ihn eine Herausforderung.

"Ich weiß nicht, ob es für jeden geeignet ist, aber ich finde, es ist eine sehr interessante Musik, was er da mit seinen Klangfarben und seinem Klangspektrum erreichen will. Wenn man das spielt, merkt man erst, was er da wirklich gemacht hat. Das ist anders, als wenn man es zuerst hört. Auch in der Schule hatten wir Penderecki ein wenig und haben behandelt, was er da erreichen will und wie, durch die Klangflächenmusik …"

Asia Tsvetkova, eine junge Geigerin aus der Ukraine, steht neben ihm. Auch sie war bei der Probe dabei. Die 18- jährige Gymnasiastin in weißer Bluse ist voller Eindrücke und noch immer nervös.

"Wir sind Schüler, vielleicht macht er da alles sanfter. Ich kann mir schon vorstellen, dass er bei richtigen Orchestern strenger ist. Ich mein', er ist schon streng, finde ich."

Den Namen Penderecki kannte sie vorher nur aus Büchern.

"Es ist besonders, dass er zu uns kommt und wir sein Stück spielen. Vor allem, bei uns ist, glaube ich, noch nie so ein modernes Stück gespielt worden, und auch für mich ist es das erste moderne Stück. Das ist eine ganz andere Richtung und neue Erfahrung. Das ist interessant."

Diese Musik erschließt sich beim gemeinsamen Spielen, meint Asia. Seit sie fünf ist, spielt sie Geige.

"Ich kann jetzt nicht sagen, dass ich ein Wunderkind war, aber ja, meine Eltern haben mir die Geige gegeben und mir manche Sachen beigebracht. Ich bin aus einer Familie voller Musiker und ich habe es gemocht, es fließt im Blut!"

Auch in ihrem Leben ist das Geigenspiel so wichtig und selbstverständlich wie essen und trinken. Etwas anderes als eine berufliche Zukunft mit der Geige ist für sie undenkbar. Asia und Rashid packen ihre Instrumente, verschwinden in den Klassenräumen. Kurze Pause für Krzysztof Penderecki im Schulsekretariat. In einer Stunde gibt es eine weitere Probe, die Letzte vor dem Konzert. Der Lärm der Schüler in den Fluren dringt durch die Tür.

"Es war eine sehr angenehme Arbeit mit den Schülern, die sind aufmerksam, die wollen spielen, die verstehen das schon sehr gut. Zuerst muss man um jede Note kämpfen, dass es sauber ist, dass es zusammen ist. Weil es sehr rhythmisch ist, ist es sehr kompliziert. Gerade die Stücke, die ich hier dirigiere, sind virtuose Stücke für Streichorchester."

Er erzählt, dass er täglich stundenlang komponiert, abstrakte Musik ohne Geschichte, meint Penderecki und lächelt.

"Musik ist Musik, man muss nicht etwas beschreiben. Es genügt, wenn man gute Musik schreibt, logische Musik, wenn es nicht logisch ist, hört man das sofort. Die Musiker, die meine Musik spielen, hier auch, die verstehen diese Musik, das ist kein Problem, nur, es muss perfekt sein."

Penderecki freut sich auf das Abschlusskonzert mit den Schülern. Die Aula wird heute Abend garantiert voll sein. Er tastet nach dem gespitzten Bleistift, den er immer in der Hemdtasche trägt. Es könnte ihm ja etwas einfallen, was aufgeschrieben werden muss. Denn auch mit 79 Jahren sucht er immer noch Klang, Form, Stil und Harmonie.
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